A

wie Autsch

Mein liebster Talisman als Kind war ein grünes Victorinox in Minigröße, das ich tragischerweise verloren habe. Tragisch auch deswegen, weil ich dann ein mittelgroßes, rotes Modell bekam, mit dem ich mir bei dem Versuch, einen Tennisball zu halbieren, einen Teil der rechten Daumenkuppe abschnitt. So wundert es nicht, dass Profis lieber Opinel-Messer (→ Zugabe) benutzen, bei denen sich die Klinge arretieren lässt. Oder auch, dass Victorinox in Aussicht gestellt hat, „Taschentools“ ohne Klinge zu verkaufen, da sein klassisches Taschenmesser unter einem „Waffenimage“ leide. Ich habe trotz meines Unfalls noch mit Springmessern experimentiert und zum 18. Geburtstag schließlich ein großes Victorinox mit Klinge bekommen, das noch heute griffbereit liegt – auch wenn ich es allenfalls zum notdürftigen Korkenziehen benutze. Neulich erzählte mir mein fünfjähriger Sohn, dass er von seinem Opa nun auch ein kleines Taschenmesser bekommen hätte. Ich hoffe, es war eines ohne Klinge! Tom Wohlfarth

B

wie Butterfly

Das Balisong, auch Butterfly-Messer genannt, hatte erst einen coolen, dann schlechten Ruf. Das philippinische Faltmesser mit zwei schwenkbaren Griffen wurde mit Kung-Fu-Filmen populär. Das – und dass es preiswert ist – machte es auch für Verbrecher attraktiv. Die wirbelnde Waffe schüchterte Leute ein. Seit 2003 ist der Besitz von Butterfly-Messern in Deutschland verboten (→ Autsch).Das trifft im Übrigen auch auf Springmesser, Stilettos und andere Messer zu, deren Klinge herausschnellt – und die bis heute als mediale Symbolbilder dienen. Seit 2008 darf man Taschenmesser nicht mehr zückbar mit sich führen, die durch einen Pin oder eine Bohrung einhändig zu öffnen sind. Einen messbaren Einfluss auf die Statistiken haben solche Verbote nicht. Die Häufung von Medienberichten über Messerattacken allerdings auf die Verbotspolitik. Tobias Prüwer

E

wie Erbstück

Es gab nur ein Taschenmesser, von dem ich weiß, dass es für mich gekauft wurde. Es hatte nur eine Klinge, die zu öffnen und zu schließen für eine Siebenjährige etwas aufwendig war, weil sie mit einer Sicherungsfunktion kam. Vermutlich hat mein „Pfadfinder-turned-Arzt“-Papa zu viele Kinderfinger gesehen, die so ein Messer abgehackt hat – das war zumindest seine Entschuldigung dafür, dass meine Schwester und ich keine „normalen“ Taschenmesser bekamen. Kein Wunder also, dass ich irgendwann auch das meines Vaters „erbte“ beziehungsweise mir ungefragt auslieh. Ein weiteres bekam ich von meiner Mutter. Ob es früher ihr gehört hat oder sie es auch von jemandem geschenkt bekam, weiß ich nicht mehr. Es war gelb und hatte nicht nur die Standardfunktionen der Schweizer Taschenmesser meiner Freund:innen, die ich an meinem extra gesicherten vermisste, sondern so viele Tools, dass auch meine Mutter rätselte, wofür manche da sind. Benutzt habe ich natürlich trotzdem nur Klinge und Säge. Alina Saha

F

wie Freud

Eine Patientin auf Sigmund Freuds Couch sagte, sie klappe zusammen wie ein „Tassenmescher“. Der Wiener Professor hatte die Dame zuvor mit dem Satz „Heute wird es also ernst“ begrüßt und dabei nach eigener Aussage das Wort „ernst“ „scherzhaft zu ‚Ernscht‘ verbreitert“. Die Episode findet schließlich Eingang in sein Buch Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1904). Freud diagnostiziert: Seine Patientin stünde „unter dem Einfluß von unbewußten Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung“. Das Bild des zusammengeklapptenTaschenmessers sei eine Anspielung auf die Körperhaltung eines Fötus. Ihr freudscher Versprecher „Tassenmescher“ passierte, weil das von Freud phonetisch zu „Ernscht“ verballhornte Wort sie an die bekannte Wiener Firma S. Ernst „gemahnt“ hätte, die Verhütungsmittel anbot (→ Wedding Dress). Michael Suckow

L

wie Leatherman

Je mehr Übung man hat, desto weniger Devices braucht man, sagt man sich im Rettungsdienst. Junge Kollegen haben die Tendenz, einen halben Rettungswagen in ihren Taschen und an ihrem Gürtel zu tragen und damit das auszugleichen, was sie nicht haben: Routine und Erfahrung. Über die Jahre werden sogenannte Holster und Übergürtel auf der Wache gelassen, weil man merkt, dass es doch anstrengend ist, so viel Material mitzuschleppen, das man, wenn man ehrlich zu sich wäre, gar nicht wirklich (oft) braucht. So sind die materiellen „Abrüstungstendenzen“ ein Zeichen der beruflichen Reifung. Damals, vor dem Internet, als die USA noch weiter entfernt waren als heute, war ein Leatherman etwas ganz Besonderes. Ein damals unglaublicher Preis und der Nimbus der handwerklichen Universallösung. Ich trug stolz ein Imitat am Gürtel, mehr war beim damaligen Salär nicht drin. Heute könnte ich mir Leathermans en masse leisten – brauche sie aber nicht mehr, der Erfahrung wegen. Jan C. Behmann

