Toxisch Angetreten 2021 als „Fortschrittskoalition“, bleibt von dem Bündnis aus SPD, Grünen und FDP heute nur noch Blockade und Stagnation. Doch das Scheitern der Ampel deutet auf eine tieferliegende Gefahr hin: auf eine Krise der Demokratie


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Ausgabe 38/2024

Dass das Wahlergebnis in Sachsen und Thüringen am 1. September zu einem „Debakel“ für die drei Parteien des Regierungsbündnisses werden würde, war absehbar, viel hatte sich zwischen Prognosen und „echten“ Wahlen gar nicht getan. Interessant höchstens, dass die Leute sich in Sachsen und Thüringen offenbar weniger um die Verhältnisse in Sachsen und Thüringen kümmerten; Hauptsache, so hörte man’s überall: „Die Ampel muss weg.“ Und die Reaktion der „Betroffenen“: Das ist so schlimm, dass wir … genauso weitermachen wie vorher.

Tatsächlich ist diese Ampel-Regierung nichts anderes als die Verbindung von drei grundlegenden Elementen der alten Demokratie: die Grünen als Vertre

e Ampel-Regierung nichts anderes als die Verbindung von drei grundlegenden Elementen der alten Demokratie: die Grünen als Vertreter der progressistisch-achtsamen Moralisten, die SPD als Vertreter des fürsorgenden und industriefreundlich sozialen Ausgleichs, die FDP als Vertreter der Wirtschaftsliberalen und „Besserverdienenden“. Gemeinsam wären sie das, was man sich unter Demokratie mit allen Schwächen und Widersprüchen eben so vorstellt. Ob das jeweilige Personal ihr „Ur-Programm“ nun gut oder schlecht vertritt, ist eine andere Frage. Um das Tableau zu vervollständigen, bliebe als letztes Element noch der „Konservatismus“, derzeit oppositionell, aber nicht gerade schwungvoll, der noch mehr oder weniger zum konstitutionellen Rahmen der Demokratie und ihrer Geschichte gehört: die CDU/CSU, wo gerade viele ihr „konservatives Profil“ schärfen und heftig nach rechts blinken.Die Linke fehlt in diesem konventionellen konstitutionellen Rahmen der Demokratie zumeist, nicht obwohl, sondern gerade weil das die Einzigen sind, die diesen Rahmen noch ernst nehmen, zu dem, nebenbei bemerkt, der Satz gehört: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt das auf ihrer Seite für Kinder: „Alle Aktivitäten und Gesetze des Staates, die dazu dienen, die Menschen abzusichern und das Leben von schwachen, kranken und schutzbedürftigen Menschen zu verbessern, nennt man ‚Sozialpolitik‘. Die Sozialpolitik soll dazu beitragen, dass sich die Menschen in ihrem Staat wohlfühlen und dass es möglichst wenig Streit und Ärger in der Gesellschaft gibt.“Danke, Merk… äh, Ampel!Theoretisch müsste man nun den Kindern erklären, warum einer Regierung, die fast alle wichtigen Aspekte des demokratischen Rechtsstaates vertreten soll, immer mehr Bürgerinnen und Bürger gegenüberstehen, die sich in ihrem Staat so wenig wohlfühlen, dass sie ihn abschaffen und durch eine antidemokratische, völkische Autokratie ersetzen wollen. Warum so viel Streit und Ärger, werden die Kinder da fragen. Praktisch wissen die Erwachsenen das auch so nicht genau. Höchstens eins: Die Ampel ist schuld.Doch woran liegt es wirklich, dass die Ampel drei Jahre nach ihrem Antreten so hoffnungslos darniederliegt? Es gibt da eigentlich zwei miteinander verwobene Krisen. Die eine ließe sich in dem Satz zusammenfassen: Die können nicht miteinander. Egal was einer von den dreien anpacken würde, die beiden anderen würden es nach Kräften zu verhindern versuchen. Die FDP spielt dabei unter Christian Lindner