Patt Die ukrainische Militärführung hofft auf den baldigen Einsatz von US-Panzern des Typs Abrams, sowie britischer Challenger-Panzer. Positive Auswirkungen der Lieferung deutscher „Leopard“-Panzer lassen sich bisher nicht verzeichnen
Ein ukrainischer Soldat beobachtet die Front in der Nähe der Stadt Maryinka im Donezker Gebiet
Foto: Finbarr O’Reilly/NYT/Redux/Laif
Seit sieben Wochen läuft die lange angekündigte ukrainische „Gegenoffensive“, und die Ergebnisse sind mehr als ambivalent. Zwar verzeichnen die Angreifer kleinere Geländegewinne an einzelnen Frontabschnitten, jedoch zu einem immensen Blutzoll und mit hohen Verlusten westlicher Militärtechnik. Genaue Angaben lassen sich kaum machen, doch schätzt die New York Times unter Verweis auf europäische und US-Beobachter, dass die ukrainische Armee allein in den ersten zwei Wochen der Offensive etwa ein Fünftel ihrer Ausrüstung verloren hat. Was vor den Operationen von Kiewer und westlichen Medien als lawinenartiger Durchbruch bis zum Asowschen Meer erwartet wurde, ist in der Realität zu einer Materialschlacht und einem Gemetzel an einer fast s
einer fast statischen Frontlinie geworden. Oftmals gehen Ortschaften von einer Hand in die andere, sodass als eingenommen deklarierte Territorien in einer Grauzone verbleiben.Die Gründe für diese Lage sind vielfältig. Die russische Armee hatte Zeit, sich auf die Offensive vorzubereiten, die wohlgemerkt in allen Details wochenlang von der ukrainischen Regierung herausposaunt wurde. Entsprechend waren Vorkehrungen getroffen – durch Panzerabwehrstellungen, eingeschossene Artilleriepositionen und hektargroße Minenfelder. Folgerichtig endeten viele Vorstöße ukrainischer Sturmtruppen in einem Blutbad. Panzerverbände gerieten in Minenfelder und wurden zu Fallen für die Besatzungen. Durch ein Zusammenspiel von russischer Artillerie, Kamikaze-Drohnen und Kampfhubschraubern wurde Technik vernichtet, noch bevor sie überhaupt den ersten Schuss abgeben konnte. Es kursieren Aufnahmen davon, wie vorrückende Kolonnen auf dem Marsch zerschossen werden und wie in einer Schießbude ein Fahrzeug nach dem anderen verlieren.Für ein ernüchterndes Bild sorgen deutsche Leopard-Panzer, die zuvor fast zur Wunderwaffe und zum „Game Changer“ erklärt wurden. In sozialen Netzwerken kursierte ein regelrechter Hype um die Panzer unter dem Hashtag #freetheleopard – „befreit die Leoparden“. Diese würden die russischen Linien durchbrechen und in Kürze vor der Krim stehen, so die virale Vision zahlreicher User und Portale. Die Realität sieht anders aus. Die „Leoparden“ erweisen sich an vielen Sektoren der Front als zu schweres, unbewegliches Gerät und werden zu einem überraschend leichten Ziel. Fahrzeuge bleiben in Minenfeldern ohne Ketten liegen und werden von ihren Besatzungen verlassen. Wie groß die Enttäuschung über die Durchschlagskraft der „Leoparden“ ist, kam recht unmissverständlich in einem Interview des ukrainischen Armeebefehlshabers Walerij Saluschnyj zum Ausdruck. „Ein Leopard auf dem Schlachtfeld ist kein Leopard, sondern eine Zielscheibe“, so die Kernaussage.Die Vorwürfe lösten international wilde Debatten über die Frage aus, ob die Panzer nun „überbewertet“ oder „von den Ukrainern falsch eingesetzt“ seien. Weitgehend einhellig wird geurteilt, dass die deutsche Rüstungsindustrie einiges an Imageschaden verkraften muss. Der „Leopard“, noch vor Kurzem als der womöglich beste Panzer der Welt gehandelt, dürfte in naher Zukunft kaum die Bilder brennender Exemplare in der ukrainischen Steppe loswerden. Einen vergleichbaren Eindruck vermittelt auch anderes westliches Gerät, sei es der US-Truppentransporter Bradley oder die französische Panzerhaubitze CAESAR.Materialtechnisch dürfte die ukrainische Armee zunächst dennoch keine Probleme haben. Verlorenes Equipment wird fast komplett durch westliche Regierungen ersetzt. Unlängst verkündeten Deutschland, die USA und Großbritannien