Sein Buch umfasst knapp 100 Seiten und erzählt in rasantem Tempo von islamistischen Attentätern, linksradikalen Lehrern, rassistischen Polizeibeamten, sexistischen Jugendlichen. Jérôme Leroy hält Frankreich mal wieder den Spiegel vor
In diesem fiktionalen Stück Frankreich funktioniert nichts so, wie es soll
Foto: Laurent Fox/Getty Images
Eigentlich hatte Berufsschullehrer Flavien Dubourg den Besuch der Pariser Jugendbuchautorin Alizé Lavaux herbeigesehnt. Die sollte seinen Schülern in einer westfranzösischen Hafenstadt ihren empowernden Young-Adult-Roman „Sonne für alle“ vorstellen. Aber als es in der Provinzstadt, in der mittlerweile die Rechtsextremen vom Patriotischen Block (einer fiktionalisierten Version des Rassemblement National) regieren, zu einem islamistischen Anschlag kommt, eskalieren die Ereignisse. Jérôme Leroys Roman Die letzte Französin, im Original 2018 erschienen, ist gerade mal gut hundert Seiten lang und erzählt in atemberaubendem Tempo von islamistischen Attentätern, linksradikalen Lehrern, rassistischen Polizeibeamten, rechten Politikern, wehrhaften Spießern und sexistischen Jugendlichen.
Wie mit dem Skalpell seziert Jérôme Leroy die französische Gegenwart
Es beginnt damit, dass der nicht-weiße Mokrane Méguelati aus dem Regionalbüro des Inlandsgeheimdienstes einigen Islamisten auf die Spur kommt, die einen Anschlag planen. Gerade nachdem er die Nachricht per Handy an seine Vorgesetzten abgesetzt hat, gerät er in eine Schießerei und wird von einem Polizisten, der ihn für einen islamistischen Attentäter hält, erschossen. Es folgt die Razzia in einem nahe gelegenen Sozialblock mit mehrheitlich migrantischer Bevölkerung, was zu einem nächtlichen Aufstand führt.
Die mit Kalaschnikows bewaffneten Islamisten ziehen auf der Flucht mordend durch die Stadt. Der Reihe nach werden sie erschossen, unter anderem von einem ehemaligen Mitglied der Fremdenlegion im Ruhestand. In den Großraumbüros der Sicherheitskräfte klopft man sich auf die Schulter, da die Gefahr fast gebannt zu sein scheint. Wäre da nicht ein letzter, noch lebender Islamist, der sich Richtung Berufsschule aufmacht, wo der linksradikale Flavien Dubourg gerade die von ihm angebetete Autorin begrüßt und versucht, das Mackergehabe seiner Schüler in den Griff zu bekommen.
Jérôme Leroy erzählt diese Geschichte in stakkatoartiger Prosa und packt in diese 100 Seiten verblüffend viel Handlung. Wie mit dem Skalpell seziert er die französische Gegenwart. Das reicht von der Angst vor islamistischen Anschlägen über die Bildungsmisere, die Misogynie vieler Männer bis hin zum Rechtsruck in der Gesellschaft. Der wird beispielhaft in der rasanten Eingangsszene durchdekliniert, wo die von der rechtsextremen Regionalregierung mit Sturmgewehren aufgerüsteten Polizisten just in der Straße den schwarzen Geheimdienstmitarbeiter erschießen. Diese war einst nach einem Anarchisten benannt und nun nach einem Gefährten von Jean-Marie Le Pen.
Der Held ist kein’ Deut besser
In diesem fiktionalen Stück Frankreich, das hier so pointiert beschrieben wird, funktioniert nichts so, wie es soll. Das gilt für die stümperhaft agierenden Attentäter, die brutal und rücksichtslos viel Schaden anrichten. Aber auch die Polizei verhält sich alles andere als professionell. Der linke Berufsschullehrer, der im Leroy’schen Politkrimi eigentlich Sympathieträger sein müsste, ist ebenfalls ein Idiot und genauso ein widerlicher Sexist wie seine Schüler. Jérôme Leroy dreht in dieser Geschichte so extrem an der Eskalationsschraube, dass die Story am Ende immer unwirklicher scheint.
Da sitzt dann der sich einnässende und autoritär herumschreiende Berufsschullehrer mit seinen Schülern während des Amokalarms bei über 30 Grad im Container-Klassenzimmer, während draußen eine wilde Schießerei losbricht, die bei schlauerer Polizeiarbeit hätte verhindert werden können. Nur ist das noch gar nicht der unglaubliche Höhepunkt dieser Geschichte, die mit einem absolut verblüffenden Ende und sogar noch mit einem Ausblick auf die nächsten Jahrzehnte aufwartet. Dieses dreiste Stück Literatur erzählt mit ebenso anklagendem wie ironischem Unterton von Attentaten, Islamismus und Neofaschisten und fühlt dabei den ideologischen Abgründen der französischen Gesellschaft punktgenau auf den Zahn.
Die letzte Französin Jérôme Leroy Cornelia Wend (Übers.), Edition Nautilus 2025, 104 S., 16 €
Die letzte Französin Jérôme Leroy Cornelia Wend (Übers.), Edition Nautilus 2025, 104 S., 16 €