Das Milcheiweiß der Zukunft muss nicht mehr aus dem Euter kommen, die Industrie arbeitet an klimafreundlichen Alternativen. Ein Berliner Start-up versucht es jetzt mit Pilzen
Käse ist zwar nicht ganz so klimaschädlich wie der Fleischverzehr, aber ein CO2-Fußabdruck bleibt
Foto: Formo
Es sieht aus wie ein Frischkäse, schmeckt auch so, nur: Das Lebensmittel namens „Frischhain“ kommt gänzlich ohne Milch aus. „Tierfrei“ prangt auf seinem Deckel, das Produkt – der 150-Gramm-Becher für 2,49 Euro – basiert auf dem Koji-Pilz. Der ist aus der japanischen Küche bekannt. Das Berliner Biotech-Unternehmen Formo setzt auf ihn nun als Eiweißquelle für Käse, als erstes Unternehmen weltweit.
Knapp 24 Kilo Käse isst jeder Deutsche durchschnittlich im Jahr, laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Käse ist zwar nicht ganz so klimaschädlich wie der Fleischverzehr, je mehr Milch in ihm steckt, desto größer ist in der Regel aber sein Kohlendioxid-Fußabdruck. Der Hartkäse mit bis zu 13 Litern Milch pro Kilo verursacht also mehr Treibhausgase als ein Kilogramm Frischkäse, der bis zu sechs Liter Milch braucht. „Zudem steigt die Nachfrage nach Produkten, die nicht vom Tier kommen“, sagt Armin Valet, Lebensmittelexperte der Verbraucherzentrale Hamburg.
Es gab Zeiten, da war Käse ohne Kuh verpönt – als Analogkäse. Das allerdings war ein billiges Käse-Imitat aus Wasser, Pflanzenfett, Milcheiweiß, mit dem Produzenten den klassischen Käse auf Tiefkühlpizzen oder Käsestangen streckten. Damit habe die neue Generation von Käse „nichts mehr zu tun“, sagt Valet, die Hersteller würden echte Alternativen zu Käse aus Milch suchen: „In unseren Tests waren manche ganz okay, manche sogar ganz gut, andere aber noch weit weg vom Käsegeschmack.“
Die Koji-Pilz-Käse-Alternativen
Im Kühlregal finden sich schon länger vegane Camemberts auf Mandelbasis, Scheibenkäse mit Kokosöl, Parmesan-Ersatz aus Cashews. Davon unterscheiden sich nun die Koji-Pilz-Käse-Alternativen, erhältlich in den Sorten „Natur“, „Kräuter“, „Tomate“. Das Formo-Start-up, das sich 2019 gegründet und in das unter anderem der Kölner Einzelhandelskonzern Rewe investiert hat, verrührt nicht den Koji-Pilz selbst zu Käse. Es nutzt ihn, um eine Mikro-Fermentation auszulösen – und aus dem Pilz Proteine zu gewinnen.
Eigentlich ist die Fermentation ein uraltes Verfahren. Mikroorganismen – Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze – helfen, aus einer Biomasse Alkohol, Gase, Säuren entstehen zu lassen: etwa beim Bierbrauen, wenn die Hefe Zucker in Alkohol verwandelt. Oder beim Sauerkraut: Milchsäurebakterien fressen die Stärke und den Zucker im Kohl und verstoffwechseln ihn zu Milchsäure, die alles haltbar macht.
Formo hat diese Technik nun so weiterentwickelt, dass sie für die Käseherstellung taugt. Entstanden sei eine Art Bierbrauerei für Koji-Proteine, erklärt Christian Poppe von Formo: „Aber anstelle von Hopfen und Malz gönnen sich hier Koji-Stämme ein fröhliches Bad mit Mikronährstoffen und Zuckern. Sie produzieren Proteine für die Käse-Alternative.“ Es ist ein Zwischenschritt. Langfristig will das Formo-Team Koji-Pilze nutzen, die es gentechnisch so programmiert hat, dass sie wie eine Kuh das in der Milch enthaltene Protein Kasein produzieren. Die Experten sprechen dann nicht mehr von Mikro-, sondern von Präzisionsfermentation: Die Mikroorganismen bekommen einen genauen Auftrag.
Der Käse auf Basis von Proteinen aus der Präzisionsfermentation gilt in der EU allerdings als neuartiges Lebensmittel, als „Novel Food“, das erst noch genehmigt werden muss. In den USA seien einige dieser neuartigen Milchprodukte schon auf dem Markt, etwa Eiscreme und Frischkäse, erklärt Ivo Rzegotta von der Denkfabrik „The Good Food Institute Europe“, die vegane Produkte voranbringen will. Neben den USA sei Israel führend bei der Technik – „und bei Investoren gefragt“, sagt Experte Rzegotta.
Umstrittener Inhaltsstoff
Bleibt die Frage: Ist der Koji-Käse gesund, der bereits in Supermärkten zu finden ist? „Zumindest ist er nicht so schlecht“, sagt Verbraucherschützer Valet. Anders als sonst bei Käse sei allerdings kein Kalzium drin, dafür müsse man dann Linsen oder Bohnen, Nüsse oder Vollkorngetreide essen. Zugleich enthalte er mehr Fett als ein klassischer Frischkäse, außerdem das umstrittene Verdickungsmittel Carrageen. Es gebe Hinweise, dass dieser aus Rotalgen gewonnene Stoff für den Darm nicht gut, vielleicht sogar krebsfördernd sein könne, meint Valet: „Da gibt es Besseres.“
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) habe Carrageen allerdings als sicher eingestuft, erwidert Formo-Mann Poppe. Eine „cremige Texturstabilität“ lasse sich damit erzeugen. Poppe: „Unser Ziel ist eine nachhaltige, ethische und genussvolle Käse-Alternative.“