Militärische Narrative gewinnen die Überhand im Unterricht. Dem muss beherzt entgegengesteuert werden – sonst erscheinen Kriege einer jungen Generation zunehmend als alternativlos
Montage: der Freitag
Die aktuelle Debatte über die mentale und emotionale Kriegsertüchtigung in Schulen zeigt überdeutlich, dass es den Meinungsführern in Politik, Medien und Militärapparat weniger um Friedensvorbereitung und die im Grundgesetz verankerte „Friedenspflicht“ der Deutschen geht, sondern eher darum, die Schuljugend mit der militärischen Logik vertraut zu machen und auf zukünftige Militär- bzw. Kampfeinsätze innerhalb wie außerhalb Europas einzustimmen.
Zu diesem Zweck soll die Bundeswehr einen privilegierten Zugang zu den Klassenzimmern erhalten, um für ihre militärischen Belange zu werben. Das 2024 verabschiedete bayerische „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ verdeutlicht diese Zeitenwende. Thomas Gesterkamp
Gesterkamp hat diese Tendenz in einem Artikel für den Freitag beleuchtet.Das Fatale an diesem kriegsvorbereitenden Lernen ist, dass weder dem kritischen Nachdenken über Kriegsursachen, Kriegsfolgen, Kriegsbegründungen und Kriegsrhetorik noch der Möglichkeit wirksamer Kriegsvermeidung bzw. rascher Kriegsbeendigung ernsthaft Raum gegeben wird. Die Deutungshoheit haben die Militärs bzw. die Jugendoffiziere. Das begünstigt vordergründige Kriegsbejahung, Feindbeschwörung, naives Gut-Böse-Denken und eine fatale Überschätzung des militärischen Hau-Drauf.Unter diesen Vorzeichen werden Kriege schnell mal als alternativlos hingestellt und in höchst einseitiger Weise verklärt und legitimiert. Dieser kriegsbejahenden Meinungsmache muss eine auf Kriegsprävention und Gewaltvermeidung gerichtete Friedensbildung unbedingt entgegenwirken.Gängige Kriegsmythen hinterfragenWie das gehen kann, liegt auf der Hand: Friedenssuche statt Kriegsertüchtigung; Entspannungs- und Versöhnungsdenken statt Konfrontationskult und Feindbildpflege. Entscheidend dabei ist, dass die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit laufenden oder drohenden Kriegen ins Zentrum der schulischen Friedensbildung gestellt wird.Dementsprechend müssen die gängigen Kriegsmythen hinterfragt, differenzierte Recherchen angestellt, Kriegsrisiken und Kriegsfolgen beleuchtet, geopolitische Interessenlagen analysiert, Perspektivenwechsel versucht, Pro-und-kontra-Debatten geführt, Friedensoptionen entwickelt, Konfliktregelungsverfahren sondiert, Friedens-Resolutionen verfasst sowie die gängigen Schwarz-Weiß-Malereien in Politik und Medien überwunden und alternative Wege der Deeskalation und Völkerverständigung gesucht, diskutiert und gewürdigt werden.Das alles ist im Beisein geschulter Bundeswehroffiziere schwerlich zu machen. Deshalb ist die geplante Werbe- und Rekrutierungsoffensive der Bundeswehr in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen auch so problematisch. Dies umso mehr, als ein gleichberechtigter Zugang der Kriegsdienstverweigerer und Friedensdienste nicht einmal angedacht, geschweige denn verbindlich institutionalisiert ist.Von daher ist der privilegierte Zugang der Bundeswehr zu den Schulen eine höchst fragwürdige Angelegenheit, die der mentalen und emotionalen Aufrüstung der Jugendlichen Tür und Tor öffnet. Deshalb müssen und sollten sich Schulen einer derartigen Funktionalisierung für militärische Zwecke unbedingt widersetzen und ihre Bildungsarbeit prioritär darauf abstellen, die humanitären Risiken, Schrecken und Alternativen von Kriegen ins Bewusstsein der Jugendlichen zu heben.Destruktive EigendynamikZiel dieser kriegskritischen Meinungsbildung ist also nicht Kriegsertüchtigung, Feindbeschwörung und Kampfbereitschaft, sondern das faktenbasierte Fördern von Kriegsskepsis, Friedensphantasie, Friedenswillen sowie sozialer und interkultureller Empathie und Konfliktregelungskompetenz. Das ist der Kern einer humanistischen Bildungs- und Erziehungsarbeit, die sich dem Frieden und nicht der Kriegsertüchtigung verpflichtet sieht. Dieser humanistische Anspruch impliziert, dass Kriege mit allen Mitteln verhindert werden müssen, bevor sie sich entzünden können.Und wenn sie sich bereits entzündet haben, dann sollte alles daran gesetzt werden, sie möglichst rasch zu beenden, da es nach aller Erfahrung mit wachsender Kriegsdauer und zunehmenden Opferzahlen und Kriegsschäden immer schwieriger wird, zu konstruktiven Friedensverhandlungen zu kommen. Die aktuellen Kriege in der Ukraine, in Gaza und im Sudan lassen diese destruktive Eigendynamik erkennen.Diese Einsichten anzubahnen, differenzierte Recherchen zu Kriegsereignissen anzustellen, die Destruktivität von Kriegen bewusst zu machen, das Dämonisieren von Gegnern zu problematisieren, Perspektivenwechsel zu gewährleisten, die Chancen der Diplomatie zu verdeutlichen, kriegsbejahende Medienberichte kritisch zu kommentieren, Werbeprospekte und Werbevideos der Bundeswehr zu hinterfragen, fragwürdige Kriegsbegründungen zu kontern, über Waffenexporte zu diskutieren, Kriegspropaganda zu entlarven, den aktuellen Rüstungswahn zu hinterfragen, aufrüttelnde Kriegsliteratur zu lesen, den Zusammenhang von Geopolitik und Kriegstreiberei zu analysieren sowie das pazifistische Denken und Handeln angemessen zu würdigen – das alles führt weg von einem einseitigen Bellizismus.Auch wenn die Umsetzung dieser Ansprüche und Methoden im Schulalltag gewiss nicht leicht ist, so führt doch kein Weg daran vorbei, dass der Schuljugend eindringlich Gelegenheit gegeben werden muss, die behauptete Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Aufrüstung, Kriegen und Kriegsertüchtigung kritisch zu hinterfragen und die besagte Kriegsskepsis und Friedensphantasie faktenbasiert aufzubauen. Das ist Friedensbildung und Kriegsprävention im besten Sinne des Wortes. Schulen müssen dieser Akzentsetzung Vorrang geben.