die Rolle des Obstruktiven besonders derb und vielleicht auch besonders dumm. Ihr Wirtschaftsliberalismus nämlich ist sogar hinter der Entwicklung der Wirtschaft selbst hintendrein, die Liberalen sind heute Musterknaben, die noch nicht mal kapiert haben, dass Porsche-Fahrer unter echten Reichen die Proleten sind.Die zweite Krise aber betrifft die einzelnen Parteien für sich. Keine von ihnen ist sich ihrer Sache noch wirklich sicher; jede dieser Parteien hat sowohl mit echten Ausreißern in den eigenen Reihen als auch mit einem allgemeinen Identitätsverlust zu kämpfen. Die Sozialdemokraten sind immer weniger sozial, die Grünen immer weniger grün, und Wirtschaftsliberalismus als Ideologie ist derzeit schlicht überflüssig. Und trotzdem reichen die Kompromisse nicht aus, um wenigstens das zustande zu bringen, was Bundeskanzler Olaf Scholz eine „ganz ordentliche Arbeit“ nennt.Die alte Demokratie bröckeltDabei hätte das nach den Regeln der alten Demokratie vielleicht sogar was für sich: Unter schwierigen Koalitionsbedingungen wurschteln sich einige talentierte und einige weniger talentierte Politiker*innen so durch, schließlich hat man von den Vorgängern allerhand an Liegengebliebenem übernehmen müssen. Das geht irgendwie immer so weiter, damit dann die nächste Regierung weiterwurschteln kann. Das war Demokratie, wie wir sie kannten, mal ein bisschen besser, mal eher schlechter. Im Grunde aber immer auf einem großen gemeinsamen Fundament. Nun zeigen die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen aber besonders drastisch, dass es diese alte Demokratie gar nicht mehr gibt. Das Fundament ist futsch.Eine Krise nach der anderen hat das Vertrauen der Gesellschaft in den demokratischen Staat gefressen. All das begann damit, dass Regieren mehr mit Sachzwängen und Alternativlosigkeiten als mit Demokratie und Sozialpolitik zu tun hatte, und es hörte natürlich nicht bloß deshalb auf, weil man pro Woche mehr Talkshows veranstaltete, als ein geistig gesunder Mensch pro Jahr zu ertragen weiß. Fortan gab es drei Politiker-Typen: die Talkshow-Politiker, die als unermüdliche Erklärbären sinnlose Luftdebatten führen mussten, die Macher-Politiker, die mit den Sachzwängen umgehen konnten (oder nicht), und die Straßen-Politiker, die sich als einzige wirkliche Alternative anboten. Je mehr diese Populist*innen nach rechts gingen, desto größer wurde ihr Zuspruch, bis schließlich der Rechtspopulismus, den man jovial als „Protest“ einstufte (damit man beim Weiterwurschteln nicht ernsthaft gestört wurde), zum antidemokratischen Rechtsextremismus geworden war, dem ein gutes Drittel der Bevölkerung in Deutschland (übrigens wie in anderen europäischen Ländern) das Vertrauen schenkt.Das Drittel, das den Boden des Grundgesetzes, nebst einigen anderen formalen und informellen Pakten wie Bürgerrechten, Menschenrechten, Pressefreiheit oder humanistischer Toleranz, zügig verlassen hat, braucht, um nach der liberalen Gesellschaft auch den demokratischen Staat zu knacken, nur noch Verbündete (man kann auch sagen: Steigbügelhalter oder „willige Helfer“) im „konservativen“ Spektrum von Politik und – nein, Gesellschaft gibt es ja gar nicht mehr, sondern nur das „Volk“. Wie viele „konservative“ Menschen sind bereit, lieber mit rechten Antidemokraten als mit linken Demokraten zu regieren? Zur Gefahr wird das dann umso mehr, wenn links eine hartnäckige Leere bleibt, die den demokratischen und sozialen Bundesstaat längst in eine Schieflage