Interview Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand glaubt nicht, dass der „grüne Kapitalismus“ uns retten wird – oder dass der überhaupt wirklich „grün“ sein kann. Ein Gespräch
„Das Angebot von Trump oder der AfD: ein autoritärer Anti-Öko-Populismus“, sagt Ulrich Brand
Foto: Anna Aicher für der Freitag
Der Begriff der imperialen Lebensweise, den Ulrich Brand zusammen mit Markus Wissen in ihrem 2017 erschienenen Buch gleichen Namens geprägt haben, ist seitdem zu einem stehenden Begriff, oder sollte man sagen: zu einem geflügelten Wort geworden. In dem Bekennerschreiben der Vulkan-Gruppe, die Anfang März die Tesla-Fabrik in Brandenburg lahmgelegt hat, kam der Begriff gleich mehrmals vor. Jetzt haben Brand und Wissen eine Fortsetzung ihres Buches vorgelegt: Kapitalismus am Limit.
der Freitag: Herr Brand, was ist diese Grenze, dieses Limit, an das die imperiale Lebensweise jetzt kommt?
Ulrich Brand: Der Begriff der imperialen Lebensweise war ein Versuch, zu verstehen, warum sich in der immer tiefer werdenden ökologischen Krise so wenig Widerstand gegen ihre Ursachen regt. D
immer tiefer werdenden ökologischen Krise so wenig Widerstand gegen ihre Ursachen regt. Das hat nicht nur mit der Macht des fossilen Kapitals zu tun, sondern auch mit unser aller Alltag, der ganz selbstverständlich Handys und Billigfleisch und große Autos und Billigflüge nach Mallorca einschließt. Das geht nur dank der Ausbeutung von Arbeitskraft und Rohstoffen von andernorts. Unsere Lebensweise funktioniert nur durch diesen permanenten Zugriff auf die Ressourcen und Arbeitskraft und Natur, in Europa selbst, aber vor allem in Bezug auf den globalen Süden; zugleich wird dieser Mechanismus unsichtbar gemacht. Das ist im Grund die Quintessenz unseres Buches von 2017. In unserem neuen Buch versuchen wir jetzt eine Zeitdiagnose. Wo stehen wir aktuell? Das war nicht leicht, weil ja, während wir daran schrieben, die Pandemie zu Ende ging und dann der Ukrainekrieg begann. Die Welt ist in Aufruhr, sie ist unübersichtlich. Trotzdem haben wir uns getraut, das große Ganze zu denken.Dass die imperiale Lebensweise selber jetzt an eine Grenze kommt?Ja, die Selbstverständlichkeit, dass unser Wohlstand auf Ausbeutung anderer Regionen, auf Ausbeutung der Natur basiert, kommt an Grenzen. Nicht im Sinne davon, dass der Kapitalismus zugrunde geht, sondern dass die Dinge, sobald wir uns einem Limit nähern, umkämpfter werden. Die CO2-Emissionen steigen weiterhin an, Versuche, das zu bremsen, haben nur mäßigen Erfolg und es gibt Auseinandersetzungen darüber, wer wie viel emittieren darf. Die globalen Rohstoffe werden umkämpfter, die Selbstverständlichkeit, mit der Europa und die USA Öl aus dem globalen Süden zu einem günstigen Preis bekommen haben, bröckelt.Es gab ja immer wieder Leute, vor allem auf der politischen Linken, die dachten: Jetzt ist der Kapitalismus an seine Grenze gekommen. Und dann fand er jedes Mal doch wieder was Neues, das er sich einverleiben konnte. Wenn unser Planet erschöpft ist: Vielleicht macht der Kapitalismus dann im Weltraum weiter? Oder er geht in die Tiefsee oder erschließt sich neue immaterielle Märkte?Klar, es gibt keine objektive Grenze, ab der der große Kladderadatsch kommt. Und natürlich hat der Kapitalismus weiterhin eine große Dynamik, jetzt zum Beispiel als „grüner Kapitalismus“. Aber unser Argument ist, dass die ökologische Krise immer disruptiver wird und dass sie immer höhere gesellschaftliche, politische, ökonomische Kosten verursacht. Denken Sie an die Überschwemmungen in Pakistan, im Ahrtal, in Slowenien, das sind Anzeichen für eine zunehmende Krisenhaftigkeit. Wir kommen beide aus der Tradition der Frankfurter Schule und versuchen, in Widersprüchen zu denken, in Ambivalenzen zu denken. Kapitalismus heißt Profit, Investition, Ausbeutung, aber eben auch Produktivität – wenngleich zu hohen Kosten: Das hört nicht demnächst auf, aber es wird prekärer.Der von Ihnen erwähnte grüne Kapitalismus wird von vielen als mögliche Rettung angesehen: nicht nur des Bestehenden, weil er den Kapitalismus dekarbonisiert, sondern auch als Lösung für die Klimakrise. Sie hingegen sprechen von dem grünen Kapitalismus als einer „passiven Revolution“. Was meinen Sie damit?Unsere Diagnose ist, dass Teile der politischen und wirtschaftlichen Eliten verstanden haben, dass wir die Klimakrise bearbeiten müssen und deshalb von den fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energieträger umsteigen wollen. Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Das ist sinnvoll und wichtig. Aber empirisch ist es so, dass im Jahr 2023 zwar die Produktion von erneuerbarer Energie ein Rekordniveau erreicht hat. Zugleich war es aber auch das Jahr mit der höchsten Nutzung von fossiler Energie. Die erneuerbare Energie scheint also keine Alternative zur fossilen Energie zu sein, sondern komplementär dazu. Unser Argument ist: Solange wir Wachstumsgesellschaften haben, die derart Energie und Rohstoffe verlangen, solange wird dieser grüne Kapitalismus selektiv und ausbeuterisch sein, und er wird auch nicht richtig grün sein können, weil er immer noch eine fossile Industrie notwendig voraussetzt.Wenn man sich die Entwicklung in Deutschland anschaut, dann kann man ja aber doch sehen, dass es gelingt, das Wirtschaftswachstum von den Emissionen abzukoppeln: Seit 1990 haben wir die Emissionen ungefähr halbiert, aber das BIP verdoppelt. Das ist doch diese Dekarbonisierung, von der alle reden?Nicht wirklich. Da spielen gleich mehrere Faktoren mit rein: Wenn wir im Jahr 1990 beginnen, dann stammt die erste Delle in den Emissionen natürlich aus der Deindustrialisierung in der ehemaligen DDR. Das zweite ist, dass viele von den besonders schmutzigen Industrien, die die Vorprodukte herstellen, die dann hier verarbeitet werden, dazu die ganze Rohstoffförderung, die Düngerherstellung, die Stahlproduktion und anderes, dass also sehr viel dieser CO2-lastigen Aktivität aus Deutschland ausgelagert wurde und nun in anderen Ländern stattfindet. Klar gibt es auch eine Reduktion der Emissionen hierzulande, die nicht nur reine Externalisierung ist. Aber eine globale Ent-kopplung, wie wir sie bräuchten, ist unserer Einschätzung nach unter kapitalistischen Bedingungen nicht möglich.Steffen Mau und andere haben in letzter Zeit immer wieder auf die dreifache Ungleichheit der Klimakrise hingewiesen, sowohl im globalen Maßstab als auch in Deutschland: Die Leute, die sehr wenig Geld haben, verbrauchen auch sehr wenige Ressourcen und haben zur Klimakrise fast nicht oder nur sehr wenig beigetragen. Sie sind aber am stärksten von den Folgen der Erderwärmung betroffen. Und die Klimapolitik, die jetzt gemacht werden soll, trifft sie auch am stärksten. Trotzdem ist diese dreifache Ungerechtigkeit in der Politik kein Thema. Niemand macht Wahlkampf und fordert: Bürgergeld-Bezieher haben die Pariser Klimaziele schon erreicht, also lasst ab jetzt nur mehr die Reichen fürs Klima bezahlen! Warum ist das so?Weil die Machtfrage nicht gestellt wird. Allerdings ist mein Eindruck, dass in den letzten Jahren zumindest ein Aspekt der ökologischen Ungleichheit durchaus politisiert wird: Lucas Chancel zum Beispiel, ein Mitarbeiter von Thomas Piketty, hat gezeigt, dass zwischen 1990 und 2019 die unteren 50 Prozent der Weltbevölkerung, was Einkommen und Vermögen angeht, 16 Prozent des CO2 emittiert haben, das oberste eine Prozent fast ein Viertel. Das ist eine irre Zahl. Diese Ungleichheit wird zwar angesprochen, aber, da gebe ich Ihnen Recht, sie wird politisch zu wenig aufgenommen. Dadurch öffnet sie Tür und Tor für eine antiökologische, rechte, autoritäre Politik.Die „autoritäre Stabilisierung der imperialen Lebensweise“.Genau. Die setzt bei der doppelten Verunsicherung der Bevölkerung an: Einmal sehen wir eine Entsicherung durch die neoliberale Politik, durch die damit einhergehende Ungleichheit. Und auf der anderen Seite eine Verunsicherung, die dadurch entsteht, dass eine Männlichkeit, die fossil gestützt wird, in die Krise kommt: Cara Daggett nennt das die Petro-Maskulinität, also eine moderne Männlichkeit, die mit Fossilismus, mit starken Autos, mit PS zu tun hat. Wenn nun weder die Klimakrise noch die Ungleichheitskrise bearbeitet werden, dann öffnet das Tür und Tor für rechte Antworten, also für die Trumps, die AfD, die FPÖ. Die bieten einen autoritären Anti-Öko-Populismus an, der sagt: Die Grünen spinnen, die wollen uns unser Schnitzel und unser Billig-Benzin wegnehmen. Das ist politisch ein sehr ernsthaftes Problem. Denn eigentlich muss das Essen teurer werden, es muss saisonal, biologisch und regional werden, zugleich müssen die Energiepreise steigen, aber zugleich darf das nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden, wie es derzeit oft der Fall ist. Das ist der Punkt: Wenn die Ungleichheitsfrage nicht thematisiert wird, dann öffnet der Versuch, ökologische Politik zu machen, die Tür für autoritäre Antworten.Wo sind die Akteure für das, was Sie solidarische Perspektiven nennen? Die Klimakrise eskaliert gerade, aber aus der Klimabewegung scheint die Luft raus …Sie haben recht, die Klimabewegung ist derzeit geschwächt und nicht sehr mobilisierungsfähig. Ich würde aber darauf vertrauen, dass immer wieder neue Bewegungen entstehen. Überhaupt ist das ja nicht nur eine Aufgabe der Klimabewegung im engeren Sinn, sondern auch eine für die Parteien, die Gewerkschaften, für alle Institutionen, Verbände und so fort. Wenn ich an die globalisierungskritische Bewegung denke, dann lag doch deren Stärke darin, dass die Gewerkschaften eingesehen haben, dass auch für sie und die Beschäftigten die Globalisierung Probleme schafft, genauso die Umweltverbände. Wir sollten die Bewegung für einen sozial-ökologischen Systemwechsel auch nicht nur auf den Schultern der jungen Leute abladen, die den Laden rocken sollen: Es ist ein viel komplexerer Prozess der Veränderung, den wir brauchen: ein sozial-ökologischer Systemwechsel.Placeholder infobox-1