Zwischen Sanierungsstau und Bürokratie: Was ein Oberbürgermeister fordert, damit die Infrastruktur-Milliarden wirklich etwas ändern
René Wilke, Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder)
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Noch hat René Wilke Hoffnung in die neue Bundesregierung. Darauf, dass sie den Menschen vermittelt, da habe jetzt jemand einen Plan, die Lage in den Griff zu bekommen, und maximiere nicht wie die Ampel-Koalition Verunsicherung. Wilke ist der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) in Brandenburg. Die Lage dort schildert er so: Fenster in Schulgebäuden, die man nicht öffnen darf, weil sie sonst herausfallen würden. Eimer, die in der städtischen Schwimmhalle das von der Decke tropfende Wasser auffangen. Schlaglöcher in Straßen. Sporthallen, in denen gewisse Sportarten verboten sind, weil der marode Bodenbelag eine zu hohe Verletzungsgefahr birgt.
Wilkes Hoffnung hat ein milliardenschweres Fundament: das Sondervermögen Infrastruktur von 500 Milliarde
Milliarden Euro, von denen 100 Milliarden an die Kommunen fließen. Die Grundgesetzänderung war der große Knall zu Beginn der Sondierungen von Union und SPD. Die verloren sich dann in den Koalitionsverhandlungen zwar im Klein-Klein.Doch an Streit um Steuersätze würde kaum noch wer denken, wäre nach vier Jahren Legislatur spürbar, dass es vorangeht: dass „die da oben“ endlich dafür sorgen, dass Schulen, Schienen und Straßen auf Vordermann gebracht werden. Funktionieren Daseinsvorsorge und Infrastruktur wieder, nimmt der Frust über den Staat ab und mit ihm die Neigung, Rechtsradikale zu wählen – so lautet eine vor allem auch in der SPD populäre Erzählung. Doch dafür müssten sie und die Union die 500 Milliarden ähnlich schnell zur Umsetzung bringen, wie sie das Sondervermögen durchgepeitscht haben.Und dafür brauchen „die da oben“ die da unten: die Kommunen. Denen geht es schlecht. „Das höchste kommunale Finanzierungsdefizit seit 1990“ vermeldete das Statistische Bundesamt gerade. Zwischen Einnahmen und Ausgaben klafft eine Differenz von 24,8 Milliarden Euro. Mehr bezahlen mussten Städte und Gemeinden vor allem für gestiegene Regelsätze für Bürgergeld und Sozialhilfe wie für Tarifsteigerungen und Personalzuwachs bei ihren Beschäftigten. Zum Investieren bleibt da wenig übrig. 187 Milliarden Euro beträgt der gesamte Sanierungsstau in Deutschlands Kommunen laut der Kreditanstalt für Wiederaufbau.In Frankfurt (Oder) taxiert ihn Oberbürgermeister Wilke auf 120 Millionen. Bei einem Haushaltsvolumen von 330 Millionen Euro kann Wilke ganze vier Millionen auf Investitionen verwenden. Das reiche, um das eine oder andere kaputte Gerät auf einem Spielplatz zu ersetzen oder mal einen Gehweg auszubessern, der mit Rollstuhl oder Rollator nicht mehr benutzbar war. „Aber wir kommen nicht hinterher“, sagt er.Berichtspflichten bremsenÜber Förderprogramme kann er das Investitionsvolumen zwar auf 20 Millionen Euro hochschrauben – aber das hat seinen Preis, denn es erfordert viel Personal: „Wenn ich fünf Leute brauche, um die Gelder zu beantragen, zu dokumentieren und all die Bürokratie abzuarbeiten, dann fehlen diese fünf Leute für andere Aufgaben.“ Etwa dafür, die Projekte zu planen und umzusetzen, die Investitionen „auf die Straße zu bringen“.René Wilke wünscht sich daher „mehr Vertrauen in die Kommunen, mehr eigenen Handlungsspielraum, weniger Bürokratie, mehr Geschwindigkeit“. Konkret heißt das etwa, dass für die Abrechnung von Geldern wie aus dem Sondervermögen ein einfacher Nachweis genügt und „nicht nach Details wie der Anzahl der verbauten Glühbirnen“ gefragt wird.Die ostdeutschen Ministerpräsidenten haben gerade das Gleiche gefordert: Berichtspflichten von Ländern und Kommunen sollten „sowohl zeitlich als auch inhaltlich auf ein Mindestmaß“ beschränkt sein: „Angesichts der erheblichen Ausweitung der staatlichen Investitionstätigkeit und begrenzter Personalressourcen besteht andernfalls die Gefahr, dass die angestrebten Ziele des Sondervermögens nicht fristgerecht oder vollständig erreicht werden.“Im Koalitionsvertragsentwurf mangelt es nicht an gutem Willen: „Wir vereinfachen die Beantragung und Umsetzung, reduzieren die Nachweispflicht und ermöglichen den vorzeitigen Maßnahmenbeginn“, verspricht Schwarz-Rot den Kommunen für künftige Förderung. „Risikoorientierte Stichprobenverfahren“ statt der vollständigen und aufwendigen Prüfung jedes Details sollen den Aufwand reduzieren, damit es schneller geht.In Frankfurt (Oder) steht erst 2026 die nächste OB-Wahl an. Doch René Wilke – früher Linken-Mitglied, heute parteilos – hat sich für seine Kandidatur schon jetzt die Unterstützung von CDU und SPD gesichert. Die AfD kam hier zuletzt, bei der Bundestagswahl, auf nahezu 40 Prozent.