Widerstand Die Aktivist:innen der Letzten Generation zahlen für ihre Klima-Proteste oft einen hohen Preis. Mit einer neuen Strategie wollen sie endlich anschlussfähiger werden. Gelingt der Neustart?


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Ausgabe 38/2024

Mit ihren Straßenblockaden sorgten die Aktivist:innen für Aufruhr im ganzen Land. Damit soll jetzt Schluss sein

Mit ihren Straßenblockaden sorgten die Aktivist:innen für Aufruhr im ganzen Land. Damit soll jetzt Schluss sein

Foto: Marlene Charlotte Limburg

„Im Gefängnis einsitzen ist wirklich nicht schön.“ Ronja Künkler ist 25 Jahre alt, Klimaaktivistin und Tochter eines evangelischen Pfarrhaushaltes. 2023 wurde sie vom Freistaat Bayern ins Gefängnis Stadelheim gesteckt, offensichtlich unschuldig – die Behörden nahmen sie in Präventivhaft. „Im Gefängnis wird dir die Individualität geraubt“, sagt Künkler. Aufstehen auf Befehl, Mittagessen auf Kommando, Einheitskleidung, ein Tagesablauf, der nicht selbstbestimmt gelebt werden kann. „Ich müsste lügen, würde ich sagen, dass ich das einfach so weggesteckt habe.“ Künkler musste 14 Tage hinter Gitter, weil Bayern Angst davor hatte, dass sie für mehr Klimaschutz protestiert. Ronja Kün

