Wenige Tage vor dem Anschlag auf die Konzerthalle bei Moskau, der von Tadschiken verübt wurde, reiste ich zufällig durch Tadschikistan, aus Neugierde auf die afghanische Grenze und die Taliban, die nun von aufstrebenden IS-Khorasan-Dschihadisten als paschtunische Provinztrottel bekämpft werden. Ich kam durch Gegenden ohne Elektrizität, sah Dörfler im kalten Gebirgswasser des Serafschan-Flusses ihre Wäsche waschen, machte auch in der Hauptstadt Duschanbe zwei Stromabschaltungen täglich mit und nahm in einem auf den ersten Blick marmorpalastähnlichen Hotel eine Dusche ohne Wasser.
Obwohl etwa 25 Prozent der Bevölkerung Afghanistans so tadschikisch und sunnitisch sind wie die Mehrheit der Bewohner Tadschikistans, hat das keine Bindungen zur Folge. Manche in Tadschikistan meiden afghanische Tadschiken. Die würden in Erdhäusern leben. Obwohl der tadschikische Präsident Emomalij Rahmon – er regiert seit 1994 – schon mal Dutzende von Hidschab-Läden dichtmachen ließ, war jetzt das Abhalten des Ramadans schwer in Mode. Mir wurde in Duschanbe nach dem glockenhellen Allah-Gesang einer Dagestanerin eine Sage vorgespielt, die mit der Ansage einer einfachen Frau anhob: „Richte dem großen Pharao aus – Allahu akbar!“ Das Martyrium jener Muslima – Söhnchen in siedendes Öl getaucht – rührte mich fast zu Tränen.
Dann, im südlichen Dreiländereck zwischen Tadschikistan, Usbekistan und Afghanistan mit seinen gut 600 Staubdunst-Stunden jährlich, sah ich über den mäandernden Amudarja ins Land der Taliban hinüber. Der tadschikische Grenzübergang nach Usbekistan war den dritten Tag ohne Strom. Eine Beamtin saß in einer heizungslosen Betonkammer, sie trug meine Daten händisch ein. Ich fuhr an die usbekisch-afghanische Grenze bei Termez zur „Brücke der Freundschaft“, über die Anfang 1989 der letzte sowjetische Soldat Afghanistan verlassen hatte. Die Aufschriften der wartenden Lkw sorgten für ein Zeitgeschichtspanorama mit Speditionen aus Deutschland und Umgebung. Es war viel los, aber die Kolonne rückte zügig vor. Ich traf auf den exklusiven Kreis von Fernfahrern, die Afghanistan kannten, auch wenn manche nur die paar Kilometer bis zum Containerhafen am Amudarja machten. Sie würden nie unnötig lange in Afghanistan bleiben: „Du weißt ja nie, was denen einfällt. Plötzlich geht die Grenze zu, und du sitzt fest.“
Einige dieser ethnischen Tadschiken und Usbeken äußerten Vorurteile gegen Afghanen: einerseits würden die feinsten Neubauvillen in Termez Afghanen gehören, andererseits Afghanen auf den Straßen von Termez rauben und vergewaltigen. Einig waren sie sich darin, dass sich die Taliban seit ihrer Herrschaft vor 2001 gemäßigt hätten. Die über 20 Jahre amerikanisch angeleitete Afghanistan-Demokratie hätte für sie als Chauffeure Chaos, Gewalt und Wegelagerei bedeutet. Jetzt sei es drüben ziemlich ruhig.
Das Aroma Afghanistans
Ich traf einen Paschtunen aus Kandahar, der als Ehemann einer Usbekin in Termez lebte. Er sprach fließend Russisch und klagte: „Auch nach 20 Jahren wollen sie mir keinen usbekischen Pass geben.“ Ein Tadschike an gleicher Stelle war dermaßen vom Aroma Afghanistans angefixt, dass er mit seinem Kleinwagen vor der Brücke herumwieselte. Er zeigte mir, was er in Masar-e-Scharif gefilmt hatte, zum Beispiel sehnige Malocher auf einem Markt, die mit einer hölzernen Rückentrage „150-Kilo-Säcke schleppen, Wahnsinn!“. Sicher, Frauen hätten es dort jetzt schwer. Ein anderer Händler aus Termez, der usbekisches Sonnenblumenöl nach Afghanistan fuhr, hörte lange nur zu. Als ich mit ihm allein war, ätzte der Usbekistan-Tadschike düster gegen Afghanen, die sein neuer Präsident Schawkat Mirsijojew nun ins Land lasse. „Wir sollten uns fernhalten von denen und lieber mit zivilisierten Ländern verkehren.“ Er nannte – in dieser Reihenfolge – Russland, Deutschland und Australien.
Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa