Während Trump viele Zölle für 90 Tage aussetzt, hat er den Handelskrieg mit China verschärft. Im Gespräch erklärt Wolfgang Streeck, was das mit dem Abstieg der USA als Großmacht zu tun hat und welche Zukunft die Exportnation Deutschland hat
Wer gerne mit Porsche durch New York fährt, wird das auch tun, wenn der Preis zollbedingt um 20 Prozent steigt, glaubt Wolfgang Streeck
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US-Präsident Donald Trump hat einen Großteil seiner angekündigten Sonderzölle vorerst ausgesetzt – für 90 Tage. Auch die EU setzt geplante Gegenmaßnahmen für denselben Zeitraum aus. Doch während die Beziehungen zwischen den USA und der EU vorübergehend entlastet scheinen, spitzt sich der Zollstreit mit China weiter zu.
Im Gespräch erklärt Wolfgang Streeck, warum er in Trumps Zollpolitik einen Beweis für den Niedergang der Vereinigten Staaten erkennt. Und beantwortet die Frage, ob ein Hochindustrieland wie Deutschland überhaupt überleben kann, wenn die Amerikaner seine Produkte nicht mehr kaufen wollen.
der Freitag: Herr Streeck, wenn Sie aktuell EU-Kommissionspräsident wären …
Wolfgang Streeck: Um Gott
erikaner seine Produkte nicht mehr kaufen wollen.der Freitag: Herr Streeck, wenn Sie aktuell EU-Kommissionspräsident wären …Wolfgang Streeck: Um Gottes willen. Ich kann mit solchen Gedankenspielen nichts anfangen.Ich wollte doch nur wissen, ob Sie dann in einen Flieger nach Washington steigen würden, um Donald Trump zu bitten, die Zölle auf Produkte aus der EU dauerhaft zurückzunehmen.So wie wir Herrn Trump kennen, ist er nicht leicht von seinen Projekten abzubringen. Jedenfalls nicht von der Präsidentin der EU-Kommission. Da müssen schon andere kommen, der Herr Musk vielleicht. Mittlerweile sind die zuletzt angekündigten Zölle ja aufgeschoben. Schau’n mer mal. Übrigens glaube ich nicht, dass die deutschen Exporte in die USA so stark einbrechen werden wie behauptet. Wieso nicht?Nach der Bundestagswahl 1969 wollte die sozialliberale Koalition zu einer stärker auf Binnenkonsum konzentrierten Ökonomie kommen. Die SPD war damals mit der Forderung nach einer Aufwertung der D-Mark in den Wahlkampf gezogen. Der Gedanke dahinter war: Wenn wir auf diesem Weg die Binnennachfrage stärken, geht es den Leuten besser, als wenn wir hier Lohnzurückhaltung üben, um in Amerika wettbewerbsfähig zu sein und dort unsere Volkswagenbusse zu verkaufen. Und tatsächlich nahm unser Außenhandelsüberschuss in der Folge ab. Dann aber haben die deutschen Unternehmen sich „wettbewerbsfähiger“ gemacht und der Exportüberschuss holte alles wieder auf. Ökonomen, die eine unverständliche Terminologie einer verständlichen vorziehen, nennen das Phänomen eine „J-Kurve“. So kann es auch diesmal kommen. Oder glauben Sie, dass die steinreichen Amerikaner, die mit dem allerletzten Porsche durch New York fahren wollen, sich ihren – durchaus eigenartigen – Traum versagen werden, weil die Porsches jetzt 20 Prozent mehr kosten?Natürlich schlägt eine absteigende Großmacht um sich, wenn sie merkt, dass es vorbei istWas haben Sie gedacht, als Trump im Rosengarten des Weißen Hauses die Tafel mit den Zöllen in die Höhe gehalten hat? Was war Ihr erster Gedanke? Ich hatte da überhaupt keine ersten Gedanken. Wir leben in einer Situation – um Antonio Gramsci zu zitieren –, in der eine alte Ordnung zusammengebrochen ist und es noch keine neue Ordnung gibt. In einer solchen Situation, sagt Gramsci, können die erstaunlichsten Dinge passieren. Und wir schauen auf den Fernseher und sehen: Der Mann hat recht gehabt! Dinge passieren, die wir uns nie hätten vorstellen können. Trump hat China