gebracht hat und ohne energische Gegenbewegung früher oder später zum Kentern führen wird.Nun also schreit alles nach dem Kapitän! Soll er doch „Führungsstärke“ zeigen, „auf den Tisch hauen“, den „Sauhaufen zur Ordnung rufen“ oder einfach mal „durchgreifen“. Aber ach! Erstens: Das geht doch gar nicht. Weil es eben in einer Koalition „Machtverhältnisse“ gibt. Und zweitens: Ein demokratischer Regierungschef soll zwar „Richtlinien bestimmen“, aber er ist deswegen noch kein Despot.Die Ampel-Regierung ist ein Witz, der seine Pointe schon im Titel verrät. Stehenbleiben, Losgehen und Zwischen-dem-einen-und-dem-anderen-Pausieren, alles auf einmal. „Normal“ wäre eine Reaktion der Selbstregulierung. Blöd nur, dass man „soziales Verhalten“ nicht mehr so recht auf dem Schirm haben kann. Außerdem ist nichts mehr normal. Wenn die Ampel kaputt ist, schreit man nach dem Polizisten, auch wenn der nur noch das Rechts-Abbiegen erlaubt. Denn tatsächlich geht es eben schon nicht mehr um Aspekte innerhalb eines allgemeinen Konsenses, von diesem (sagen wir: dem Sozialen) ein bisschen weniger und von diesem (der Wirtschaftsförderung vielleicht) ein bisschen mehr (und der Rest fürs Ökologische), sondern es geht in etlichen Politikfeldern um wirkliche Zukunftsentscheidungen.Bald wird wohl alles, was noch von der sozial-ökologischen Wende bleibt, abgewickeltWas ist mit der ökologischen Wende? Wie kann die ständig zunehmende soziale Ungerechtigkeit bekämpft werden, wie die notwendigen Investitionen für eine Zukunft von Infrastruktur, Bildung, Kultur und medizinischer Versorgung gewährleistet, wenn eine „Schuldenbremse“ zum Dogma erklärt wird, an deren Sinn nicht mal mehr die Vertreter neoklassischer Ökonomik glauben? Wie viel Faschismus darf sich eine demokratische Gesellschaft erlauben? Wie soll eine liberale Gesellschaft dem „Kulturkampf“ von rechts begegnen, wenn Staat und Wirtschaft ihr alle Instrumente dafür, vom selbstverwalteten Jugendzentrum, das einer Immobilienspekulation weichen muss, bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der einer radikalen Selbstverblödung unterworfen wird, abbauen oder verkommen lassen? Wie kann man an eine Demokratie glauben, die ihren Feinden Zugeständnisse macht und die Ohren vor ihren Kritikern verschließt?Das Problem unserer famosen Ampel, dem gleichwohl auch die meisten Kräfte der konstitutionellen Opposition anheimfallen, ist nicht so sehr, ob man sich mal zu bräsig zeigt, ob man hier einen Fehler macht, sich dort blamiert und da mal wieder zu einem Kompromiss durchringt, der dann wirklich niemanden mehr glücklich macht. Das Problem ist vielmehr, dass es nirgendwo einen wirklichen Neuanfang, ein ernsthaftes Gespräch darüber gibt, dass es eben nicht immer so weitergeht. Die Ampel als Demokratie-Metapher regiert nicht, sie reagiert nur noch auf die immer populäreren und immer radikaleren Attacken von rechts und auf ihre internen Widersprüche. So verkam die urdemokratische Idee von Kompromiss und Konsens. Zu einem Bild der Schwäche, ausgerechnet.Nach der Niederlage und dem Schock: Weiter so!Was wirklich erschreckend ist an der Realität dieser Regierung, ist eine geradezu groteske Beratungs- und Kritikresistenz. Wilhelm Heitmeyer zum Beispiel, der seit Jahrzehnten die Rechtsentwicklung nicht nur mit entsprechenden Beobachtungen, sondern auch mit durchaus belastbaren Zahlen darstellt, resigniert angesichts der Ignoranz, mit der offenbar alle Parteien, die in den letzten Jahrzehnten an Regierungen beteiligt waren, gesegnet sind: „Wir haben immer wieder neue Zahlen veröffentlicht, aber entscheidende Teile der etablierten Politik haben sich nicht darum gekümmert, denn das tangierte bis dahin nicht die Mandate.