Der Leipziger aus Wien wird leichthin abgetan als Komponist sozialistischer Kampflieder und der Nationalhymne der DDR. In weiten Hörerkreisen gilt das als Stigma. Zu Unrecht. Das Jahr seines 125. Geburtstags ist Grund genug, ihm mehr Gehör zu schenken.
Was wäre in Leipzig und im Rest der Republik nicht alles aufgeboten worden in diesem Sommer, 2023, hätte es die DDR noch gegeben! Mindestens von “unserem Hanns” wäre seitens der DDR Kulturoffiziellen in typisch kumpelig-vereinnahmend-ranschmeißerischer Manier die Rede gewesen zum 125. Geburtstag des Komponisten Hanns Eisler am 6. Juli. Nun, es reichte zu diesem Anlass immerhin zu einer sehenswerten Ausstellung im Leipziger Stadtgeschichtlichen Museum (bis zum 15. Oktober). Der Schöpfer der DDR-Nationalhymne, “Auferstanden aus Ruinen” zum Text von Johannes R. Becher und zahlreicher anderer Kompositionen in fast allen Genres war gebürtiger Leipziger. Familie und Zeitläufte führten ihn jedoch zur Kindheit und Jugend nach Wien. Ersten musikalischen Eindrücken und Einflüssen in der Donaumetropole, unter anderem bei Arnold Schönberg, folgt in den 20er/30er-Jahren die erste Zeit in Berlin, wo er bald massiven Einfluss auf die Musik der Arbeiterbewegung nimmt, eng mit Bertolt Brecht und Ernst Busch zusammenarbeitet.
Das Exil während der Nazizeit führt den Kommunisten jüdischer Abstammung von Moskau über Wien und Spanien, wo er im Bürgerkrieg mit den Interbrigaden neues Liedgut einstudiert, nach Dänemark und weiter in die USA, wo er unter anderem in Hollywood an Filmmusiken arbeitet – und wegen angeblicher “unamerikanischer Umtriebe” im Februar 1948 des Landes verwiesen wird. Nach einem einjährigen Intermezzo in Wien siedelt er im Sommer 1949 in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands über, wenig später DDR. 14 Jahre bis zu seinem Tod am 6. September 1962 in Ostberlin gestaltet der Österreicher, kulturpolitisch immer weniger gelitten, das Musikleben eines Landes mit, dessen Staatsbürgerschaft er nie führte. Mal mehr, mal weniger loyal gegenüber dessen Staatspartei SED, deren Mitglied er nie gewesen ist.
“Auferstanden aus Ruinen”, “Vorwärts und nicht vergessen”, “Roter Wedding”. X-mal gehört. Aber gern? Diese anstrengenden, weil plakativ-verbissen wirkenden Werke verstellen den Blick auf ein breites Schaffen, das oft rein musikalisch wirkt, manchmal politisch, nicht immer agitatorisch. Ein Schaffen, das im Jahr des 125. Geburtstags einen neuen Blick wert ist. Etwa für …
… Piano-Kids:
Die 1932 entstandenen Klavierstücke für Kinder umfassen neben einem Variationenstück, das einem zehntaktigen Thema mit Einfachheit und Raffinement spannende Wendungen abgewinnt, sieben weitere Miniaturen. Bei allen Anklängen an Bach oder Schumann agieren sie doch immer wieder am Rande der Komfortzone und bleiben dabei zugänglich. Etüden sind doof, Kanons langweilig, Fugen vorhersehbar? Eisler: “Hold my beer.”
… Filmfreunde:
Für fast 40 Filme hat Eisler die Musik komponiert – die Mehrzahl davon in den USA. Ein frühes Beispiel, entstanden um 1933 kurz nach dem bekannteren, aber deutlich grobschlächtigeren Soundtrack zu “Kuhle Wampe”, sind seine kunstvollen Instrumentalsätze zum Film “Dans Les Rues” von Victor Trivias. Auf charakteristische Weise verschränken sie die melancholische Melodik Kurt Weills mit den harmonischen Mitteln Johann Sebastian Bachs, abgeschmeckt mit einer winzigen Prise Blues. Ergebnis ist eine Stilmelange von zeitloser Schönheit, die nicht mal der dazugehörigen, inzwischen vergessenen bewegten Bilder bedarf.
… Kabarettfans:
“Eben war noch alles voll Beschwerden, jetzt ist alles golden überhaucht”: Warum hört man dieses Lied nicht öfter? Selten hat Hanns Eisler einen so beißend ironischen, unpathetischen und zeitlosen Text von Bertolt Brecht vertont wie das “Lied von der belebenden Wirkung des Geldes”. Eine der großen Nummern der berühmten Gisela May, der es dereinst der Meister selbst am Klavier vorgetragen hat. Ein gefundenes Fressen für jeden Chansonsänger, der es darbieterisch versteht, die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit, Erwartung und Ergebnis, bestellt und geliefert in niveauvoll-komischer Münze auszuzahlen.