die Lieferung nächster Bradleys, Leoparden etc., um Verluste quantitativ komplett auszugleichen.Entscheidend ist weniger das Material, sondern die menschlichen RessourcenZudem erhält die Ukraine weitere tödliche und umstrittene Waffensysteme, etwa französische Scalp-Marschflugkörper und US-Streumunition. Die Frage der Ausstattung dürfte somit nicht das Problem sein, eher gilt das für die menschlichen Ressourcen. Je nachdem, welche Kriterien man anwendet, hat es in der Ukraine mittlerweile acht bis zehn Mobilmachungswellen gegeben. Es wird schwieriger, neue Kämpfer zu rekrutieren. Ukrainische soziale Netzwerke füllen sich seit Wochen mit Bildern, wie junge Männer sich wehren, wenn sie durch Armeekommandos von der Straße weggezerrt werden. Noch vor der Offensive schrieb das Wall Street Journal, viele Männer versuchten, der Mobilmachung zu entkommen, sei es durch Bestechung, Flucht ins Ausland oder das Untertauchen im Inland. Angesichts der Verluste bei der Offensive, die – obwohl darüber durch eigene Medien nicht berichtet wird – für die Bevölkerung immer offensichtlicher werden, dürften die Probleme für den ukrainischen Generalstab exponentiell wachsen.Auf russischer Seite stellt sich die Personalfrage nicht weniger scharf. Die im Herbst 2022 mobilisierten Soldaten stehen nun schon seit Monaten unter permanentem Beschuss an der Front und haben kaum Möglichkeiten auf Erholung oder Urlaub, da es keinen Ersatz gibt. Ein russischer Kommandant umreißt die Lage mit dem Hinweis, dass in seiner Einheit von 40 Mann tatsächlich nur acht einsatzbereit an der Front stehen würden. Die anderen seien entweder verwundet oder rotierten zwischen Ruhestellung und Graben. Die russische Kriegsdebatte warnt eindringlich Richtung Moskau, dass die Front kollabieren könnte, wenn nicht dringend personelle Entscheidungen getroffen würden. Allenthalben kristallisiert sich die Forderung nach einer neuen Mobilmachung heraus – nicht morgen, eher heute, am besten gestern. Ob der Kreml darauf eingeht, ist alles andere als klar. Augenscheinlich werden innere Turbulenzen befürchtet, sollte die Bevölkerung vor eine zweite Mobilmachungswelle gestellt sein.Für die ukrainische Regierung dürfte ein Scheitern der Offensive unweigerlich zu Verhandlungen mit Gebietsabtretungen führen, was für Kiew (noch) undenkbar ist. Der russische Generalstab wird weiter kämpfen, weil er das eingenommene Terrain um jeden Preis halten will. Dass vorerst niemand ermüdet, liegt auch daran, dass sowohl Moskau als auch Kiew noch Asse im Ärmel zu haben glauben. Auf ukrainischer Seite sind das die amerikanischen Abrams- und die britischen Challenger-Panzer, die bislang noch in kein Gefecht gezogen sind. Für beide Typen schließen ukrainische Truppen gerade ihre Ausbildung ab, darunter in Deutschland. Es wird erwartet, dass Kiew mit dieser Ausrüstung eine zweite Phase der Offensive einläutet.Ob die – in der russischen Kriegsdebatte als „zweite Welle“ bezeichnet – noch kommt, wird auf beiden Seiten der Front als sicher betrachtet. Hochgepusht wird dies nicht zuletzt durch britische und US-Stimmen aus Medien und Politik. Anfang Juni, als die ukrainische Offensive erst anlief, schrieb etwa Colonel a. D. Stephen de Bretton-Gordon, britische Panzer würden schon bald „Putins Wehrpflichtige wegfegen“. Dies wisse er „als ehemaliger Panzerkommandant“. Ähnliches verlautete aus dem Weißen Haus: Abrams-Panzer würden schon bald helfen, „die Lage auf dem Schlachtfeld zu ändern“. Russland reagierte darauf unterschiedlich. Manche Beobachter warnten vor der Gefahr britisch-amerikanischer – im russischen Sprachgebrauch „angelsächsischer“ – Panzer. Andere schossen zurück, dass die Abrams und Challenger genauso brennen werden wie die „Leoparden“. Ob die Debatte über diese Panzer ein ähnlich virulenter Hype ist wie zuvor die mit dem Hashtag #befreitdieleoparden, dürfte in der zweiten Sommerhälfte erkennbar sein.