Während weltweit Billionen in Rüstung fließen, fehlt es zunehmend an Geld für Entwicklungszusammenarbeit und Hungerhilfe. Der Westen droht endgültig seine Glaubwürdigkeit zu verspielen
Hunger in Gaza: Kinder leiden an Unterernährung
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Dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI zufolge haben die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2024 mit 2.718 Milliarden US-Dollar einen neuen Rekordwert erreicht. Dies bedeutet einen Zuwachs von fast 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das von Politikern wie dem US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump geforderte sogenannte 2-Prozent-Ziel für NATO-Länder, das heißt 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes der jeweiligen Staaten für den Verteidigungshaushalt bereitzustellen, scheint in weiten Kreisen der Politik mehrheitsfähig geworden zu sein.
Mehr noch, mittlerweile ist sogar bei vielen von 5 Prozent des BIP für die Militärausgaben die Rede. Für die Bundesrepublik würde das einen Militäretat in Höhe von rund 225 Mill
bei vielen von 5 Prozent des BIP für die Militärausgaben die Rede. Für die Bundesrepublik würde das einen Militäretat in Höhe von rund 225 Milliarden Euro bedeuten. Damit würde Deutschland selbst Russland überholen und weltweit auf den dritten Rang der Militärausgaben vorrücken.Es mag erstaunlich wirken, welche gewaltigen finanziellen Mittel – man möchte fast ergänzen, auf einmal – zur Verfügung stehen, wenn der politische Wille vorhanden ist und insbesondere welche finanziellen Lücken sich auftun, wenn der Wille fehlt. Auch im wirtschaftlichen Sektor wurden in den vergangenen Jahren immer wieder höchst umfangreiche Summen bereitgestellt. Gewaltige SummenIm Zuge der Finanzkrise hat Deutschland Bürgschaften zur Bankenrettung in Höhe von insgesamt 500 Milliarden Euro übernommen. Die Kosten der Bankenrettung für Deutschland infolge der Finanzkrise wurden (von der damaligen Bundesregierung) im Jahr 2017 mit 30 Milliarden Euro angegeben. Im Zeitraum Frühjahr 2020 bis Sommer 2022 wurden im Zuge der Corona-Pandemie Wirtschaftshilfen (Zuschüsse, Kredite, Rekapitalisierungen und Bürgschaften) in Höhe von 130 Milliarden Euro ausgezahlt.Im Zuge der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg wurden in drei Entlastungspaketen, zu dem auch der 200 Milliarden Euro umfangreiche Wirtschaftsstabilisierungsfonds (sogenannter Doppel-Wumms) gehört, insgesamt fast 300 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die Bundesregierung die Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bewilligt.Es sind gewaltige Summen, die bereitgestellt wurden. Verschwindend gering erscheinen daneben die Mittel für Hungerbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit. Während die Welt im Jahr 2024 über 2,7 Billionen Dollar für Rüstung ausgab, hatte die ODA (Official Deve/opment Assistance), also die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aller Staaten, gerade einmal ein Volumen von 212 Milliarden US-Dollar, was nicht einmal 10 Prozent der weltweiten Militärausgaben entspricht.Alle 13 Sekunden stirbt ein KindDeutschlands Militärausgaben betrugen im Jahr 2024 etwa 88,5 Milliarden US-Dollar. Damit rangiert die Bundesrepublik hinter den USA, China und Russland und noch vor Staaten wie den Atommächten Indien, dem Vereinigten Königreich und Frankreich weltweit auf dem vierten Platz. Zum Vergleich: Deutschlands Beitrag für die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) sank im selben Zeitraum auf etwa 32 Milliarden US-Dollar. Desillusionierend können in Relation gesetzt auch folgende Zahlen wirken:Deutschland ist Spendenweltmeister. Im vergangenen Jahr spendeten die Deutschen etwa 5 Milliarden Euro für wohltätige Zwecke. Gleichzeitig gaben sie laut Deutschem Reiseverband einen neuen Rekordwert von fast 115 Milliarden Euro für ihren Urlaub aus (eingerechnet die Ausgaben im Zielgebiet).Das geerbte und geschenkte Vermögen in Deutschland stieg 2023 gegenüber dem Vorjahr um fast 20 Prozent auf einen Höchstwert von 121,5 Milliarden Euro. Das Privatvermögen der Deutschen erreichte im letzten Quartal 2024 die Rekordsumme von über 9 Billionen Euro.Vor diesen Zahlen verblassen