Der Westfälische Friede beendete 1648 den Dreißigjährigen Krieg. Da er in Münster und Osnabrück geschlossen wurde, liegt es nahe, dort den Westfälischen Friedenspreis zu verleihen. Waren bisherige Preisträger völlig unstrittig, sind beim aktuellen – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – Zweifel angesagt. Er erhält die Auszeichnung an diesem Dienstag „für sein unermüdliches Engagement um eine Konfliktbegrenzung zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine“, wie es offiziell heißt. Seither hat sich allerdings einiges getan. Nicht nur der Krieg ist eskaliert, auch die Haltung Macrons zu Russland hat sich schwer geändert.

Nach dem im Westen heftig kritisierten russischen Einmarsch in die U

h in die Ukraine warb er zunächst dafür, Moskau nicht zu isolieren, sondern weiter als Teil einer europäischen Sicherheitsstruktur zu sehen. Damit hatte es sich, als Macron realisierte, dass sein Einfluss geringer war als gedacht, und Wladimir Putin sich nicht als der erhofft pragmatische Partner erwies, mit dem man Deals schließen konnte. Ab Mitte 2022 sah ihn Macron daraufhin als rücksichtslosen Machtpolitiker, der die Existenz der Ukraine und die Zukunft Europas bedrohe. Dementsprechend brach er mit anfänglichen französischen Vorbehalten und stimmte dafür, der Ukraine den EU-Kandidaten-Status zu verleihen.Gleichwohl sprach er sich vor der UN-Vollversammlung noch für Verhandlungen aus und sinnierte über Sicherheitsgarantien für Russland. Mitte 2023 befürwortete er dann jedoch eine Mitgliedschaft Kiews in der NATO und räsonierte erstmals im nationalen Verteidigungsrat über die Entsendung von Bodentruppen, ein Vorschlag, den er im Frühjahr öffentlich äußerte und damit nicht nur Berlin aufschreckte.Er stellte die rote Linie der Hauptunterstützer Kiews in Frage, keine direkte Kriegspartei zu werden. Macron ging es zwar vorrangig um Abschreckung, doch schien er dafür Risiken einzugehen, die dem deutschen Kanzler vernünftigerweise zu groß erschienen. Man sah Macrons Schwenk als Manöver der Nuklearmacht Frankreich. Auf atomare Drohungen aus Moskau zu Beginn des Krieges hatte Paris reagiert, indem es erstmals seit Ende des Kalten Krieges drei nuklear bewaffnete Unterseeboote gleichzeitig in Bereitschaft versetzte.Olympischer FriedenAußerdem schickte Macron zusammen mit den USA und Großbritannien die Botschaft an Moskau, die westlichen Atommächte würden auf einen russischen Kernwaffeneinsatz in der Ukraine mit einem massiven konventionellen Gegenschlag auf der Krim antworten. Die Frage blieb: Was passiert danach? Jüngste russische Übungen zum Gebrauch taktischer Kernwaffen kann man als Antwort lesen. Ebenso klar war Moskaus Antwort auf Macrons Vorstoß, französische Soldaten in die Ukraine zu schicken – sie würden dann eben zu Zielen russischer Waffen. Es dürften zwei Motive sein, die Macron antreiben: Erstens die Überzeugung, dass Putin nur die Sprache der Stärke versteht, also müsse Europa „glaubwürdig und stark“ sein, um den Frieden wiederherzustellen. Zweitens die Chance, jetzt das Projekt eines strategisch autonomen Europa voranzubringen, nicht nur wegen Russland, auch weil sich die USA zunehmend auf China konzentrieren.Macron umgarnt pro-atlantische Osteuropäer, indem er sich an die Spitze der Falken setzt und die Position vertritt, eine Niederlage Moskaus sei für die Sicherheit Europas unverzichtbar. Er erklärt freilich nicht, was damit genau gemeint ist. Soll Europa sich auf einen langen Krieg in der Ukraine einrichten, bis Russland aufgibt? Das könnte dauern und wäre höchst eskalationsträchtig. Außerdem entbehrt seine Vision von einer strategischen Autonomie Europas des nötigen Rahmens.Es fehlt an einer konventionell starken Armee, der industriell-militärischen und finanziellen Basis bis hin zum mangelnden Willen europäischer Partner, sich einem solchen Projekt zu öffnen. Das gilt insbesondere für Deutschland, das mit 14 anderen Staaten – jedoch ohne Frankreich – das Vorhaben eines Raketenabwehrschirms initiiert hat und sich bislang weigert, über eine gemeinsame europäische Anleihe Waffen für Kiew zu kaufen und den Marschflugkörper Taurus ins Kriegsgebiet zu liefern.Der Umstand, dass Macron keinen direkten Kontakt mit Putin mehr pflegt, soll wohl Entschlossenheit bekunden, die Ukraine zu unterstützen, und den Willen zur Abschreckung Russlands untermauern. Vergeblich sucht man in jüngster Zeit nach Erklärungen Macrons, wie denn der Krieg anders als durch eine Niederlage Russlands beendet werden könnte, etwa durch eine Waffenruhe und das Einfrieren des Konflikts. Sein Werben für einen „olympischen Frieden“ während der Sommerspiele in Paris ist lobenswert, aber unzureichend. Besser wäre es, zentrale Fragen zu beantworten: Welche strategischen Ziele verfolgt man in der Ukraine eigentlich, und sind die mit denen Kiews identisch? Und ist es nicht folgerichtig, über einen Ausweg aus einem Krieg nachzudenken, der nicht gewonnen werden kann, der aber alle Beteiligten schwer belastet? Von einem Friedenspreisträger sollte man mehr erwarten, als dass er nur auf militärische Stärke setzt.



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Von Veritatis

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