Christian Friedel inszeniert am Schauspiel Frankfurt den Sciene-Fiction-Klassiker „Solaris“ von Stanisław Lem mit Mut zu großen Gesten und Bildern. Zu Beginn gelingt es ihm, in den Abend hineinzuziehen, doch dann entgleitet ihm das Stück


Christian Friedels „Solaris“ ist als multimediales Gesamtkunstwerk mit Mut zu großen Gesten und großen Bildern angelegt

Foto: Thomas Aurin


Er erscheint so konsequent wie vielversprechend, der Auftakt von Christian Friedels Inszenierung von Stanisław Lems Science-Fiction-Klassiker Solaris. Schon bevor das Stück im Schauspiel Frankfurt beginnt, eine Spiegelung: Während das Publikum in den großen Saal strömt, vermehrt sich auch das Ensemble peu à peu. Dann ein Knall – ein Schuss? – und kurze Dunkelheit, bevor das Stück mit einer kalkulierten Überforderung beginnt.

Auf der mit Leuchtröhren in diffuses Licht getauchten Bühne entfesseln die Schauspieler ein wildes, kakophones, mehrsprachiges Dialoggewitter. Es geht um den Planeten Solaris mit seiner roten und blauen Sonne, um Entdeckergeist und um die dunkle Seite der Menschen, die im Grunde ihres Herzens „Raubtiere

ns „Raubtiere“ seien. Flankiert wird das Stakkato von sphärischen Sounds und Projektionen auf das durchlässige Gewebe am vorderen Bühnenrand: eine wasserähnliche, wabernde Molekül-Wolke, technisches Kauderwelsch und die Übersetzungen der auf der Bühne gesprochenen Worte.In den ersten Minuten weiß Christian Friedel, der spätestens durch seine Rollen als Auschwitz-Lagerkommandant Rudolf Höß in Jonathan Glazers The Zone of Interest und als verstrahlter Hotelmanager in der dritten Staffel von The White Lotus internationale Bekanntheit erlangt hat, in seine Inszenierung hineinzuziehen. Schnell wird klar, dass der Schauspieler und Regisseur alles andere als eine klassische oder zurückhaltende Version des Stoffs im Sinn hat. Projektionen, musikalische Interludien mit Songs seiner Artpop-Band Woods of Birnam samt kleiner Tanzperformances (Choreografie: Valenti Rocamora i Torà): Sein Solaris ist als multimediales Gesamtkunstwerk mit Mut zu großen Gesten und großen Bildern angelegt.Christian Friedel scheint von Steven Soderberghs „Solaris“-Verfilmung inspiriert zu seinDass Friedel in die Vollen gehen will, wundert bei der bis heute faszinierenden und aktuellen Vorlage kaum. Lems Roman von 1961 ist ein großer Klassiker der Science-Fiction-Literatur, Andrei Tarkowskis Verfilmung aus dem Jahr 1972 einer der Filmgeschichte. 2002 hat Steven Soderbergh seine Solaris-Version mit George Clooney in der Hauptrolle ins Kino gebracht und damit, so scheint es, auch Friedel für seine Inszenierung inspiriert. Denn wie in Soderberghs Film, rückt auch in der Bühnenversion die Beziehung des Psychologen Kris Kelvin zu seiner verstorbenen Frau Harey ins Zentrum.Dieser Kelvin landet auf der Bühne in Frankfurt, herabgelassen an Seilen, inmitten von Fabian Wendlings Raumstation-Bühnenbild aus leuchtend umrandeten Türen, Bögen und Röhren, das dank der Drehbühne, Seilkonstruktionen und den rasenden Techniker:innen in ständiger Transformation bleibt.Auf der Raumstation findet er Chaos: Gibrarian (Anabel Möbius), die Leiterin der Raumstation, scheint am Vortag Suizid begangen zu haben und die beiden verbliebenen Wissenschaftler:innen, der Kybernetiker Snaut (Arash Nayebbandi) und der Biochemiker Sartorius (Stefan Graf), berichten von ominösen „Gästen“, von denen sie heimgesucht werden. Einer sieht ein Baby, vier Meter groß, das keine Halluzination und zugleich kein Mensch sei, weil es sich unnatürlich bewege. „Ich weiß nur Bescheid über Dinge, die ich selbst sehe“, sagt Kelvin und startet eine Investigativ-Recherche gegen seine Kolleg:innen, bis er selbst seiner verstorbenen Frau begegnet. Geschickt werden die Gäste anscheinend von dem alles umgebenden, intelligenten Ozean auf Solaris.„Solaris“ wird begleitet von Songs, die etwas Selbstverliebtes habenSpätestens ab diesem Punkt entgleitet Friedel sein Stück, dessen Personal er mit wechselnden Schauspielerinnen und Schauspielern inszeniert. Die erste Begegnung von Kelvin (Miguel Klein Medina, Anna Kubin, Lotte Schubert, Michael Schütz) und Harey (Christoph Bornmüller, Torsten Flassig, Annie Nowak) wiederholt sich quasi eins zu eins in anderer Konstellation und es folgen etliche weitere Szenen mit pseudopsychologischen Tiefenbohrungen und wenig erzählendem zwischenmenschlichen Geplänkel.Unterbrochen wird das Geschehen von Songs, die etwas Selbstverliebtes haben, dramaturgisch irritieren und deren Texte teils ärgerlich trivial wirken: „Doch jedes Bild, das sie dir zeigen, zerfällt, wenn du versuchst zu greifen.“ Uff! Auch der visuelle Bombast, mit dem Friedel unglaublich ausdrucksstarke Bilder auf- und übereinanderstapelt, täuscht nicht darüber hinweg, dass seiner Inszenierung die philosophische Komplexität der Vorlage abhandenkommt und er in der inhaltlichen Konzentration keine thematische findet.Was wäre da alles drin gewesen! Lem erzählt mittels des rätselhaften Ozeans, der bei ihm ein zentraler Akteur ist, viel über den Umgang des Menschen mit dem Unbekannten, mit einer ihn umgebenden, intellektuell kaum zu fassenden Natur. Geradezu eine Steilvorlage, die, ohne dass man es zu sehr ausreizen müsste, Anknüpfungspunkte an unsere Gegenwart geboten hätte, würde der Ozean bei Friedel mehr als nur eine marginale Rolle spielen.Und auch über die „eigene Hässlichkeit“ des Menschen, seine „dunklen Seiten“ und seinen Hang, „das eigene idealisierte Bild“ zu finden, wie es heißt – eine weitere Steilvorlage! – erzählt Solaris am Schauspiel Frankfurt wenig, weil man den Figuren nicht nahekommt. Das introspektive Stück verrennt sich in dem personellen und inszenatorischen Spiegelkabinett, das es blockbusterartig aufbaut. Schade!



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Von Veritatis

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