die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und Hungerbekämpfung. Dabei ist der Bedarf an Hilfe in Katastrophengebieten wie dem Sudan, dem Jemen und in Gaza gewaltig. Im Jahr 2023 litten dem Welternährungsbericht der Vereinten Nationen zufolge schätzungsweise 735 Millionen Menschen auf der Welt an Hunger. Alle 13 Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger. Das sind jedes Jahr fast 2,5 Millionen Kinder.Das größte lösbare ProblemMan könnte denken, dass das ein gewaltiges Problem ist, dem man mit einer großen politischen wie auch finanziellen Offensive entgegentreten sollte. Priorität genießen diese Negativzahlen im aktuellen politischen Diskurs aber ganz offensichtlich nicht.Es ist sehr ernüchternd, die oben erwähnten gewaltigen zur Verfügung gestellten Summen beispielsweise dem Jahresetat des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) gegenüberzustellen. Dieses hatte im Jahr 2024 ein Budget von knapp 10 Milliarden US-Dollar, was gerade einmal etwa drei Promille der weltweiten Militärausgaben entspricht (Deutschlands Beitrag zum WFP betrug knapp 1 Milliarde US-Dollar). Dabei ist das Problem Welthunger, wie Hilfsorganisationen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht müde werden zu betonen, keine unvermeidbare Naturkatastrophe, dem man schicksalshaft ausgeliefert ist, sondern menschengemacht.Das WFP bezeichnet Hunger als „das größte lösbare Problem der Welt“, da grundsätzlich alle technischen Voraussetzungen gegeben sind, um alle Menschen auf der Welt zu ernähren. Die Lösung des globalen Hungers ist eine Frage des politischen Willens.Ein ganz anderes SondervermögenJe nach konkreter Zielsetzung und Zeitrahmen gibt es hierzu unterschiedliche Berechnungen, allen gemein ist aber, dass ein Bruchteil der weltweiten Militärausgaben ausreichen würden, um den Hunger auf der Welt zu besiegen. Einer bereits im Jahr 2020 publizierten Berechnung zufolge ließen sich mit einer Erhöhung der Mittel zur Hungerbekämpfung um etwa 14 Milliarden US-Dollar innerhalb von zehn Jahren 500 Millionen Menschen aus Hunger und Fehlernährung befreien. Alleine die Erhöhung der weltweiten Militärausgaben von 2024 gegenüber 2023 (circa 275 Milliarden US-Dollar) übertrifft diesen Betrag um ein Vielfaches.Die Chance, den Hunger, den ältesten Feind der Menschheit, zu besiegen, wurde bisher ausgelassen. Im Gegenteil, isolationistisches nationalstaatliches Denken infolge populistischer Bewegungen im „Westen“ lassen eine Stagnierung oder sogar eine Minderung der Gelder für Entwicklungszusammenarbeit erkennen. Jüngstes Beispiel sind die Bemühungen der Trump-Regierung die Mittel für US-Aid einzufrieren oder zumindest drastisch einzuschränken. Aber auch die deutschen Ausgaben für die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) werden zunehmend zurückgefahren.Ganz aktuell verwies das Nothilfebüro der Vereinten Nationen auf die größten Finanzierungskürzungen aller Zeiten, von denen Millionen von Menschen auf der Welt betroffen sind. Martin Frick, der Direktor des WFP-Büros für Deutschland, Österreich und Liechtenstein, warnte bereits im Herbst vergangenen Jahres, dass Kürzungen der internationalen Hilfe auch zu politischer Destabilisierung in Ländern des Globalen Südens führen und nicht zuletzt Deutschlands Sicherheit gefährden könnten.Das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des „Westens“ sind in vielen Ländern des Globalen Südens, die politisch und medial vielfach marginalisiert oder sogar ignoriert werden, stark angeschlagen. Hierbei handelt es sich um ein Problem, das sich in Zukunft politisch wie auch wirtschaftlich noch bitter rächen könnte. Der Vorwurf lautet, dass der „Westen“ seinen eigenen rhetorisch in Reden immer wieder so hochgehaltenen Werten nicht entspricht. Welches starke politische Signal und welche ungeheure positive menschliche Wirkung hätten zum Beispiel die Einführung eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Dollar durch die „westlichen“ Staaten zur Bekämpfung des globalen Hungers. Hätte Deutschland den Mut und auch die politische Weitsicht, mit solch einer Initiative voranzuschreiten – vielleicht mit einer Entschlossenheit, die aktuell für die Erhöhung der Militärausgaben so stark zu spüren ist?