Obwohl Biologie ihr schlechtestes Schulfach war, wählte sie es an der Universität. So wurde ihre Berufung zum Beruf: Tina Andres kämpft für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und gesundes Essen. Als Vorsitzende des Bundes Ökologischer Lebensmittelwirtschaft vertritt sie jene Bauern, Lebensmittelproduzenten und Händler, die sich „Bio“ auf die Fahnen geschrieben haben.
der Freitag: Frau Andres, Markus Söder gibt sich als Fleischliebhaber, er postete unter dem Hashtag #söderisst zuletzt zum Beispiel, wie er genüsslich in eine Bratwurst beißt. Ihr Eindruck?
Tina Andres: Ich esse selber gerne Fleisch. Ab und zu ein gutes Stück Fleisch zu essen, ist kein Problem. Aber Söder will ja zeigen, dass er sich nicht reinregieren lässt in den Kochtopf, in sein Gericht auf dem Teller. Das ist albern. Denn es ist keine Rede davon, dass Fleischessen verboten werden soll.
Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ging auch schon in die Frittenbude und verschlang eine Currywurst, wenn er beweisen wollte, dass unter seinem edlen Anzug noch ein sozialdemokratisches Herz schlägt. Zeigt Söder eine andere, eine neue Qualität?
Ja, Essen wird genutzt, um zu polarisieren. Das braucht die Gesellschaft gar nicht.
Söder gibt sich bodenständig, um sich von den woke-veganen Städtern abzugrenzen …
… mit einer rückwärtsgewandten Sicht aufs Essen. Gucken Sie auf die junge Generation, die ist da längst weiter, differenzierter. Vielen ist bewusst, dass Essen mehr ist als Geschmack, weil es die Gesundheit beeinflusst, Folgen hat für Klima und Artenvielfalt, bestimmt, wie wir in Zukunft leben. Und sie schätzen, dass sie mit ihrem Essen selbst etwas beeinflussen können.
Sicher? Söder hat sehr viele Follower in den sozialen Medien.
Aber würden alle nur in der Kategorie Die-Wurst-ist-mein-Hoheitsgebiet denken, wäre doch nicht so viel in Bewegung! Die Ernährungswelt ist schon viel differenzierter als die politische Diskussion, die uns derzeit um die Ohren gehauen wird. Sie ermüdet, hängt mir zum Halse raus. Und bestimmt nicht nur mir, sondern vielen anderen auch.
Die Menschen kaufen bereits anders ein?
In die fünf Biosupermärkte, die ich leite, kommen immer mehr ältere Menschen, die fragen: Meine Enkeltochter kommt zu Besuch, die ist vegan, was koche ich denn? Ich würde mir wünschen, dass wir mehr darüber reden, was diese Veränderungen von Ernährungsgewohnheiten auch mit sich bringen, zum Beispiel aus volkswirtschaftlicher Sicht.
Was bringt anderes Essen?
Klimaschutz, Artenvielfalt. 45 Prozent des globalen Artensterbens gehen zum Beispiel auf die derzeitige Ernährungswirtschaft zurück. Die deutsche Landwirtschaft verursacht Kosten in Höhe von 90 Milliarden Euro pro Jahr, weil sie das Klima anheizt, die Böden und das Grundwasser belastet und am Ende der menschlichen Gesundheit zu schaffen macht. Zusätzlich 300 Millionen Euro müssen jeden Tag aufgebracht werden, um ernährungsbedingte Krankheiten zu behandeln, Herzkreislaufprobleme, Diabetes, Unverträglichkeiten. Das ist ökonomischer Wahnsinn. Wir haben es mindestens dreimal am Tag in der Hand, dies zu ändern, beim Frühstück, Mittagessen, Abendbrot.
Essen aus dem Labor widerspricht dem Bio-Gedanken
Derzeit gibt es eher eine Sehnsucht nach Hausmannskost und gutbürgerlichem Wirtshaus – Königsberger Klopse kommen zurück.
