Am Montag erwachte die Welt mit dieser Nachricht: Ebrahim Raisi ist tot. Eine Nachricht, die uns mit großer Freude erfüllt hat: Seit der ersten Sekunde nach der Eilmeldung zwei Tage zuvor, dass er möglicherweise bei einem Hubschrauberabsturz verunglückt ist, feiern dies Memes und Videoclips bis hin zu Feuerwerken und Tanzvideos. Man fragt sich: Wie kann der Tod eines Menschen so viele Menschen glücklich machen?
Ebrahim Raisi, auch bekannt als der „Schlächter von Teheran“ und bis gestern Präsident der Islamischen Republik Iran, war eines der Mitglieder des „Todeskomitees“. Ein vierköpfiges Komitee, das 1988 über Massenhinrichtungen von politischen Gefangenen zu entscheiden hatte. Massenhinrichtungen, die bis zu 30.000 Menschen das Leben kosteten.
Die meisten der Hingerichteten waren linke Oppositionelle: Mitglieder der Volksmudschaheddin, der sozialistischen Partei Fedaian, der marxistisch-leninistischen Tudeh Partei Irans und anderer Gruppen. Kein Urteil, kein Prozess: Selbst die Gefangenen wussten nicht, welche Brutalität sie erwartete. Tausende von Menschen, die binnen minutenlangen Verhören zum Tode verurteilt wurden.
Die Massenhinrichtungen von 1988, eines der größten Verbrechen der islamischen Regierung, markieren einen besonderen Punkt in der Geschichte des Landes. Durch die Hinrichtung von etwa 30.000 Oppositionellen gelang es dem Regime, seine Macht nach einem achtjährigen Krieg mit dem Irak zu sichern. Durch die Vertuschung der Hinrichtungen und die Auslöschung ihrer Namen aus der Geschichte gelang es dem Regime, die eigene Erzählung zu verbreiten und gleichzeitig der gesamten Gesellschaft Angst einzuflößen.
Sie kämpfen für Aufklärung und Gerechtigkeit
Das Ausmaß der Hinrichtungen von 1988 ist bis heute unklar. Das Regime weigerte sich, Informationen über die Gefangenen oder die Tatsache, dass die Hinrichtungen überhaupt stattgefunden hatten, zu veröffentlichen. „Sie brachten die Taschen (unsere Angehörigen) mit einem Lastwagen, riefen nacheinander die Namen der Gefangenen auf und übergaben den Angehörigen Taschen oder Plastiktüten mit persönlichen Gegenständen ihrer Gefangenen“, schreibt die ehemalige politische Gefangene Banou Sabri über diese Zeit, als sie die Habseligkeiten ihres hingerichteten Mannes und weiterer Verwandte abholte. „Taschen statt lebender Menschen. Alle starrten entsetzt und fassungslos auf die Namen ihrer Angehörigen, die auf den Tüten standen. Wir hatten Menschen verloren und waren selbst verloren. Von diesem Tag an war unser unvollendetes Leben auf den Kopf gestellt“, hält Sabri auf der iranischsprachigen, linken Plattform Akhbare Rouz fest, wo persönliche Texte von Angehörigen veröffentlicht werden.
Die Familien der Hingerichteten von 1988 kämpfen bis heute für Aufklärung und Gerechtigkeit. „Mütter von Khavaran“ ist eine der Gruppen, die sich nach der Ermordung ihrer Angehörigen trotz wiederholten Drucks, Repressionen des Regimes und Schikanen organisiert haben. Die Familien, deren Angehörige in Massengräbern in Khavaran, südöstlich von Teheran, ohne Grabstein, ohne Erlaubnis nach Trauerfeiern oder Gruppenbesuchen begraben wurden.
Heute, kurz nachdem die Nachricht vom Tod des „Schlächters von Teheran“ bekannt wurde, postete Mansoure Behkish ein Video auf ihrem Instagram-Account. Mansoure Behkish, Mitglied der „Mütter von Khavaran“, die bei der Hinrichtungswelle 1988 sechs Familienmitglieder verlor und selbst zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, sieht man in dem Video tanzen. Sie schreibt dazu: „Aus ganzem Herzen teile ich die Freude der freiheitsliebenden Menschen im Iran, der kämpfenden Frauen und aller trauernden Familien, die Gerechtigkeit suchen.“
Auf die Frage, ob das ein Stück Wiedergutmachung für ihren Schmerz sei, antwortet sie im Video: „Natürlich ist das nicht der Weg, den wir uns wünschen. Ich hoffe, dass wir mit unserem Aufstand das ganze Regime stürzen und sie dann vor Gericht stellen, sie zur Rechenschaft ziehen und die Gerechtigkeit walten lassen: einen Prozess ohne Todesstrafe. Es lebe die Bewegung derer, die Gerechtigkeit suchen! Frauen, Leben, Freiheit!“
Die Freude gilt dem Leben, nicht dem Tod
Auch andere Betroffene des Regimes teilten ihre Freude. Wie die Mutter von Pejman Fatehi, der vor wenigen Monaten hingerichtet wurde, Zahra Sedighi-Hamadani, eine queere Aktivistin, die nach einem Todesurteil für zwei Jahre im Gefängnis sitzt und vor kurzem nach Deutschland geflohen ist, und viele andere. Saaed Afkari, dessen Bruder vom Regime hingerichtet wurde, schreibt auf X/Twitter, er habe seine Mutter in den letzten Jahren nie so glücklich gesehen.
Raisi war nicht nur verantwortlich für die Massaker von 1988. In seiner letzten Position als Justizminister war er für die Hinrichtung und Folter vieler Gefangener verantwortlich. Er wurde direkt vor den letzten Protesten, die im September 2022 auf den Mord von Jina Mahsa Amini das Land erschütterten, zum Präsidenten ernannt und in seiner Amtszeit wurden offiziell allein im vergangenen Jahr mindestens 853 Menschen hingerichtet.
Natürlich bedeutet der Tod von Raisi weder Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen noch den Sturz des Regimes. Aber es ist eine gute Nachricht und ein Moment der Freude für alle trauernden Familienangehörigen, für die Gefolterten und Gefangenen, für uns alle, für die gesamte Zivilgesellschaft, dass ihre Mörder und ein großer Teil des Regimes tot sind. Im Gegensatz zu den Gefühlen der Wut und der Trauer, die uns normalerweise verbinden, ist es ein seltenes Gefühl der Zusammengehörigkeit – voller Freude.
Diesen euphorischen Moment werden wir nach all der Repression, der Unterdrückung und der Trauer der letzten Jahre nach dem Tod von Jina Mahsa Amini laut feiern. Eine Freude nicht über den Tod, sondern über das Leben. Denn in der Todesmaschinerie bedeutet der Tod der Mörder das Leben der Anderen. Diese, wenn auch kurze, Freude genehmigen wir uns bis zum Moment der Gerechtigkeit. Bis dahin tanzen wir gegen den Tod und für das Leben: kein Vergessen, kein Vergeben.