Pommes, Matjes, Stroopwafels – so weit, so Klischee: Unser Bild von der niederländischen Küche endet oft bei Frikandel Speciaal mit Heineken. Dabei bieten unsere Nachbarn weit mehr als – und verdienen einen differenzierteren Blick


Erfindung der Deutschen: Die Gouda bringende Frau Antje

Foto: Imago Images


Die Niederlande bieten derzeit, zumindest politisch gesehen, wenig Anlass zur Freude. Aber unabhängig von Geert Wilders oder den illegalen Grenzkontrollen selbst ernannter Bürgerwehren – spätestens während der Sommerferien in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wird es auch wieder schlecht bestellt sein um den Ruf der niederländischen Küche. Dann nämlich machen wir Deutschen en masse Urlaub bei den Nachbarn, besiedeln Strände, legen Handtücher aus und bauen Burgen aus Sand in Dom- oder Middelburg oder einer anderen Strandgemeinde in Zeeland, Süd- oder Nordholland.

Dagegen ist grundsätzlich natürlich nichts einzuwenden, die Küste ist – wenn auch meist ziemlich überfüllt – sehr schön und die Deutschen 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs auch in größeren Gruppen durchaus wieder willkommen. Problematisch hingegen wird es – gesundheitlich und in Sachen Völkerverständigung – bei der Ernährung. Holland, um das vor allem im Süden des Landes ungeliebte Pars pro Toto einmal zu nutzen, das bedeutet uns Pommes und Mayo, Kroketten und Bamischeiben. Und so ist seit Generationen das Bild der niederländischen Kulinarik geprägt von dem, was auf und rund um die Campingplätze und Feriensiedlungen aus der Fritteuse kommt.

Das aber ist wiederum (auch) bedingt durch das, wovon die Niederländer denken, dass die Deutschen es gerne essen mögen. Es ist kompliziert. Einen Teufelskreis nennt man das in der Systemischen Therapie, ein durch Feedback sich selbst verstärkendes Muster.

Nun ist es nicht so, als ob man im Königreich nicht auch gerne mal Pommes mit Joppiesaus essen würde. „Vette hap“ nennt „der Holländer“ das. Aber das ist eben nicht alles. Das niederländische Küchensystem ist geprägt von großen regionalen Unterschieden auf kleiner Fläche, von kolonialen Einflüssen, vor allem aus Indonesien und Suriname, und von einer jahrhundertealten kaufmännischen Tradition und gastronomischer Neugier.

Trotzdem beschränkt sich unser kulinarisches Bild auf Matjes, Gouda und Gewächshaustomaten, seit der Eröffnung von HEMA-Kaufhausfilialen in Deutschland ergänzt durch Stroopwafels, Schokoladenbuchstaben und Lakritze. Unsere Fantasien changieren irgendwo zwischen selbsterhaltender Folklore (Frau Antje bringt zwar Käse aus Holland, ist aber eine Erfindung für den deutschen Markt) und billigen Vorurteilen.

Dabei haben die Niederlande uns beispielsweise in Sachen Fine Dining schon längst überholt. 2024 – die neuen Bewertungen kommen in den Niederlanden im Oktober – gab es im gesamten Königreich 122 Restaurants mit mindestens einem Michelin-Stern, allein sieben davon in der Provinz Zeeland. Umgerechnet auf eine Gesamtbevölkerung von rund 18 Millionen macht das landesweit 147.540 Einwohner*innen pro Spitzenrestaurant. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Kennwert bei etwa 250.000 Menschen.

Aber noch einmal zurück zur Systemischen Therapie, die einen Schwerpunkt auf die Interaktion zwischen den Mitgliedern der Familie und der sozialen Umwelt legt. Im derzeit eher dysfunktionalen europäischen Familienverband verläuft der Austausch, zumal im Urlaub, meistens nach eingefahrenen Mustern. Dabei würde es sich durchaus lohnen, die Lebenswelt der Nachbarn auch mal abseits von Frikandel Speciaal und Heineken zu erforschen.

Der Koch

Johannes J. Arens ist Journalist und Autor. Er studierte Design in Maastricht und Kulturanthropologie in Bonn. In den Küchen interessieren ihn besonders das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation sowie der Zusammenhang von Essen, Politik und Gesellschaft. Er ist Herausgeber des Foodmagazins „Zwischengang“ und Initiator des „Food Reading Festivals Cologne“. Im Freitag schreibt er die monatliche Kolumne „Der Koch

Der Koch

Johannes J. Arens ist Journalist und Autor. Er studierte Design in Maastricht und Kulturanthropologie in Bonn. In den Küchen interessieren ihn besonders das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation sowie der Zusammenhang von Essen, Politik und Gesellschaft. Er ist Herausgeber des Foodmagazins „Zwischengang“ und Initiator des „Food Reading Festivals Cologne“. Im Freitag schreibt er die monatliche Kolumne „Der Koch



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Von Veritatis

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