… Lyrikliebhaber:
Die “Ernsten Gesänge für Bariton und Streichorchester” von 1957 nach Texten von Friedrich Hölderlin, Berthold Viertel, Giacomo Leopardi, Helmut Richter und Stephan Hermlin gehören in eine Reihe mit Orchesterliedern von Größen wie Gustav Mahler oder Richard Strauss. Ernst geht es zu, aber nicht hoffnungslos. Selbst vom Lied “Die Traurigkeit” nach dem Österreicher Berthold Viertel bleibt am Ende doch ein Hoffnungsschimmer. Relevant ist der Siebenteiler auch, weil sich hier “Hochkultur” und “Popkultur” der DDR berühren. Die Worte zum Satz “XX. Parteitag”, jenen der KPdSU, bei dem Nikita Chruschtschow 1956 erstmals die Verbrechen Josef Stalins aufdeckte, stammt von Helmut Richter, später Texter des Karat-Hits “Über sieben Brücken musst du gehen”. “Leben ohne Angst zu haben” schließt dieser Abschnitt. Eine Angst freilich, von der vorher öffentlich nie und nirgends die Rede war. Es muss wohl an der Angst gelegen haben. Brechts Zeilen “In den finsteren Zeiten – wird da auch gesungen werden? Da wird auch gesungen werden. Von den finsteren Zeiten.” trafen allemal auf den Stalinismus nicht zu.
… historisch Interessierte:
Von der Länge her dringt sie bis in brucknersche, mahlersche Dimensionen vor, die “Deutsche Sinfonie”. Eher ein weltliches Oratorium für Mezzosopran, Bariton, Bass, zwei Sprecher, gemischten Chor und großes Orchester. Hier legt Hanns Eisler ein musikalisches Kolossalgemälde des Kampfes der Arbeiter-und-Bauern-Bewegung in Deutschland vor. 70 Minuten, elf Sätze, eine Arbeiter- und eine viersätzige Bauernkantate inklusive. Tübke für die Ohren. Nur abstrakter. Im Exil bei Brecht in Dänemark 1935 begonnen, wird das abendfüllende Werk 1958 vollendet, 1959 in Berlin uraufgeführt. Texte von Brecht und Ignazio Silone. Musikalisch beeindruckend konsequent, zwölftönig, modern, sperrig und doch spannend, bei weitem nicht so volksnah wie es sich die DDR-Kulturpolitik bei einem so zentralen, das Selbstverständnis des Staates mitformenden Werk erhofft haben dürfte. Was stutzig macht und auch wieder nicht: Die an prominenter, zweiter Stelle platzierte Passacaglia “An die Kämpfer in den Konzentrationslagern” kennt, wie damals im DDR-Gedenken üblich, nur Kommunisten als Opfer. Kein Wort vom Leid der Juden, obwohl auch Eisler zu diesem Volk gehörte. Aber auch jeden finalen Heroismus oder Optimismus verweigert er. Stattdessen ein berührender Epilog. Eine musikalische Pietà, die die Stimmung des Auftaktchorals (“O Deutschland, bleiche Mutter! Wie bist du besudelt von dem Blut deiner besten Söhne!”) wieder aufnimmt: “Seht unsere Söhne, taub und blutbefleckt vom eingefrornen Tank hier losgeschnallt: Auch selbst der Wolf braucht, der die Zähne bleckt, ein Schlupfloch! Wärmt sie, es ist ihnen kalt”, singt der Mezzosopran, unterstützt vom Chor. Statt eines frohgemuten Marsches in eine lichte Zukunft geht es am Ende nur um ein kleines bisschen Wärme: “Thematisiert wird, dass man sich von der Vergangenheit nicht trennen kann, dass kein Schnitt hilft, dass das Verhalten der Söhne nicht auszublenden ist, dass sie aber trotzdem der Tröstung bedürfen, sofern sie sich erkennen und bewusst sind, an was sie mitgewirkt haben”, schreibt Musikkritiker Martin Hufner dazu.
… Klavier-Gourmets:
Zwei Pianisten an zwei Flügeln sehen nicht, was der andere tut. Insofern sind sie ständig am Antizipieren, und das macht die Darbietung von Eislers temporeicher “Ouvertüre für zwei Klaviere” zum musikalischen Drahtseilakt, einer stets überraschenden, temporeichen, effektvollen Wanderung durch Takte, Tempi und Tonarten, frisch, belebend, zeitlos.
… Traditionalisten:
In einem satten Orchesterton eislerscher, also leicht intellektuell-cool-melancholischer Färbung kommen die acht kurzen Sätze der Orchestersuite “Sturm” (1957) daher, verfasst als Bühnenmusik zum gleichnamigen sowjetischen Revolutionsstück von Wladimir Bil-Belozerkowski. Kurzweilig mit Stilelementen und Versatzstücken vom Barock bis in die Neuzeit spielend, bald heroisch, dramatisch, hektisch, verträumt, elegisch, tänzerisch, mysteriös vermitteln die 13 Minuten Musik ein Wechselbad der Gefühle in extremer Dichte.
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