rn Angst davor hatte, dass sie für mehr Klimaschutz protestiert. Ronja Künkler ist Aktivistin der Letzten Generation in Regensburg, wo sie regelmäßig Verkehrsknotenpunkte blockiert.Placeholder image-1„Unterbindungsgewahrsam“ nennt sich die Zwangsmaßnahme im Juristendeutsch, in Bayern kann diese für bis zu zwei Monate verhängt werden. Und das Festkleben auf der Straße ist nach Ansicht der CSU-Landesregierung eine Tat, die das vorsorgliche Einsperren rechtfertigt. Allerdings fühlte sich Ronja Künkler durch Trainings gut vorbereitet auf die Zeit hinter jenen Gittern, hinter denen auch der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun inhaftiert ist. Auch wenn sie diese vierzehntägige Erfahrung nur ungern wiederholen würde: Für den Klimaschutz ginge Künkler wieder ins Gefängnis.Die Strafen, die drohen, sind happig. Eine 32-jährige Aktivistin der Letzten Generation wurde im Juli in Berlin zu 16 Monaten Haft verurteilt – ohne Bewährung. Sie habe sich der Nötigung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht, befand das Amtsgericht. Es war nicht die erste drastische Haftstrafe und auch nicht die längste: Ende August verurteilte das Amtsgericht einen 65-Jährigen zu einem Jahr und zehn Monaten Haft 22 Monaten Haft, weil er sich vierzigmal an Straßenblockaden beteiligt hatte. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt sogar wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.Fragt sich: Wieso nehmen es Menschen in Kauf, in den Knast zu gehen, nur um das Klimaproblem zu thematisieren? Was sind das für Leute, denen die Reduzierung der Treibhausgase wichtiger ist als die eigene Freiheit? Was treibt die Aktivisten an, die sich als Klima-Chaoten, Klima-Kriminelle oder gar als Klima-Terroristen beschimpfen lassen müssen? Sogar der Duden führt neuerdings das Wort „Klimakleber“ in seinem Register.„Mit vollem Namen heißt unsere Organisation ‚Letzte Generation vor den Kipppunkten‘“, sagt Lina Johnsen, die in Leipzig lebt. Es gehe um Systeme im Weltklima, die – einmal angeschoben – die Erhitzung der Erde automatisieren. So lagern etwa im permanent gefrorenen Boden Sibiriens und Nordamerikas, dem Permafrost, potenziell doppelt so viele Treibhausgase wie sich derzeit in der Atmosphäre befinden. „Taut der Boden auf, entweichen diese, ohne dass die Menschheit irgendetwas dagegen unternehmen kann“, sagt Johnsen, die in Berlin Erd- und Umweltwissenschaften studierte, derzeit aber hauptsächlich als Aktivistin lebt. Es sei ein Prozess, der längst laufe: Wissenschaftlichen Studien zufolge ist die Grenze des dauergefrorenen Bodens bereits einhundert Kilometer Richtung Norden gewandert. „Wir müssten also mehr Klimaschutz machen“, sagt Johnsen. Denn das Mehr an Treibhausgasen, dass durch den auftauenden Boden ausgast, sei in den Klimaberechnungen der UNO für das 1,5-Grad-Ziel noch gar nicht eingepreist. Doch statt mehr Klimaschutz zu leisten, mache die Regierung viel zu wenig – und verstößt so gegen ihre eigene Klimagesetzgebung, wie jüngst Gerichte wieder urteilten.Placeholder image-2Oberhalb von zwei Grad globalen Temperaturanstiegs werden die Kipppunkte instabil. Der Meeresspiegel könnte dann um 60 Meter ansteigen, die meisten Küstenstädte, in denen heute Hunderte Millionen Menschen leben, wären überflutet.„Ich find’s auch doof, dass ich protestieren muss“, sagt die 26-Jährige. Sie empfinde diesen Protest aber als Ermächtigung gegen das Ohnmachtsgefühl, „das mich beschleicht, wenn man die Notwendigkeiten beim Klimaschutz mit der Realpolitik vergleicht“. Aber warum festkleben? Warum nicht wie die Bewegung Fridays for Future protestieren, die an diesem Freitag wieder zum globalen Klimastreik aufgerufen hat? „Zweifelsfrei haben diese Streiks das Thema wieder auf die politische Agenda gehoben“, sagt Ronja Künkler. Aber das reiche nicht: „Wirklicher Klimaschutz wird in Deutschland immer noch nicht betrieben.“Allerdings ist solcher Protest unbeliebt in der Gesellschaft. Eine Umfrage von Infratest dimap ergab 2023, dass mehr als 85 Prozent der Deutschen die Protestformen der Letzten Generation ablehnen. 56 Prozent der Befragten forderten härtere Strafen für die Aktivisten. Nicht einmal wohlwollende Teile der Bevölkerung finden den Protest der Gruppe gut, beispielsweise „sind viele Aktionen ein Angriff auf unser Wertesystem, etwa das Beschmutzen von Kunstwerken“, sagt Achim Bubenzer, Solarpionier und Autor des Buches Opa, du hast es doch gewusst. Deshalb müsse die Letzte Generation ihre Handlungsweise überdenken, sie verschrecke „mit ihrer Radikalität viele Leute, die wir eigentlich zur Lösung brauchen“.Gemeint sein könnte Simon Lachner, der wie Ronja Künkler aus Regensburg kommt. Im August 2022 hatte sich Lachner mit einem anderen Aktivisten in der Alten Pinakothek in München an einem Rubens-Gemälde festgeklebt. Anfang des Jahres hatte die Letzte Generation einen Strategiewechsel beschlossen. „Wir haben gemerkt, dass sich die Straßenblockaden abnutzen“, sagt Lachner. Stattdessen gibt es jetzt „ungehorsame Spaziergänge“, bei denen jeder, der sich anschließt, selbst die Intensität seines Protests wählen kann. „Wenn ich am Nachmittag das Kind aus der Kita abholen muss, ist es nicht ratsam, sich von der Polizei verhaften zu lassen“, sagt Lachner. Anders als bei den Klebeaktionen sollen die Menschen bewusst früher aussteigen können. Lachner sagt, das sei „ein Schritt zurück in der Intensität des Protestes, damit wir zwei Schritte weiter in der Debatte kommen“.In Regensburg haben sie mit solch einer „ungehorsamen Versammlung“ 24 Stunden lang die Durchfahrt durch das Jakobstor blockiert, in der Spitzenzeit beteiligten sich mehr als 70 Menschen. Jeden Mittwoch blockieren Lachner und Künkler mit ihrer Gruppe die Friedensstraße eine Stunde lang. „Natürlich diskutieren wir, ob das richtig ist“, sagt Lachner. Und Ronja Künkler sagt: „Wir laden jeden, der sich um die Klimakrise Sorgen macht, ein, unsere Protestformen mitzugestalten.