Kennen Sie es, wenn Ihrem Gegenüber tiefe Verachtung aus dem Blick tropft? Das passiert manchmal, wenn Leute aus dem Kleingartenverein an meiner Parzelle vorbeilaufen. Die ist eine Mischung aus Cottage- und Naturgarten, ein Ökoparadies mit kleinem Teich, Benjeshecke für Wildtiere, mit Obstbäumen und -sträuchern, Schnittblumenbeeten und Unkraut. Oder jedenfalls dem, was andere als Unkraut verachten: Eselsdisteln und Brennnesseln. Falterfreundlich sind diese Pflanzen, die Raupen einiger Schmetterlingsarten etwa ernähren sich ausschließlich von Brennnesseln, weswegen sie sich zwischen Gewächshaus und hinreißend duftender Damaszener-Rose ausbreiten dürfen. Im Trockenbeet dahinter lockt Wilde Karde, deren Blätter eine natürliche Wasser

serstelle für Vögel und Insekten bilden. Und Wasser ist Mangelware in unserem Garten.Weil unsere Gartenparzelle extrem trocken und sonnig ist und wir nur mit Regenwasser wässern, müssen die Pflanzen standortgerecht gewählt sein. Sie müssen einen Temperaturbereich von minus 15 Grad bis plus 37 Grad Celsius problemlos überstehen, noch dazu auf eher sandigem Boden. Mediterrane Kräuter sind optimale Gewächse für unseren Garten. „Right plant, right place“, die richtige Pflanze für den richtigen Standort: Diese so einfache wie revolutionäre Gartenweisheit machte Beth Chatto zu einer der einflussreichsten Gärtnerinnen des 20. Jahrhunderts. Chatto bepflanzte unter anderem ein ehemaliges Parkplatzareal auf ihrem englischen Grundstück. Die Pflanzen sollten ohne Wassergaben auch trockenste Sommer überstehen, so entstand ihr gefeierter „Gravel Garden“, der nichts, aber auch gar nichts mit dem Schottergartenhorror deutscher Neubausiedlungen zu tun hat.Chatto setzte sich für Nachhaltigkeit ein, bevor der Begriff zum Stichwort der Klimabewegung avancierte. Derzeit überbieten sich Gartenzeitschriften mit Texten zur Nachhaltigkeit. Nur um dann eine doppelseitige Werbeanzeige eines Düngemittelherstellers abzudrucken, weil man Gärtnern seit Jahrzehnten erzählt, Pflanzen benötigten Dünger, um gut zu wachsen. Dabei ist die Düngemittelherstellung nicht nur CO₂-intensiv; unsere Gartenböden sind eher über- als unterdüngt.Wenn Pflanzen trotzdem nicht wachsen, hängt das mit großer Wahrscheinlichkeit mit ihrer Produktion zusammen. Nicht wenige Supermarktpflanzen wurden in Rekordzeit, ohne dass sie je echtes Tageslicht oder normale Umweltbedingungen erlebt hätten, mit Düngern, optimaler Bewässerung und Kunstlicht zu echten High-Performern erzogen. Sie blühen um ihr Leben. Blöd nur, wenn dann im Garten echte Mittagssonne, Wind, Regen oder gar Schädlinge die Schützlinge aus dem Rundum-sorglos-Internat mit der rauen Wirklichkeit konfrontieren. Da hilft nur der Rückgriff auf Pflanzen aus lokalen Gärtnereien oder die Selbstaufzucht aus Saatgut.Englische Gärten sind MistIch habe oben von Missachtung am Gartenzaun gesprochen. Auch ich kann mir die Missachtung nicht verkneifen, wenn ich Gartenfreunde beim Rasenbewässern oder Rasenmähen sehe. Als selbst ernannter „Ökosnob“ lehne ich Rasen ab. Wer sät Rasen, wenn er eine Wiese haben kann? So ein Rasen sieht eben nur dann echt „englisch“ aus, wenn er gewässert, vertikutiert, gedüngt und gemäht wird. Meine Kleewiese wird dagegen – kein Scherz – mit einer Sense gemäht. Das schützt bodennah lebende Insekten vor der Zerhäckselung im Rasenmäher.Und ich fühle mich wie die Mittagsfrau, die bei krachender Hitze über ihre Wiese gebeugt Klee schneidet und sich über Grashüpfer freut.Übrigens ist Nachhaltigkeit nicht nur das, was ein Gartensnob wie ich praktiziert. Eine meiner liebsten Gartennachbarinnen ist eine ältere Dame mit schickem grauen Bob, die beim Anblick meiner frisch gestrichenen Gartenlaube mit blauen Holzfenstern spontan Goethe zitierte („Und am Ufer steh’ ich lange Tage/ Das Land der Griechen mit der Seele suchend“) und mit der ich auch ökologisch auf einer Wellenlänge schwinge. Da wird nicht gewässert, gespritzt und gedüngt. Ihr sehr gepflegter Garten ist echte Liebesarbeit, ganz ohne Chemiekeule.Der Wunsch, nachhaltig zu gärtnern, ist kein Modethema, kein Ding der jungen Ökobewegten, sondern schlicht das, was sich bei Gärtnern bewährt hat. Der ganze Rest bewässert und düngt kümmernde „Prachtstauden“, die mit der Gartenwirklichkeit leider nicht klarkommen.



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Von Veritatis

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