“Nach den Wahlerfolgen der AfD in Sachsen und Thüringen, inklusive der anschließenden Feiern mit Nazi-Gesängen und Hitlergrüßen, gingen die „Altparteien“ schon am nächsten Tag wieder zur gewohnten Routine und zum gegenseitigen Beharken über. Der baldige CDU-Spitzenkandidat allerdings behauptete vorauseilend, die AfD sei eine „normale Oppositionspartei“, und die Abgeordnete Martina Schweinsburg von der Thüringer CDU sprach sich sogleich für „Sondierungsgespräche“ mit der AfD aus. Dass sie die „Brandmauer“ aus unerfindlichen Gründen „Pippi-Langstrumpf-Politik“ nennt, die gescheitert sei, gibt dem Schlagwort von der „Infantilisierung“ der Politik recht. Arme Pippi! Tatsächlich verkündete Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller am Tag nach der Wahl, seine Partei werde ihre Macht nun dazu verwenden, die Mittel für demokratische Vereine und Bildung zu kürzen. Die Demokratie wird von innen her zerstört, und die Demokraten schauen zu und kümmern sich um ihre Posten. Und die Antwort der Ampel ist noch mehr Unfug in noch mehr Talkshows.Die Ampel repräsentiert den gegenwärtigen Zustand unserer Demokratie. Was man über sie sagen kann, das kann man im Kern auch über die Demokratie derzeit sagen. Das rechte „Die Ampel muss weg“ heißt eigentlich nichts anderes als „Die Demokratie muss weg“, und auch die Kritik aus der liberalen Gesellschaft muss sich darüber klar sein, dass die Ampel, von ein paar persönlichen Ausreißern abgesehen, genau das ausdrückt, was in dieser Demokratie überhaupt noch möglich ist.Wäre also das Ende der Ampel-Regierung womöglich das Ende der Demokratie, wie wir sie kannten? Das Szenario für eine antidemokratische Zukunft jedenfalls ist nicht so unrealistisch (und wurde in anderen Ländern vorgemacht): Wenn alles gewählt wird, was nicht Ampel ist, und wenn die „Brandmauer“ bei den Konservativen eh nur Papier war, dann sind die Wege frei für die post- und antidemokratischen Koalitionen von „Konservativen“ und antidemokratischer Rechter.Die zweite Alternative wäre eine große Koalition von allem, was nicht AfD und Sahra Wagenknecht ist. Eine Ampel mit Schwarzlicht, sozusagen. Glaubt jemand, dass von einer solchen Regierung mehr Impulse für die so dringend notwendige Erneuerung unserer demokratischen Erzählung ausgingen? Vielleicht mit einem Kanzler, der am liebsten Selfies mit Bratwürsten und Pandabären erzeugt, oder doch einem, der die Mittelschicht bei einer Million Kapital beginnen lässt?So wäre also die Ampel, wie unsere Demokratie derzeit, einfach nur da, weil sonst alles noch viel schlimmer wird. Sich deswegen mit beidem zu arrangieren, bringt aber auch allerhöchstens einen Zeitaufschub. „Aber ja, diese Übergangsregierung. Hätte ich jetzt fast gesagt“, so Omid Nouripour, der Grünen-Chef. Vielleicht hätte er noch ehrlicher fast „Untergangsregierung“ gesagt.Jedes Land des einstigen goldenen Westens, so scheint es, hat seine eigenen Wege von der Post- zur Antidemokratie. Der deutsche Weg führt über die Erschöpfung einer Ampel, die nie genug Glanz, aber auch nie genug Courage entwickelt hatte, um wirkliche Verteidiger zu finden.



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Von Veritatis

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