M

wie MacGyver

Die Helden unserer Kindheit waren keine Fußballer, es waren die Stars aus 1980er-TV-Serien wie Knight Rider, Street Hawk oder Airwolf. Männer und ihre fetten Maschinen, damals war das konsensfähig. Noch cooler war indes nur noch MacGyver. Obwohl oder eben gerade weil er kein sprechendes Auto oder schießendes Motorrad besaß. MacGyvers Superwaffe war sein Schweizer Taschenmesser. Statt mit Pistolen zu schießen, was er kategorisch ablehnte, pulte er lieber mit dem Messer das Schwarzpulver aus den Patronen und bastelte mit Kaugummi, Pflastern, Draht und Cola eine riesige Bombe, um so seine Gegner außer Gefecht zu setzen. Ob das so viel pazifistischer ist, sei dahingestellt. Mit meinem ersten Taschenmesser (→ Erbstück) versuchte ich natürlich nur so kluge Dinge zu bauen wie MacGyver, zur Bombe habe ich es zum Glück nie gebracht. Ji-Hun Kim

S

wie Stift

Der Beruf muss sich nicht immer im Privatleben spiegeln: Der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe und die Friseurin nicht unbedingt den modernsten Schnitt. Als Journalistin kosten mich wenige Dinge so viel Überwindung wie eine private E-Mail. Eine Sache sollte jedoch selbstverständlich sein: das Bei-sich-Tragen eines Schreibgeräts. Eigentlich habe ich in jeder Handtasche mehrere Kugelschreiber herumfliegen, dazu welche auf dem Schreibtisch und neben dem Bett. Sogar neben meiner Zahnbürste liegt ein Spezialstift, damit ich Ideen umgehend auf Badfliesen notieren kann. Doch zu Beginn einer Pressekonferenz stelle ich regelmäßig fest, dass mir das Wichtigste fehlt. Oft bin ich nicht die Einzige, die die Sitznachbarin leise nach einem Kugelschreiber fragt. Alternativ trenne ich mein Mini-Taschenmesser vom Schlüsselbund, was bei den Anwesenden häufig zu erschrockenen Blicken führt. Eine kleine ausfahrbare Mine und die ausgeklappte Nagelfeile – diese Tools führen zwar nicht zu einem tollen Schreibgefühl, wohl aber zu sinnvollen Notizen. Sarah Alberti

T

wie Tonda

Tonda ist der älteste unter den Knappen der Mühle im Koselbruch, in die es den Betteljungen Krabat in Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker von 1971 verschlägt. Tonda wird zum Freund Krabats und schützt ihn, so gut er kann, vor der Willkür des Meisters. Das Taschenmesser mit Schnappvorrichtung, das er Krabat vor seinem Tod schenkt, hat eine wundersame Eigenschaft (→ MacGyver). Seine Klinge färbt sich schwarz, wenn sein Träger in höchster Gefahr ist. Als hätte man die Klinge über den Docht einer brennenden Kerze gehalten, heißt es im Roman. Das Messer wird Krabat später helfen, indem es ihn vor der drohenden tödlichen Gefahr warnt. So wirkt der Schutz der Freundschaft und Zuneigung, die Tonda Krabat entgegengebracht hat, über den Tod des Älteren hinaus. Sein Zauber steht den bösen Mächten des Meisters entgegen. Beate Tröger

W

wie Wedding Dress

Alles, was sie anfasst, alle ihre Songs werden in ihren Händen zu Objekten der Begierde. PJ Harvey singt über Frauen, die den Rahmen sprengen. Immer geht es um beunruhigend Persönliches. „Is this desire?“, fragt die Engländerin Polly Jean Harvey auf ihrem 1998 veröffentlichten gleichnamigen Album – und liefert die Antwort gleich mit. Und so ist es auch bei Pocket Knife, einem Song aus ihrem sechsten Album Uh Huh Her von 2004. „Please, don’t make my wedding dress“ singt sie da, bitte mach nicht mein Hochzeitskleid. Minimalistisch-stoische, wuchtig geschlagene Gitarrenakkorde sollen den Horror vor der Hochzeit verstärken. „I’m too young to marry yet / Can you see my pocket knife? / You can’t make me be a wife“. Das Taschenmesser ist der Ausweis der Jugend (→ Autsch), und es hat eine glänzende Klinge. „My pocket knife’s got a shiny blade“, heißt es in einer anderen Strophe. „Mummy, put your needle down / How did you feel when you were young? / ’Cause I feel like I’ve just been born …“ Dieses Brautkleid fertig zu nähen, das ist wohl eher keine so gute Idee. Marc Peschke

Z

wie Zugabe

Andere Zeitungen oder Magazine locken mit Haarglättern, Uhren, Geschenkgutscheinen oder edlen Reisetaschen. Leser:innen des Freitag greifen besonders gerne zu Büchern. Immer wieder aber liefern sich zwei Abo-Prämien ein Kopf-an-Kopf-Rennen: „Nehm ich den tollen Roman, oder nehm ich das praktische Opinel-Messer?“ Letztere Prämie ist der französische Klassiker, der bei uns schon ewig funktioniert, seit mindestens zehn Jahren. Das elegante Messer besteht – selbstverständlich – aus wiederverwertbaren Materialien, aus Holz und rostfreiem Stahl, es hat einen Buchenholzgriff und wird in Savoyen gefertigt (ursprünglich stammt es aus den Savoyer Alpen). Heißer Tipp von mir aus dem Verlag: Kaufen und verschenken Sie ein Abo und erhalten Sie somit beide Prämien. Das erspart Ihnen die Qual der Wahl. Johann Plank



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Von Veritatis

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