Frankreich steht vor einem politischen und wirtschaftlichen Fiasko. Nachdem Präsident Emmanuel Macron im Sommer Neuwahlen angekündigt hat, taumelt das Land von Krise zu Krise. Vor allem der desaströs aufgestellte Haushalt bereitet den Franzosen Probleme. Premierminister Michel Barnier wollte Frankreich aus diesem Grund ein rigoroses Sparprogramm auferlegen.
Im Parlament scheiterte er mit diesem Vorhaben jedoch kläglich. Die Retourkutsche erhielt er am Mittwochabend. Eine Mehrheit aus Linken und Rechten sprach ein Misstrauensvotum gegen Barnier aus und zwang ihn zum Rücktritt. Frankreich steht nun erneut ohne Regierung da. Auch am Stuhl von Präsident Macron wird aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen und politischen Lage zunehmend gesägt. Er schließt einen Rücktritt jedoch aus.
Dabei sehen die Wirtschaftsdaten aus Frankreich auf den ersten Blick wesentlich besser aus als die Deutschlands. Während Deutschland in der Rezession steckt, kann Frankreich ein Wachstum von immerhin rund einem Prozent verzeichnen. Auch im kommenden Jahr dürfte die französische Wirtschaft stärker zulegen als die deutsche. Selbst die Arbeitslosenquote bewegt sich für französische Verhältnisse mit 7,2 Prozent in einem akzeptablen Rahmen. Doch der Schein trügt.
Der S&P-Einkaufsmanagerindex im November zeigt, dass auch über Frankreichs Wirtschaft dunkle Wolken aufziehen. Die Unternehmen berichten von einer anhaltenden Nachfrageflaute. Der Automobilsektor erreicht trotz einer leichten Erholung der Neuzulassungen noch nicht das Niveau von 2019. In einer noch schärferen Krise steckt die Baubranche, und die Firmenpleiten häufen sich. Der Auftragseingang in der Industrie hat den niedrigsten Stand seit der Corona-Pandemie erreicht.
In Frankreich treffen diese wirtschaftlichen Probleme jedoch auf einen völlig außer Rand und Band geratenen Staatshaushalt. Der französische Staat steht mit 3,2 Billionen Euro tief in der Kreide. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt beträgt die Verschuldung in Frankreich rund 110 Prozent. In der gesamten Euro-Zone ist die Verschuldungsquote lediglich in Italien und Griechenland höher. Die Abkehr von der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) setzt den französischen Staatshaushalt massiv unter Druck. Rund 40 Milliarden Euro muss Frankreich in diesem Jahr nur für die Zahlung der Zinsen aufbringen.
Das entspricht in etwa den Ausgaben, die Frankreich für seine gesamte Verteidigung aufbringt. Im Jahr 2023 erreichte das Haushaltsdefizit bereits 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für das laufende Jahr 2024 wird ein noch höheres Defizit von über sechs Prozent des BIP und 2025 sogar ein Defizit von bis zu sieben Prozent erwartet. Sollte sich die Wirtschaft schlechter als erwartet entwickeln, weil etwa der kommende US-Präsident Donald Trump mit seinen angekündigten Zollmaßnahmen gegen die Europäer Ernst macht, sieht die Lage in Frankreich noch wesentlich prekärer aus.
Die für die Euro-Länder vorgeschriebenen Maastricht-Kriterien verfehlt Frankreich grandios. Die Regeln sehen vor, dass ein Mitgliedsstaat ein jährliches Haushaltsdefizit von höchstens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufweisen darf. Zudem wurde eine Obergrenze für die Gesamtverschuldung festgelegt, die 60 Prozent des BIP nicht überschreiten soll.
An den Finanzmärkten treibt das fiskalische Gebaren der Franzosen den Anlegern entsprechend die Sorgenfalten auf die Stirn. Die hohe Staatsverschuldung in Kombination mit dem heftigen Defizit lassen Marktteilnehmer zunehmend an der Zahlungsfähigkeit Frankreichs zweifeln. Die Rating-Agentur Fitch hat bereits gehandelt und den Daumen für französische Staatsanleihen gesenkt. Die Bewertung des Landes als Schuldner wurde von „stabil“ auf „negativ“ angepasst.