“Trotz der neuen Strategie blockierten die Aktivisten in diesem Sommer massiv Flughäfen, die „substanzieller Teil der Zukunftsvernichtung sind“, wie es Lina Johnsen formuliert. Deshalb müsse sich der Klimaprotest mit diesen „Orten des fossilen Unrechts“ weiterhin befassen. Der Protest ist Teil der internationalen Kampagne „Öl tötet“. Auch in Spanien, Norwegen, Finnland, Großbritannien und der Schweiz wurden Flughäfen besetzt. 13 Organisationen aus zehn Ländern beteiligen sich an dem Protest. Konkret fordern sie ein internationales Abkommen, das den weltweiten Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle bis 2030 regelt. Das Thema stand auf der Agenda der Weltklimakonferenz im vergangenen Jahr in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wurde dort aber von der Fossilindustrie und den mit ihr verbündeten Politikern wegmoderiert.Als Nächstes will die Letzte Generation in diesem September den Flughafen Kassel-Calden besetzen. „Der wird mit Steuergeldern finanziert, damit Menschen Kurzstrecken fliegen können“, sagt Ronja Künkler. Wobei Lina Johnsen erklärt, dass die Aktivisten niemals eine Rollbahn attackieren würden: „Unser Sicherheitskonzept schreibt vor, nur auf den Rangierflächen der Flugzeuge zu protestieren.“ Neben der Flughafenbesetzung werde es aber auch Podiumsdiskussionen, Vernetzungen und andere Aktionen geben.„Das Konzept des zivilen Widerstands ist wichtig: Wir müssen den Alltag unterbrechen, um auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen“, sagt Rolf Meyer. Der Physiker ist 57 Jahre alt und wurde gerade freigesprochen: Auch ihm war Anfang September in Berlin Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen worden. Der Vater zweier erwachsener Kinder hatte sich bei zwei Blockaden auf der Straße festgeklebt. In seinem Fall wollte der Richter die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nicht teilen. Einfaches „Ankleben“ stelle keinen aktiven Widerstand gegen die Polizei dar; genötigt werde dadurch auch niemand.Meyer lebt in Bremen und arbeitet in der Raumfahrtindustrie. „Früher haben die Menschen in den Himmel geschaut, heute schaut die Menschheit mit Himmelskörpern auf die Erde“, sagt er. Grundwasservorkommen, Eisschmelze, Waldbrände – immer mehr Daten würden die Satelliten liefern, immer exakter zeichne sich der Befund. „Niemand kann sich mehr neutral verhalten, keiner sagen, es nicht gewusst zu haben!“ Meyer hat eine Enkeltochter, sie ist zwei Jahre alt. „2080 wird sie ihren Enkeln Bilder von jener bunten Korallenwelt zeigen, die es dann nicht mehr geben wird“, sagt Meyer. Tatsächlich hat eine Untersuchung des Weltklimarates IPCC ergeben, dass bei einem globalen Temperaturanstieg um 1,5 Grad bis zu 90 Prozent aller Korallen weltweit sterben. Im Juni und August dieses Jahres durchbrachen die globalen Temperaturen bereits die Marke von 1,5 Grad, wie der Erdüberwachungsdienst Copernicus der Europäischen Union ermittelte. Bei zwei Grad mehr gehen 99 Prozent aller Korallen weltweit verloren, aktuell befindet sich die Menschheit auf Drei-Grad-Kurs. „Wir haben in Deutschland aber noch nicht mal ein Tempolimit“, sagt Meyer. „Das Versagen der Politik ist eklatant.“Placeholder image-3Zur neuen Strategie zählte auch, dass die Letzte Generation im Juni zur Europawahl angetreten ist. Spitzenkandidatin und Gesicht der Kampagne war Lina Johnsen, für sie war im Europaparlament alles denkbar, von Sitzblockaden über Farbaktionen bis hin zu unkonventionellen Reden. „Irgendjemand muss das EU-Parlament aufmischen“, sagte sie damals. Allerdings bekam sie nur etwas mehr als 100.000 Stimmen und damit 0,3 Prozent – zu wenig für ein Mandat.Auf einige Tausend aktive Mitglieder wird die Letzte Generation geschätzt. „Bestimmt 40 Prozent von uns sind zwischen 15 und 30 Jahre alt“, sagt Rolf Meyer. Als zweitgrößte Gruppe nennt er die über 50-jährigen, es gibt auch Aktivist:innen, die älter als 70 Jahre sind. Immer wieder wurde dem Bündnis vorgeworfen, hierarchisch organisiert zu sein. An der Spitze steht ein fünfköpfiges Kernteam, darunter das Strategieteam, in dem grundlegende Entscheidungen getroffen werden. Weiter unten folgen Arbeitsgemeinschaften wie Polizeiteam, Finanzteam oder Presseteam. Meyer arbeitet im Unternehmensteam mit. „Wir suchen das Gespräch mit Unternehmern, denen der Klimaschutz ähnlich wichtig ist wie uns.“Ronja Künkler sagt: „Es herrscht ein Konflikt zwischen Leuten, die ‚weiter so‘ machen wollen, und jenen Leuten, die am Ende die Konsequenzen tragen müssen.“ Der Protest der Letzten Generation mache diesen Konflikt sichtbar, weshalb auch so heftig gestritten werde. „Man kann nicht erzwingen, dass eine Gesellschaft umdenkt“, sagt Simon Lachner. „Aber man kann die Gesellschaft zwingen, sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen“. Vielleicht werden die Aktivist:nnen der Letzten Generation auch deshalb so angefeindet: Sie erinnern die Mehrheitsgesellschaft daran, dass sich etwas ändern muss.



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Von Veritatis

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