jetzt mit Zöllen in Höhe von insgesamt 145 Prozent belegt. Das ist völlig surreal – aber die Realität, in der wir leben.Warum agiert Trump so, wie er agiert?Der langfristig bestimmende Trend unserer Zeit ist der allmähliche Zerfall der amerikanischen Hegemonie als der historisch weltbestimmenden Kraft. Das Land hat sich intern erschöpft und ist außen auf der Verliererstraße. Heute liegt der amerikanische Anteil an der Weltwirtschaftsleistung nur noch bei 15 Prozent, nach 22 Prozent 1990. Und der Anteil am Welthandel ist im selben Zeitraum von einem Fünftel auf ein Zehntel gesunken. Natürlich schlägt eine absteigende Großmacht um sich, wenn sie merkt, dass es vorbei ist. „Make America great again“ ist der Ausdruck davon, dass man den Abstieg nicht kampflos akzeptieren will. Trumps Zölle sind da nur ein Baustein von vielen.Der Vorsitzende der amerikanischen Autogewerkschaft befürwortet die 25 Prozent Schutzzölle auf Auto-Importe. Das kann man ihm noch schwer verübeln, wenn man bedenkt, dass amerikanische Präsidenten die letzten 30 Jahre lang zugeschaut haben, wie die US-Autoindustrie ins Ausland abgewandert ist – oder?Ich verübele erstmal gar nichts, und über den Überlebenskampf der amerikanischen Industriearbeiter würden Sie von mir kein einziges abfälliges Wort hören. In den letzten 30 Jahren sind die USA aus weiten Bereichen der Industrieproduktion de facto ausgestiegen. Gleichzeitig ist die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen kontinuierlich angestiegen, wobei das richtige Geld zunehmend in der globalisierten Finanzwirtschaft und durch die Technologiekonzerne angehäuft wird; die Rüstungsindustrie wäre hier ebenfalls zu nennen. Da ist der kleine Handarbeiter außen vor. Dass der jetzt alles Mögliche versucht, um wieder Luft zu bekommen, ist doch einfach zu verstehen.Insgesamt lag die Diskrepanz zwischen Importen und Exporten in den USA im letzten Jahr bei 1.130 Milliarden Dollar. Ein gigantisches Handelsdefizit. Trump will diesen Wert verringern. Ist das nicht legitim?Was heißt in einer kapitalistischen Wirtschaft legitim? Nüchtern betrachtet besteht der einzigartige Reichtum der USA als Volkswirtschaft in nichts anderem als dem einzigartigen und wachsenden Reichtum der sehr Wenigen, denen er gehört. Dagegen sind die Reallöhne seit Anfang der 70er Jahre kaum gestiegen. Das hat man in den Jahren des globalen Neoliberalismus ausgeglichen, indem man endlos billige chinesische Konsumgüter – Walmart! – importiert hat. So wurden große Teile der einheimischen Industrie aus dem Markt gedrängt, was dazu beitrug, die Reallöhne weiter niedrig zu halten und ganze Industrielandschaften wie den Mittleren Westen immer weiter veröden zu lassen. Gleichzeitig hat der Staat mit endlosen Subventionen den Tech- und Rüstungssektor gefördert, die übrigens dermaßen hohe Handelsüberschüsse hat, dass ihren Shareholders das Geld zu den Ohren herauskommt. Dasselbe gilt für den Dienstleistungssektor, einschließlich des globalen Finanzsektors, der praktisch in amerikanischer Hand ist.Was denn nun? Werden die Amerikaner reicher oder ist das Land auf dem absteigenden Ast?Die herrschende Klasse ist überhaupt nicht auf dem absteigenden Ast! Oder hatten Sie den Eindruck, dass es den Leuten aus der Tech-Branche, die hinter Trump saßen, als er seinen Amtseid ablegte, schlecht geht? Im Gegenteil! Die herrschende Schicht in den USA steht heute besser da als je zuvor. Die Zahl der Milliardäre ist höher denn je, und die Sektoren, in denen richtig Geld gemacht wird, blühen und gedeihen. Es ist die Arbeiterklasse, die in den USA „middle class“ genannt wird, die von der