Ist es realistisch, dass sich die USA aus ihren Bemühungen um ein Ende des Ukraine-Krieges zurückziehen? Prestigegründe und ökonomische Interessen sprechen dagegen. Eher dürfte der Druck auf Kiew noch steigen
Wolodymyr Selenskyj lehnt den US-Vorschlag bisher ab
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Mehr als zehn Jahre wurde intensiv verhandelt, bevor 2015 ein Atomabkommen mit dem Iran vorlag. Gerade drei Monate hat sich die neue US-Administration bemüht, den Krieg in der Ukraine zu beenden, und schon zeichnet sich eine grundsätzliche Übereinkunft ab, die in eine Waffenruhe münden kann. Gemessen an den Zeiträumen, die der Diplomatie in Konfliktfällen wie diesen normalerweise eingeräumt werden, handeln Donald Trump und sein Team geradezu in Lichtgeschwindigkeit. Haben sie ein Erfolgsrezept, das der Vorgängerregierung vorenthalten blieb?
Nein, haben sie nicht. Was sie in die Verhandlungen mit Russland einbringen, sind realistische Urteile, die sich auf die Kriegslage und bestehende Kräfteverhältnisse berufen – am Boden wie in der L
ung vorenthalten blieb? Nein, haben sie nicht. Was sie in die Verhandlungen mit Russland einbringen, sind realistische Urteile, die sich auf die Kriegslage und bestehende Kräfteverhältnisse berufen – am Boden wie in der Luft.Wie will man sonst der Alternative Krieg ohne Ende entkommen? Keine Macht der Welt verhilft der Macht in Kiew dazu, die Halbinsel Krim, den Donbass oder andere von Russland besetzte Territorien zurückzugewinnen – weder die USA noch die NATO noch die Koalition der willigen Europäer noch die ukrainische Armee selbst. Das Aushandeln einer Feuerpause und die Verständigung mit Russland sind alternativlos, will man der Alternative Krieg ohne Ende entkommen. Wer sich dagegen entscheidet, verantwortet jeden Tag neue Opfer und ein hohes Maß an Zerstörungen, die ein Land wie die Ukraine an den Rand seiner ökonomischen Existenz bringen und die unterstützenden EU-Staaten an den ihrer Zahlungsfähigkeit. Winkt ein „Diktatfrieden“? Davon zu reden, fällt besonders denen leicht, die nicht dem Diktat der Verhältnisse nach mehr als drei Jahren Krieg ausgeliefert sind. Die daraus resultierenden Verhältnisse diktieren in der Tat, was nicht ohne schwerwiegende Folgen ignoriert werden kann. Dazu zählt, dass die Amerikaner Präsident Selenskyj nur noch das an Hilfe zubilligen, was auf die Dauer zu wenig sein wird und von europäischen NATO-Staaten nur kompensiert werden kann, wenn sie von der Waffen- und logistischen Hilfe auf direkte Kriegsbeteiligung umschwenken. Nirgendwo, weder in Berlin noch in Paris oder London zeichnen sich politische Entscheidungen ab, die darauf hinauslaufen. Die britische Regierung deutet im Gegenteil an, dass sie nun doch keine eigenen Truppen als Sicherheitsgarantie entsenden will. Die Risiken seien zu hoch.Territorialkonflikte sind einer NATO-Mitgliedschaft klar abträglich Zumal derzeit Bewegung in die festgefahrene Position kommt, was einiges damit zu tun hat, dass Russland zu Beginn dieser Woche der US-Regierung mitteilte, man sei bereit, den Anspruch auf nicht besetzte Teile der Ukraine aufzugeben. Konkret geht es um die vier östlichen und südlichen Regionen, die von russischen Truppen größtenteils, aber nicht vollständig besetzt sind. Bisher hatte es aus Moskau stets geheißen, dass die Städte Cherson und Saporischschja abgetreten werden müssten. Auch will Russland auf die Kontrolle des Kernkraftwerkes Saporischschja verzichten, sofern die Anlage vorübergehend von den Amerikanern übernommen wird.Im Gegenzug hat Washington in Aussicht gestellt, die 2014 erfolgte Annexion der Krim anzuerkennen, desgleichen eine mögliche Waffenstillstandslinie, die mit dem augenblicklichen