Das kann ich gut verstehen. Wenn sich das Leben in so rasanter Geschwindigkeit verändert wie derzeit, dann fühle auch ich immer mal wieder Sehnsucht nach Vertrautem. Das sind dann natürlich alles konservative Bilder, Bilder von einer alten Sicherheit.
Ist das nicht auch eine Chance, wenn Spitzenköche traditionelle Gerichte kochen, auf regionales Biogemüse Wert legen, ja: auch Heimat großgeschrieben wird?
Es verstetigt einen Trend. Die Biolebensmittelwirtschaft wächst.
Sie müssen in Ihrer Branche Märkte vordenken, werden künftig mehr Mehlwürmer, Wanderheuschrecken, Hausgrillen auf den Tellern liegen?
Insekten gelten als eine gute Proteinquelle …
… und darum als interessante, auch umweltfreundlichere Fleischalternative …
… aber ob sie sich wirklich durchsetzen? Ich bin Biologin!
Sie haben schon als Kind Kellerasseln gesammelt.
Alles, was krabbelt, finde ich wahnsinnig interessant. Aber ich persönlich möchte nicht unbedingt Insekten essen. Algen haben bessere Chancen, denke ich. In der gehobenen Gastronomie werden sie schon heute angeboten.
Was ist mit Lebensmitteln aus dem Labor?
Essen aus dem Labor widerspricht dem Bio-Gedanken, weil wir auf natürliche Zutaten und Produktionsverfahren setzen. Aber sollten Rohstoffe wie Kakao teurer werden, dann werden sicher mehr Unternehmen an Alternativen aus dem Labor arbeiten. Verbraucher:innen in Deutschland ist so was aber in der Regel fremd.
Gibt es eine deutsche Esskultur?
Mit Sicherheit, aber im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern gehen wir sehr sorglos mit unserer Essensqualität um. Italiener oder Franzosen legen sehr viel mehr Wert auf gute Zutaten und deren Zubereitung. Sie zahlen auch viel mehr. Wir haben es verlernt, dass Lebensmittel einen Wert haben. Wir müssen uns darauf aber wieder besinnen.
Nicht einfach, kaum steigt der Butterpreis, beschäftigt das die ganze Republik.
Die Deutschen halten sich wirklich stark mit den Lebensmittelpreisen auf, weil wir es geschafft haben, sie in den vergangenen Jahrzehnten zu Dumpingpreisen zu degradieren. Nirgendwo sonst regt man sich so sehr über Butterpreise auf, die ja nicht einmal kostendeckend für die Erzeuger sind, zumindest nicht für die Biobauern. Selbst Menschen, die keine finanziellen Sorgen haben, tun das. Als mit dem Ukrainekrieg die Inflationsangst wieder aufkam, haben die Menschen hierzulande zuallererst an Lebensmitteln gespart. Sich an ihnen gesundzusparen, das ist aber verdammt schwierig. Ihr Konsum macht nur wenig an den Gesamtausgaben der Haushalte aus.
14,8 Prozent waren es genau genommen im Jahr 2023 durchschnittlich. 1950 mussten die Deutschen noch 44 Prozent für ihre Lebensmittel ausgeben. Ist das keine gute Entwicklung?
14,8 Prozent ist so wenig wie in kaum einem anderen EU-Land. Wenn man sich gleichzeitig anschaut, wie viel teurer Urlaubsreisen geworden sind, Österreich hat Rekordbuchungen bei deutschen Touristen bei saftig gestiegenen Preisen. Es regt sich auch keiner über die gestiegenen Kosten für einen Flug nach Barbados auf.
Den Flug leisten wir uns einfach, wir haben es doch verdient?
Das ist eine Wertedesorientierung. Wir denken zu wenig darüber nach, was uns Essen wert ist und wert sein sollte. Wir haben uns doch auch gutes Essen verdient.
Deutschland hat im Body-Mass-Index die Engländer überholt. Wir bewegen uns auf die Amerikaner zu
Es gibt Leute, die sich am Monatsende vielleicht nur noch Toastbrot leisten können.
