Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich zwischen West-Deutschland und Israel eine innige Beziehung. Der Antrag auf Haftbefehle gegen israelische Politiker wird daran ganz sicher nichts ändern.

Von Tom J. Wellbrock

Kürzlich gab Daniel Marwecki der taz ein Interview. Marwecki ist Jahrgang 1987, lehrt Internationale Beziehungen an der University of Hong Kong und hat ein Buch mit dem Titel „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ herausgegeben.

„Die Macht der Juden“

Es war Konrad Adenauer, der von der „Macht der Juden“ sprach. In einem Interview mit Günter Gaus sagte er 1966:

„Die Macht der Juden auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen. Und daher habe ich sehr überlegt und sehr bewusst – und das war von jeher meine Meinung – meine ganze Kraft daran gesetzt, so gut es ging, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem jüdischen Volk und dem deutschen Volk.“

Der Kontext waren die Beziehungen zwischen West-Deutschland und Israel vor dem Hintergrund der arabischen Länder. Die „Judenfrage“ (O-Ton Adenauer) musste geklärt werden, und das geschah durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Israel und Deutschland, die wirtschaftliche Unterstützung Israels durch Deutschland bedeutete, aber auch Waffenlieferungen. Was wiederum die arabische Welt wenig begeisterte, insbesondere da Deutschland Israel bei Beginn der Waffenlieferungen noch gar nicht diplomatisch anerkannt hatte. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen erfolgte dann 1965, und von diesem Zeitpunkt an konnte Deutschland ganz offiziell weiter Waffen liefern.

Schon 1965 war es Israels Ministerpräsident David Ben-Gurion, der sich schnell wieder mit Deutschland versöhnen wollte. Er sagte damals:

„Ich kam schon vor vielen Jahren zu der Überzeugung, dass wir heute mit einem völlig veränderten Deutschland zu tun haben. Von historischer Warte aus kann natürlich nicht vergessen werden, was das Hitler-Deutschland uns angetan hat. Aber heute gibt es kein Nazi-Deutschland mehr und es kann sich auch meines Erachtens nicht noch mal ein Nazi-Deutschland entwickeln, weil sich einmal das Volk selbst wandelte und weil sich auch das gesamte Weltbild veränderte. Und wenn wir auch niemals vergessen dürfen, was geschah, so dürfen wir heute nicht auf dieser Basis des damaligen Geschehens handeln.“

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Das sahen nicht alle so, und die Tatsache, dass ein ehemaliger Wehrmachtsmajor als erster deutscher Botschafter in Israel nominiert wurde, brachte Überlebende des Hitler-Regimes völlig aus der Fassung. West-Deutschlands Kanzler Ludwig Erhard wollte es sich – zumal zu diesem Zeitpunkt mitten im Wahlkampf – nicht mit den Wehrmachtssoldaten und ihren Witwen verscherzen und reagierte auf die Empörung mit dem Hinweis, die Wehrmacht sei Hitlers Hauptgegner gewesen.

Deutschlands Hilfe mit „Blutgeld“

Mit dem Luxemburger Abkommen von 1952 verpflichtete sich Deutschland zur Zahlung von Reparationen an Israel. In Israel wollten viele dieses „Blutgeld“ nicht annehmen, aber Ben-Gurion sah es pragmatisch, schließlich wollte er aus Israel eine Industrienation machen, dafür war Geld nötig. Laut Daniel Marwecki hatten die Zahlungen Deutschlands nichts mit dem Eingeständnis von Schuld zu tun, sondern mit der Motivation, seine Unschuld zu beweisen. Marwecki betont, dass eine Aufarbeitung des Hitler-Faschismus nie stattgefunden habe.

Einige Zitate von deutschen Politikern bestätigen seine Vermutung. So sagte Konrad Adenauer:

„Ich weiß schon längst, dass die Soldaten der Waffen-SS anständige Leute waren. Aber, solange wir nicht die Souveränität besitzen, geben die Sieger in dieser Frage allein den Ausschlag, so dass wir keine Handhabe besitzen, eine Rehabilitierung zu verlangen. Machen Sie einmal dem Ausland … deutlich, dass die Waffen-SS keine Juden erschossen hat, sondern als hervorragende Soldaten von den Sowjets gefürchtet war!“

Kurt Schumacher (SPD) äußerte, er habe „keine Vorbehalte gegenüber den Zusammenschlüssen ehemaliger SS-Angehöriger und lehne auch in Bezug auf die SS jede ‚Kollektivschuld‘ ab.“

Franz-Josef Strauß (CSU) formulierte esin einem Brief an SS-Veteranen so:

„Wie ich persönlich über die Leistungen der an der Front eingesetzten Verbände der Waffen-SS denke, wird Ihnen bekannt sein. Sie sind selbstverständlich in meine Hochachtung vor dem deutschen Soldaten des letzten Weltkrieges eingeschlossen.“

Eine besondere Form des „Blutgelds“ waren die west-deutschen Waffenlieferungen, die Deutschland so lange wie möglich geheim halten wollte, um die arabischen Länder nicht zu verärgern. Die waren nämlich der Meinung, dass Reparationen wegen der Nazi-Verbrechen zwar in Ordnung seien, aber Waffen für einen Staat, der auf arabischem Boden gegründet worden war, kamen überhaupt nicht gut an. Deutschland hat hier aber seine Politik bis heute nicht geändert, es liefert Waffen an Israel und leistet als Alibi ein bisschen humanitäre Hilfe im Gaza-Streifen. Zu einer gern in Sonntagsreden geäußerten Zwei-Staaten-Lösung konnte und kann es so nicht kommen.

Doch die Folgen deutscher Politik gehen über das aktuell Sichtbare hinaus. Der Sechstagekrieg im Jahr 1967 wäre ohne die tatkräftige militärische Unterstützung Deutschlands nicht möglich gewesen. Der in diesem Krieg errungene Sieg wiederum hatte zur Folge, dass Ostjerusalem, das Westjordanland, die Golanhöhen und Gaza von Israel besetzt werden konnten. Der westliche Teil Deutschlands hat also eine große Mitverantwortung an dem, was heute in Gaza passiert.

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Die Empörung über die Kritiker Israels und die pauschale Verurteilung eines angeblichen Antisemitismus verdecken Deutschlands Rolle bei diesem Konflikt. Das, was als „Staatsräson“ bezeichnet wird, ist nichts anderes als eine geschäftliche Beziehung, mit der sich viel Geld verdienen und Macht ausbauen lässt. Auf der Suche nach vermeintlich guten Gründen für die Unterstützung Israels nimmt man mit, was man kriegen kann. Als Netanjahu nach dem 7. Oktober – neben Kanzler Olaf Scholz stehend – sagte, die Hamas seien die „neuen Nazis“, war das sehr im Sinne deutscher Politik. Deutsche, die Nazis bekämpfen? Wer kann dazu schon Nein sagen?

Noch weiter gehen – wie immer – die Grünen, hier in Gestalt von Katrin Göring-Eckardt. Für sie ist Israel gewissermaßen mit Deutschland gleichzusetzen. Sie sagte:

„Das Existenzrecht Israels ist unser eigenes.“

Das dürften angesichts der unfassbaren Taten Israels im Gaza-Streifen viele Deutsche so wohl nicht unterschreiben. Aber Göring-Eckhardt wird es vermutlich wie ihre Parteifreundin Annalena Baerbock sehen, der es ja bekanntlich egal ist, was ihre Wähler denken.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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Von Veritatis

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