Bauen, bauen, bauen und immer an die Mieter denken: Seit Jahr und Tag verspricht die Politik genau das. Wenig ist bis heute passiert, denn die Mietpreise sind auf einem Rekordhoch. Über mögliche Lösungen und erprobte Alternativen
Traumhaus oder Baumhaus: Wohnen müssen alle. Bloß wie schafft man es schöner, linker, günstiger?
Illustration: der Freitag
In deutschen Großstädten und Ballungsräumen ist es vielleicht das drängendste Problem überhaupt: Wohnen. Dabei gehört es zu unseren elementarsten Bedürfnissen, ein Dach über dem Kopf zu haben. Umso größer sind die Wut und die Verzweiflung über steigende Mieten, die viele sich nicht mehr leisten können, steigende Haus- und Wohnungspreise, bei denen nur noch ein paar Erben und Großverdiener mitbieten können, über Wohnungsknappheit und Verdrängung.
„Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit“, sagt auch die Frau, deren Job es wäre, darauf Antworten zu finden: Bauministerin Verena Hubertz (SPD), so in einem Interview mit der Zeit im Mai. Und vielleicht ist ja die Abhilfe nicht mehr weit? Durch den Ge
erin Verena Hubertz (SPD), so in einem Interview mit der Zeit im Mai. Und vielleicht ist ja die Abhilfe nicht mehr weit? Durch den Geldregen des Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität, das 500 Milliarden über das ganze Land verteilen soll, kann sich das Bauministerium nach den Haushaltsverhandlungen zumindest auf elf Milliarden aus dem Sondervermögen für Wohnungsbau freuen.Doch ist „Bauen, bauen, bauen“ wirklich die Lösung? Hubertz und die schwarz-rote Bundesregierung jedenfalls wollen auf den Bau-Turbo drücken, den schon die Ampel ersonnen hatte. Dabei gibt es immer mehr Leute vom Fach, die statt Neubau andere Möglichkeiten fordern. Aus guten Gründen. Laut der letzten Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 stehen in Deutschland etwa zwei Millionen Wohnungen leer, vor allem in den Großstädten.Allein in Berlin sollen es um die 40.000 sein. Hinzu kommt der Leerstand in Ferienregionen durch Zweit- und Drittwohnungen und der spekulative Leerstand. Vielleicht geht es also eher um Umverteilung und Umnutzung von bereits existierendem Wohnraum als um Neubau und Verdichtung? Das wäre auch aus ökologischen Gründen sinnvoll: Die Baubranche gehört zu den größten Verursachern von CO2-Emissionen, die Versiegelung der Städte bewirkt Temperaturunterschiede von bis zu sechs Grad im Innen- und Außenbereich. Wie verteilen wir Wohnraum gerechter?Statt diese Trends zu verstärken, wäre die Frage also eher: Wie verteilen wir vorhandenen Wohnraum gerechter und angemessener? Hier sind vier Antworten: Vier Alternativen, vier kleine Utopien, wie Wohnen anders möglich ist.„Hütten und Paläste“, so heißt das Architekturbüro, das Frank Schönert und Nanni Grau vor 20 Jahren in Berlin begründet haben. Der Name ist Programm: Schon 2018 hielten die beiden Vorträge zum Thema „Bezahlbar besser wohnen“. „Bei uns geht es nicht nur um reines Wohnen, sondern auch ums Arbeiten, um die Gemeinschaft und um das Miteinander“, sagt Schönert. Zu Anfang arbeiteten die beiden mit der Idee des minimalen, modularen Bauens. Sie entwarfen Bungalows zum Auseinanderklappen und Zusammenschieben, zeitlos und mit Mies van der Rohes Entwurfsgedanken „Weniger ist mehr“. Schönert sagt: „Wir haben Holzhäuschen gebaut, Ein-Raum-Häuser, die rein baurechtlich gar keine richtigen Gebäude sind.