Im Gespräch Bilgin Ataya erklärt, wann eingebürgerte Deutsche auch als solche anerkannt werden – und wann nicht. Wie bewertet sie die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts?


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Ausgabe 27/2024

Auch mit Pass unter Rechtfertigungsdruck: Feierliche Einbürgerung in Naumburg

Auch mit Pass unter Rechtfertigungsdruck: Feierliche Einbürgerung in Naumburg

Foto: Thomas Victor/Agentur Focus

Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts soll die Hürden für die Einbürgerung abbauen. Es ist am 27. Juni in Kraft getreten. Doch wird damit wirklich alles besser? Ein Gespräch mit Bilgin Ayata, Professorin an der Universität Graz, die sich mit Migration, Grenzen, aber auch Affekt und Emotionen befasst.

der Freitag: Frau Ayata, in Deutschland kann man sich nun schneller einbürgern lassen, und bei der EM bejubeln Fans eine Mannschaft voller deutscher Spieler verschiedenster Herkünfte. Hat sich die Ansicht darauf, wer deutsch ist, endlich verschoben?

Bilgin Ayata: Wer ist wirklich Deutscher? Leider hat der Umstand, dass immer mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte Zugang zur Staatsbürgerschaft erhalten haben, nicht dazu geführt, dass die Di

utscher? Leider hat der Umstand, dass immer mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte Zugang zur Staatsbürgerschaft erhalten haben, nicht dazu geführt, dass die Diskussion über diese Frage an leidenschaftlicher Intensität abgenommen hat. Im Gegenteil.Obwohl Zuwanderer einfacher deutsch werden können, ist umstritten, wer deutsch ist?Theoretisch steht die Einbürgerung für den Endpunkt einer gelungenen Integration, wie es auch Innenministerin Nancy Faeser oft wiederholt. De facto aber sehen wir, dass es gar kein Endpunkt ist: Auch nach Erhalt der Staatsbürgerschaft muss immer wieder bewiesen werden, dass man dazugehört. Es reicht zum Beispiel nicht mehr, sich nur zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen, sondern immer mehr spielt auch der Ausdruck von bestimmten Bekenntnissen und Gefühlen eine Rolle, die eingebürgerte Deutsche erbringen müssen. Für welche Mannschaft wird gejubelt, für wen wird getrauert? Die Zugehörigkeit muss immer wieder auch affektiv und performativ bewiesen werden. Diese Verlagerung der Inklusions- und Exklusionsmechanismen auf die emotionale Ebene bezeichne ich als „Affective Citizenship“.Wer sind die Menschen, die diese Gefühle erst unter Beweis stellen müssen?Das sind alle, die von der Mehrheitsgesellschaft als nicht weiß oder deutsch gelesen werden, sei es mit oder ohne deutschen Pass. Bereits 1994 hatte die Hip-Hop-Band Advanced Chemistry mit ihrem Song „Fremd im eigenen Land“ dies prägnant zur Sprache gebracht. Begriffe wie „Passdeutsche“ oder sogar „Ausländer mit deutschem Pass“ geben diesem rassistischen Verständnis des ewigen „Ausländers“ deutlich Ausdruck. Das ist ein Verständnis, das aufgrund von Hautfarbe, Religion, Kultur nie vollständig ermöglicht, gleichwertig dazugehören. Da helfen auch gesellschaftlicher Erfolg oder Assimilation nur bedingt.Sie schreiben in ihren Arbeiten über „Affective Citizenship“, dass für weiße Deutsche eine Art Naturrecht gilt, so dass ihre Zugehörigkeit und Identität auch bei rechtsextremen oder rassistischen Einstellungen nicht infrage gestellt wird …… während über den Köpfen der „Quasi-Deutschen“ ein Damoklesschwert der Gesellschaft schwebt, das ihre Zugehörigkeit immer wieder in Frage stellt. Mein Kernargument mit dem Konzept „Affective Citizenship“ ist, dass der Ausschluss sich nicht mehr auf rechtlicher Ebene vollzieht, sondern sich auf die Ebene der Emotionen und Affekte verlagert hat.Menschen, die davon betroffen sind, beschreiben Sie als „Internal Outsider“.Ein prominentes Beispiel wäre der Fall von Mesut Özil, der jahrelang in Deutschland als Vorbild für gelungene Integration gefeiert wurde und die deutsche Nationalmannschaft zum WM-Erfolg geführt hat. Das hat ihn aber nicht davor geschützt, dass ihm seine Zugehörigkeit gewissermaßen abgesprochen wurde, als er seine Bewunderung für den türkischen Präsidenten zeigte. Das Ironische dabei ist, dass die Bundesregierung selbst seit Jahren den türkischen Präsidenten heiß umwirbt, um den Flüchtlingsdeal von 2016 aufrechtzuerhalten.Auch nach islamistisch motivierten Terroranschlägen fordern deutsche Politiker:innen regelmäßig Muslime dazu auf, sich zu positionieren.Bei dem Messerangriff in Mannheim konnte man zuletzt beobachten, dass genau hingeschaut wird, ob und wie sich als Muslime gelesene Menschen distanzieren. Wenn der Täter ein deutscher Rechtsextremist gewesen wäre, dann hätte es natürlich keine Debatte um Abschiebung gegeben. Ich saß 2012 als Beobachterin im NSU-Bundestagsausschuss und konnte bezeugen, wie erschreckend breit Ansichten in den Sicherheitsbehörden vertreten sind, die meines Erachtens mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Das hat dort vielleicht zu Mahnungen oder Dienstbeschwerden geführt, aber eine Infragestellung des Deutschseins kam da nie zustande. Falls das für jemanden nun absurd klingt, diesen Vergleich überhaupt zu stellen, weil es sich bei Letzterem ja um Deutsche handelt, zeigt, wie sehr dieses zweierlei Maß als Normalzustand verinnerlicht ist.Seit dem 7. Oktober und der Debatte um Antisemitismus in Deutschland fühlen sich viele Muslime in Deutschland einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ist eine der zentralen Forderungen als Einbürgerungsvoraussetzung für die CDU. Wie nehmen Sie das wahr?Dieser Rechtfertigungsdruck ist nicht neu, sondern hat eher an Schärfe und Ausmaß zugenommen. Die Anthropologin Esra Özyürek bezeichnet in ihrem Buch „Subcontracting Guilt“ die eindimensionale Fokussierung auf muslimisch gelesene Menschen bei der Bekämpfung des Antisemitismus als eine Verlagerung der Schuldfrage von der Tätergesellschaft auf die eingewanderten Muslime. Zielführender wäre eine gesamtgesellschaftliche Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus. Ich bezweifle, dass Einbürgerungstests das zurechtbiegen können, was der Abbau von Geschichtsunterricht an den Schulen aufgrund von Lehrermangel versäumt zu vermitteln.Wir können also festhalten: Die liberalen Einbürgerungsreformen haben nicht zu einer Debattenveränderung in der Gesellschaft geführt?Ich muss noch einmal betonen, dass das neue Staatsangehörigkeitsrecht eine begrüßenswerte Entwicklung ist – nicht nur für jene, die nun leichter eingebürgert werden können, sondern auch für die gesamte Gesellschaft. Moderne Gesellschaften sind durch Pluralität und Heterogenität gekennzeichnet. Mit dem Holocaust und den Ausbürgerungen unter der NS-Herrschaft wurde gewaltsam versucht, ein homogenes deutsches Volk zu schaffen. Die damals bestehende Pluralität wurde vernichtet. Erst mit der Gastarbeiterbewegung in den 1960er Jahren stellte sich in diesem Sinne wieder eine Pluralisierung ein, ein Prozess, der bis heute andauert. Diese wurde aber in der Gesellschaft schon immer als eine große Herausforderung begriffen. Aber schlussendlich ist Deutschland heute wieder eine plurale Gesellschaft.Was aber umkämpft bleibt.In der Essenz sind die Debatten dieselben, die bereits vor der ersten großen Reform 1999 geführt wurden. Früher ging es eben um „Ausländer“, heute um „Muslime“, „Menschen mit Migrationshintergrund“. Aber meine Kritik, dass sich die Ausschlussgrenzen der Staatsbürgerschaft in die affektiven Ebenen verlagert haben, bedeutet natürlich nicht, dass die Errungenschaften durch die Reformen gering sind. Ganz im Gegenteil, sie sind Voraussetzung und Grundlage für ein plurales Gesellschaftsverständnis.



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Von Veritatis

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