amerikanischen Politik und den mit ihr verbandelten Unternehmen fallen gelassen wurde. Diesen Prozess versucht Trump mit seinen Zöllen aufzuhalten – oder versucht, den Eindruck zu erwecken, dass er ihn sogar rückgängig machen kann. Ich halte das für ausgeschlossen. Sein Chefberater Elon Musk ist nicht gerade dafür bekannt, dass es ihm um eine weniger ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung zu tun wäre.Weniger Sozialpolitik, um die Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen, ist sinnlos in einer Welt voller ZölleWelche Folgen haben Trumps Zölle für die deutsche Politik?Vor ein paar Tagen habe ich im Handelsblatt gelesen, dass das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen sein müsse, dass Deutschland wieder „wettbewerbsfähiger“ wird, damit es die Trump’sche Zollpolitik als Exportnation überlebt. Heißt: weniger Sozialpolitik und so weiter. Aber das ergibt doch in einer Welt, in der der Kunde jederzeit den Zoll erhöhen kann, überhaupt keinen Sinn. Nehmen wir an, wir senken hier die Renten und die Löhne, machen unsere Unternehmen – also genau gesagt: nicht „unsere“, sondern die ihrer Anteilseigner – wie das so schöne heißt, „wettbewerbsfähiger“ und exportieren in der Folge genauso viel wie vorher in die USA. Genau das sollen die Trump-Zölle doch verhindern! Für die Politik müsste sich die Frage stellen, wie das von ihr regierte Land längerfristig von einer von ausländischer Nachfrage lebenden Wirtschaft auf ein binnenwirtschaftlich getriebenes Wachstum umgestellt werden könnte.Und wie funktioniert das?Viele historische Vorbilder gibt es dafür nicht. Es gibt aber auch nicht viele historische Beispiele für das höllische Duo Trump-Musk, vielleicht irgendwelche übergeschnappten Kaiser gegen Ende des Weströmischen Reiches. Aktuell sehen wir: Es ist viel gefährlicher, von einem Exportmarkt wie den USA abzuhängen als vom Import von russischem Gas. Die Frage müsste sein: Gibt es eine Möglichkeit für ein hoch industrialisiertes Land wie Deutschland, in einer Weltwirtschaft zu überleben, in der die Amerikaner nicht mehr bereit sind, unsere Überschüsse auf Kosten der eigenen „middle class“ zu absorbieren? Wobei in beiden Ländern die Einkommen der kleinen Leute leiden: in Deutschland zwecks Erhöhung der „Wettbewerbsfähigkeit“, in den USA wegen des Wegfalls der Industriearbeitsplätze.Sagen Sie mal: Hat Deutschland eine Chance, als Exportnation zu überleben, ohne dass die Amerikaner unsere Produkte kaufen?Wir bewegen uns heute unvermeidlich in Richtung einer multipolaren Weltordnung, in der neue Wachstumszonen, viele davon auf der südlichen Halbkugel, eine immer größere Rolle spielen werden. Ich erwähne kurz die BRICS-Staaten – zu denen freilich Russland gehört, und das wird so bleiben. Können wir umstellen von der Belieferung amerikanischer Porscheliebhaber auf die Belieferung von Ländern im Süden, aber nicht nur dort, die Kraftwerke, Meerwasser-Entsalzungsanlagen, Satellitensysteme und weiß-der-Teufel-was-noch-alles brauchen, sich aber vernünftigerweise keinesfalls von den USA abhängig machen wollen? Das wäre ausnahmsweise eine „Entwicklungshilfe“, aus der sich etwas entwickeln könnte. Aber dazu brauchte man ein neues globales Finanzsystem, wie es die BRICS-Länder einzurichten versuchen, weg vom Dollar. Und es müsste Schluss sein mit den von den USA ausgedachten und uns abverlangten Handelssanktionen, etwa mit China, aber auch mit Russland. Könnten europäische Länder, könnte die EU den BRICS beitreten, um ihnen weiterzuhelfen, statt sich von einem übergeschnappten Möchtegern-Bonaparte wie Trump kujonieren zu lassen? Ein weites Feld.