“ Beide wollten nach dem Studium nicht nur neue Möglichkeiten des Bauens ausprobieren, sondern mit ihren Ideen in die Gesellschaft wirken. Die baurechtlichen Normen und Grenzen empfanden die Architekten als Ansporn.Mit einem Projekt am Holzmarkt in Berlin-Mitte begann 2012 aber bei Grau und Schönert ein Umdenken. Sie arbeiteten mit Genossenschaften und Stiftungen zusammen und erkannten den Wert von alternativen Finanzierungsmodellen für Gemeinschaften, die sich vor allem als Wertegemeinschaft verstanden: „Wir haben einen Ort entworfen, der nie fertig wird und immer offen für Veränderungen bleibt.“Bauen schafft nicht immer Neues, sondern zerstört auch BewährtesIm brandenburgischen Prädikow entwickelten sie dann ein Gemeinschaftshaus. Dieser Ort funktioniert wie ein Dorfballsaal: Eine Scheune wurde zu einem Treffpunkt mit Kneipe umfunktioniert. Hier im Schwarzen Storch finden Konzerte, Versammlungen und Yoga-Kurse statt. „Seit zehn Jahren beschäftigen wir uns nur noch mit dem Umbau. Dass der Umbau teurer ist, stimmt einfach nicht! Wenn der Bestand intelligent mitgedacht wird, ist das sogar deutlich günstiger als beim Neubau“, sagt Frank Schönert über den neuen Treffpunkt im Dorf. „Im Sinne ressourcensparenden Bauens brauchen wir ein Nachdenken darüber, was man wirklich zum Leben braucht und worauf man locker verzichten kann“, so Schönert.Auch für Carl Waßmuth, Bauingenieur mit einem eigenen Ingenieurbüro in Berlin, sind alte Gebäude keine Wegwerfprodukte. Dass Bauen nicht nur Neues schafft, sondern auch zerstört, reflektierte der 56-Jährige bereits nach kurzer Zeit im Job: „Die reine Bauausführung führte nicht zu dem Ziel, das ich mir erhofft hatte – nämlich für die Gesellschaft Gutes zu tun.“Gebäude in die Landschaft zu stellen, an einem Ort zu bauen, während woanders abgerissen wird, könne nicht Sinn seiner Arbeit sein, so Waßmuth. „Wir haben uns auf die Neubauten gestürzt, in der Hoffnung, dass Wohnungen bezahlbar sind, und haben das Gegenteil bewirkt: Wohnraum ist kaum noch bezahlbar.“Auch während seines Ingenieur-Studiums ging es immer nur um Neubauten, nie um Bestand. Um gegenzusteuern, gründete Waßmuth den Verein „Gemeingut in BürgerInnenhand“ mit. Der gemeinnützige Verein ist seit 15 Jahren bundesweit aktiv, er setzt sich vor allem dafür ein, dass öffentliche Infrastruktur, von Schulen, Verkehrsmitteln bis zu Krankenhäusern, im Besitz der öffentlichen Hand bleibt und nicht privatisiert wird.Auch eine Lösung: Der klassische WohnungstauschDerzeit kämpft der Verein zum Beispiel für die Erhaltung des Berliner Sport- und Erholungszentrums (SEZ), eines multifunktionalen, gewaltigen Architekturkomplexes aus DDR-Zeiten im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, mit 14.000 Einwohnern pro Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte Bezirk in Berlin. Das Freizeitzentrum soll dem Bau von 500 Wohnungen, einer angrenzenden Schule und Freizeitstätten weichen.Nach etlichen Protesten der Anwohner beabsichtigt die Berliner CDU, sich nun für eine Teilnutzung als Sportstätte einzusetzen. Denn Räume für den Ausgleich, Sport und Erholung sind hier dringend nötig. „Uns geht es um öffentliche Güter wie Wasser, Gesundheit, Mobilität und Wohnen. Und darum, in Würde zu leben“, so Waßmuth.Die Megaprobleme auf dem Wohnungsmarkt will der Bauingenieur aber auch mit einem anderen Mittel angehen: dem klassischen Wohnungstausch. Den sieht auch Gemeingut in BürgerInnenhand als wichtiges Werkzeug an. „Um 1990 waren es in Deutschland knapp 80 Millionen Menschen, heute sind es etwa 83,6 Millionen.Aber wir haben 30 Prozent mehr Wohnungen und sogar 47 Prozent mehr Wohnfläche bekommen“, rechnet Waßmuth vor. „Wir könnten also bis zu 117 Millionen Menschen Wohnungen anbieten, ohne dass es enger werden würde als 1990. Stattdessen haben wir klimaschädlichen Wohnflächenverbrauch bekommen und spekulativen Leerstand.