Verlauf der Front weitgehend identisch ist. Damit würden die russischen Eroberungen hingenommen, quasi ein Territorialkonflikt eingefroren. Präsident Selenskyj kann das akzeptieren, solange damit die russische Landnahme auf eigenem Territorium nicht als dauerhaft und legal anerkannt wird, was sich als gesichtswahrende Formel schriftlich vereinbaren ließe. Wenn nicht zwischen Moskau und Kiew, so doch zwischen den USA und der Ukraine. Zu beachten wäre, dass sich damit das Eingeständnis eines offenen Territorialkonflikts verbindet, sodass eine NATO-Aufnahme auch aus diesem Grund entfiele. In der Vergangenheit hat das Bündnis stets Mitgliedstaaten vermieden, die von Konflikten erfasst sind, die wegen ihrer Tragweite eskalieren und Beistandspflichten auslösen können. Davon abgesehen, muss Selenskyj ohnehin zur Kenntnis nehmen, dass die USA ihr Veto gegen einen NATO-Eintritt seines Landes einlegen wollen, sollte darüber zu entscheiden sein. NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat soeben mit Donald Trump konferiert, ohne danach die amerikanische Position auch nur leise zu kritisieren.Ein neues Rohstoffabkommen läuft auf einen enormen Souveränitätsverlust der Ukraine hinausDaraus folgt, je länger Selenskyj wartet, desto ungünstiger werden die Konditionen für ihn. Die amerikanische Drohung, sich aus den Sondierungen zurückzuziehen, hängt in der Luft. Es ist aus Prestigegründen für Trump persönlich und wegen ökonomischer Interessen der USA eher unwahrscheinlich, dass es so weit kommt.Der inzwischen vorliegende Entwurf über ein neues Rohstoffabkommen geht zugunsten der USA weit darüber hinaus, was Ende Februar – bis zum Eklat im Weißen Haus – unterschrieben werden sollte. Und dann scheiterte. Die Amerikaner beanspruchen nunmehr 50 Prozent der Ausbeute bei ukrainischen Ressourcen, ob es sich um Öl, Kohle, Gas oder wertvolle Mineralien handelt. Offiziell läuft das unter Kompensation für erbrachte US-Kriegshilfe und ist als Teil eines Schuldendienstes gedacht, bei dem zusätzliche Zinsen anfallen, die in Dollar zu begleichen sind – für die Ukraine eine zusätzliche Belastung, für die wer aufkommt? Die EU? Die USA haben sich überdies das Recht eines privilegierten Zugriffs auf alle Ressourcen gesichert, die geeignet sein könnten, in eine derartige Kompensation einzufließen. Regelungen wie diese konterkarieren eindrucksvoll die Bekenntnisse zu ukrainischer Souveränität, wie sie Wolodymyr Selenskyj momentan einer mehr oder weniger ahnungslosen Öffentlichkeit unablässig präsentiert. Ein solches Rohstoffabkommen jedenfalls würde einen Souveränitätsverlust oder -verzicht festschreiben, der seinesgleichen sucht. Den USA sichert es zudem den Einstieg in eine EU, in der die Ukraine eine privilegierte Partnerschaft genießt oder direkt aufgenommen wird. Viele ukrainische Unternehmen, nicht zuletzt die gesamte Agrarwirtschaft, werden von amerikanischen Firmen abhängig sein oder übernommen. Sie können auskosten, was der EU-Markt so alles zu bieten hat. EU-Agrarwirtschaften wie die Polens werden darunter zu leiden haben. Das gibt Donald Trump nicht preis, weil Selenskyj das Agreement über einen Waffenstillstand verzögert. Diese Aussichten taugen zum Offenbarungseid für Kriegsziele der anderen Art, die mit der „Verteidigung von Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung“ absolut nichts zu tun haben.Aber auch Russland steht für Trumps „Deal“ nicht unbegrenzt zur Verfügung und wird sich fragen, inwieweit es Abstriche an Kriegszielen machen sollte, die der eigenen Sicherheit dienen. Die Versuchung, dies abschlägig zu bescheiden, könnte groß sein, wenn der 80. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland begangen wird?