„Die für dieses Jahr prognostizierte fiskalische Fehlentwicklung bringt Frankreich in eine schlechtere fiskalische Ausgangsposition, und wir erwarten nun größere fiskalische Defizite, die zu einem steilen Anstieg der Staatsverschuldung in Richtung 118,5 Prozent des BIP bis 2028 führen werden“, hieß es in einer Mitteilung der Agentur. Die Zinszahlungen, die Frankreich an private und institutionelle Akteure zahlen muss, steigen entsprechend sprunghaft an.
Bei gleichem – von der EZB vorgegebenem – Zinsniveau muss Frankreich gegenüber Deutschland Risikoaufschläge von etwa 90 Basispunkten (0,9 Prozent) zahlen. Vor allem seit November steigen die Zinskosten, die Frankreich gegenüber Deutschland tragen muss, deutlich an. Die wahre Dramatik verdeutlicht jedoch auch diese Zahl noch nicht. Aufgrund des politischen Chaos in Deutschland ist die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe seit Anfang Oktober um fast 0,4 Prozentpunkte auf 2,36 Prozent gestiegen. Entsprechende Anleihen des französischen Staates werden inzwischen mit deutlich über drei Prozent verzinst.
Frankreich könnte nun schnell in eine undurchbrechbare Abwärtsspirale geraten: Schwindendes Marktvertrauen und sinkende Kreditwürdigkeit treiben die Zinskosten in die Höhe, was das Haushaltsdefizit vergrößert. Dies wiederum würde das Vertrauen der Investoren weiter untergraben, die Zweifel an Frankreichs Zahlungsfähigkeit verstärken und die Zinskosten weiter antreiben.
In Frankreich ist man sich dieser Dynamik durchaus bewusst. Offen ist schon die Rede von einem drohenden Staatsbankrott. Auszuschließen ist dieses Szenario nicht mehr. Frankreich erlebte 1788, am Vorabend der Französischen Revolution, einen Staatsbankrott bei einer Verschuldungsquote von „nur“ 64 Prozent des Sozialprodukts und Zinszahlungen von 12 Prozent. Seitdem mögen zwei Jahrhunderte vergangen sein, die grundlegenden wirtschaftlichen Mechanismen sind jedoch unverändert.
Dass Frankreich aus eigener Kraft seinen desaströsen Haushalt wieder in ruhige Gewässer bringen kann, gilt indes als immer unwahrscheinlicher. Eine wie auch immer geartete Regierung müsste die Franzosen hierfür ein hartes Sparprogramm diktieren. Parlamentarische Mehrheiten dürften bei aktuellen politischen Verhältnissen jedoch kaum erreichbar sein. Aus diesem Grund werden schon jetzt Rufe nach der EZB laut.
Auf Grundlage des sogenannten Transmission Protection Instruments (TPI) ist es der EZB grundsätzlich erlaubt, Staatsanleihen in beliebiger Menge aufzukaufen. Zu den Voraussetzungen gehört, dass das betroffene Land einer nicht gerechtfertigten Verschlechterung seiner Finanzierungsbedingungen ausgesetzt ist. Zudem muss der Renditeanstieg bei Staatsanleihen in ungeordneter Weise erfolgen, wie etwa bei starken Marktverwerfungen.
Noch gilt der Einsatz des TPI als unwahrscheinlich. So erklärten Analysten der Barclays Bank: „Wir halten es für unwahrscheinlich, dass die EZB das Transmission Protection Instrument aktiviert und französische Staatsanleihen kauft, wenn der Haushalt abgelehnt wird und die Regierung zusammenbricht.“ Spitzt sich die finanzielle Lage in Frankreich zu, könnte sich der Wind jedoch schnell drehen. Übergeordnet könnte auch das Thema Euro-Bonds, also die gemeinschaftliche Verschuldung und Haftung der Euro-Länder, wieder an Fahrt aufnehmen. Präsident Macron treibt die Debatte hierum schon seit Beginn seiner Präsidentschaft 2017 mit zunehmender Vehemenz an.
Für die gesamte Eurozone ist das finanzpolitische Treiben der Franzosen hochgefährlich. Sollte Frankreich es nicht schaffen, seinen Haushalt einigermaßen tragfähig aufzustellen, könnte eine erneute Eurokrise drohen. Anders als 2010 macht dieses Mal jedoch nicht ein kleines Land am Rande Europas Sorgen, sondern das in der EU flächenmäßig größte Land mit der zweitbedeutendsten Wirtschaft. Die Folgen für ganz Europa wären unabsehbar.