Das gehört sich in einem immer noch wohlhabenden Land wie Deutschland nicht und muss geklärt werden. Gute Ernährung steht allen zu, ist ein Menschenrecht. Wir haben zudem ja auch einen eklatanten Fachkräftemangel in diesem Land und eine enorm hohe Krankenquote. Wir dürfen uns – kühl volkswirtschaftlich betrachtet – gar nicht leisten, dass sich Menschen schlecht ernähren.
Wie muss Politik gegensteuern?
Bisher gibt es nicht einmal in der Ausbildung der Ärzte das Thema Ernährungsmedizin. Außerdem ist die Ernährung in Kitas, in Schulen, auch in Krankenhäusern bodenlos schlecht. Waren Sie mal in einem Krankenhaus und haben versucht, mit dem Essen dort gesund zu werden?
Bislang zum Glück nicht.
Ich musste einer Freundin etwas zu essen mitbringen, weil das Krankenhausessen so unverträglich war. Das machen andere besser. Dänemark zum Beispiel, Kopenhagen besonders. Dort ist die Versorgung in öffentlichen Küchen zu 90 Prozent auf Bio umgestellt, es gibt weniger Fleisch, mehr Gemüse.
Woher nehmen die das Geld für besseres Essen?
Das ist gar nicht viel teurer. Die „Kantine Zukunft“, die in Berlin die städtische Gemeinschaftsgastronomie weiterentwickelt, zeigt das auch hierzulande schon. Es gibt dort immer noch Currywurst, aber nicht so oft. Deutschland hat im Body-Mass-Index die Engländer, die mal für ihre schlechte Küche und übergewichtige Kinder verschrien waren, überholt. Wir bewegen uns auf die Amerikaner zu. Die Lebenserwartung sinkt. Nichts ändern wird teurer.
Großbritannien hat, anders als Deutschland, eine Zuckersteuer auf Softdrinks wie Cola und Red Bull, mit ihr ging die Fettleibigkeit zurück.
Auch. Aber das, was wir essen, das prägt uns von Anfang an, also auch eine vernünftige Ernährung etwa im Kindergarten.
Was muss raus aus den Supermärkten?
Auch ich mag Chips. Aber der Supermarkt meiner Idealvorstellung hätte weniger Fertigprodukte, mehr frische Ware, natürlich in Bioqualität.
Was sagen Sie Friedrich Merz, dem Kanzlerkandidaten der Union, wenn Sie ihn treffen?
Eigentlich ist gutes Essen und eine die Schöpfung wahrende Ernährungswirtschaft ein zutiefst konservatives Thema. Das werde ich ihm ans Herz legen. Auch, dass alles dabei möglich ist: zum Hauptgang ein Braten, danach ein veganer Nachtisch. Es muss normal werden, sich das aussuchen zu können. Die kulturelle Bedeutung von Essen ist doch so groß. Die besten Partys enden in der Küche.
Wann bloggen Sie unter dem Hashtag #andresisstauch?
Wenn ich Zeit dafür habe. Aber dafür koche und esse ich zu gerne. Und zu gutem Essen finden auch die besseren politischen Diskussionen statt. Es ist nachgewiesen, dass Menschen offener und gesprächsbereiter gestimmt sind, wenn sie eine Tasse Tee in der Hand halten.
Tina Andres (54), geboren in Krefeld, ist Biologin, Jazz- und Chansonsängerin, vor allem Vorsitzende des „Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft“. Als solche mischt sie sich ein in die Agrarpolitik – und kennt sich so gut wie kaum eine andere mit den Trends aus: Was verkauft sich im Supermarkt, was ordern Gastronomen, und was nicht? Sie ist selbst praktisch im Geschäft, leitet als geschäftsführende Vorständin die Landwege Genossenschaft in Lübeck
Tina Andres (54), geboren in Krefeld, ist Biologin, Jazz- und Chansonsängerin, vor allem Vorsitzende des „Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft“. Als solche mischt sie sich ein in die Agrarpolitik – und kennt sich so gut wie kaum eine andere mit den Trends aus: Was verkauft sich im Supermarkt, was ordern Gastronomen, und was nicht? Sie ist selbst praktisch im Geschäft, leitet als geschäftsführende Vorständin die Landwege Genossenschaft in Lübeck