“Der Wohnungstausch müsse deshalb öffentlich und in großem Maßstab organisiert werden. Das ginge nur über die öffentliche Hand als Vermittler. „In Berlin hat man es immerhin geschafft, dass alle sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften eine zentrale Plattform haben. Wir müssen Anreize dafür schaffen, damit Menschen ihre Wohnungen tauschen wollen.“ Das könnte etwa der Umzug von der vierten in die erste Etage sein oder ein Umzug in die Nähe der Enkel, mit dem Verzicht auf die größere Wohnung. Auch die finanzielle Unterstützung eines Umzugs gehöre dazu, weil das wesentlich preiswerter sei als neu und mehr zu bauen. Waßmuth will weg vom „Höher, schneller, weiter“ der Baubranche und setzt auf „politische Bewusstwerdung“.Ab ins Umland und kreativ werden„Wir hatten die Faxen dicke mit der Wohnsituation und der Verdichtung der Stadt. Berlin ist nicht mehr lebenswert, zu teuer, laut und dreckig. Es gibt keine Freiräume und kaum Platz zum Toben oder Spielen für die Kinder“, sagt Manja Piotrowski.Vor sieben Jahren gründete sie mit weiteren Berliner*innen deshalb den Verein „Fairwurzeln“. Die 27 Mitglieder und ihre Kinder möchten sich an einem besonderen Ort, im brandenburgischen Kolberg, verwurzeln. Das „Funkinstitut“ ist ihr neuer Lebensmittelpunkt. In der DDR war das ehemalige Institut für Funktechnik mit der gesamten Funknetzplanung betraut. Auf dem denkmalgeschützten Gelände befinden sich noch der neunstöckige gemauerte Messturm und mehrere Nebengebäude. Der Verein kaufte dieses Gelände 2020 einem privaten Investor ab, der zuvor das Grundstück im Jahr 2010 von der Deutschen Post erworben hatte. „Als wir Kolberg fanden, waren wir 17 Vereinsmitglieder. Wir haben Eigenkapital aufgebracht und uns als Partner die GLS-Bank geholt“, erzählt die 57-Jährige.Ein offener Ort zum Wohnen, Leben und ArbeitenPiotrowski kommt ursprünglich aus Sachsen und ist Streetworkerin bei Gangway, einem Berliner Verein für Jugendarbeit. In Kolberg ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Zuerst hätten sie den Kontakt zum Bürgermeister aufgenommen, um zu erfahren, ob die Gemeinde die Umnutzung der Gebäude unterstützen würde. „Dass uns die Menschen und die regionale Politik hier haben wollten, war für uns der entscheidende Punkt.“Die Gemeinde war begeistert, dass sich ein bunter Haufen großstadtmüder Visionäre in Kolberg verwurzeln wollte. „Sie hatten Angst, dass irgendein unsensibler Investor dieses identitätsstiftende Denkmal zugunsten einer Gelddruckmaschine aufgibt“, so Piotrowski. Die Zustimmung des Bau- und Denkmalamtes hätten sie ebenfalls gebraucht und unter der Bedingung bekommen, dass sie die Gebäude nur zu Wohnzwecken nutzen dürfen.Dem Verein sei die Gemeinde aber entgegengekommen, unter anderem mit einer Neugestaltung des Flächennutzungsplans, sodass die Nutzung als Wohnraum möglich wurde. Die Bewohner des ehemaligen Instituts sind im lokalen Heimatverein aktiv und stellen Interessierten Coworking-Plätze und offene Gemeinschaftswerkstätten zur Verfügung. Für die Zukunft sind Konzerte und Theaterprojekte geplant.Der Ort ist ideal: Schön gelegen an mehreren brandenburgischen Seen, bietet sich hier viel Raum für das Ausprobieren von neuen Modellen des Zusammenlebens. Gemäß dem Motto: Neu denken, statt neu bauen.