Wie nennt man ein Land, in dem der Staat entscheidet, wer ausreisen darf – basierend auf dessen politischer Einstellung? Früher sagte man dazu: Diktatur. Heute heißt es: „Gefahrenabwehr“. Und ist wieder Alltag in Deutschland.
Laut einem Bericht des „Focus“ hat die Bundespolizei rund 30 Personen an der Ausreise nach Italien gehindert. Der Vorwurf: Sie könnten zu einer „rechtsextremen Gruppe“ gehören und in Italien Straftaten begehen. Beweise? Fehlanzeige. Stattdessen reicht offenbar das Etikett – und schon wird das Grundrecht auf Freizügigkeit kassiert wie ein ungültiger Fahrschein.
Das Ganze erinnert an finstere Kapitel deutscher Geschichte – nur dass die Uniformen inzwischen anders aussehen und die Begründungen modernisiert wurden. Der Begriff „präventiv“ klingt technisch, sachlich, ungefährlich. Doch hinter der nüchternen Bürokratie steckt ein alter Reflex: Wer vom offiziellen Kurs abweicht, verliert Rechte. Erst die öffentliche Stimme. Dann die Bewegungsfreiheit.
In einer ganz anderen Situation hätten dieselben Medien, die jetzt brav berichten, Empörung geäußert. Man stelle sich vor, 30 Klimaaktivisten wären an der Ausreise gehindert worden – wegen „Gefahr für die öffentliche Ordnung“. Ein Aufschrei der Empörung wäre durchs Land gefegt. So aber: betretenes Schweigen.
Man muss mit keiner dieser Personen sympathisieren, um den Skandal zu erkennen. Es geht hier nicht um rechts oder links. Es geht um Rechtsstaat oder Willkür. Wenn der Staat Bürger auf Verdacht einsperrt oder festhält – oder an der Grenze kehrtmachen lässt –, dann ist das nicht Demokratie. Dann ist das DDR.
Zwar ohne Mauer. Aber mit dem gleichen Prinzip: Wer nicht pariert, wird aussortiert.
Ein Mitglied der gestoppten Reisegruppe posierte am Flughafen mit einem Handzeichen, das international als Erkennungszeichen der sogenannten „White Power“-Szene gilt. Anschließend berichteten mehrere Beteiligte auf X über die nächtliche Kontrolle und ihre unfreiwillige Rückkehr vom Terminal. Auf ihren Profilen veröffentlichten sie Bilder und Protokolle der Maßnahme – darunter Kleidungsstücke der Identitären Bewegung Bayern, ein Pullover mit dem Aufdruck eines sogenannten „Abschiebefliegers“, Mützen mit Höcke-Slogan und AfD-Kugelschreiber.
Man muss kein Freund dieser Symbole sein – im Gegenteil. Aber seit wann verlieren Menschen ihre Grundrechte, weil sie geschmacklose Kleidung tragen oder die falschen Kugelschreiber im Gepäck haben? Wer entscheidet, wann politische Accessoires zur Gefahr werden? Muss man künftig mit einer zweiten Sicherheitskontrolle rechnen – nicht für Flüssigkeiten und Laptops, sondern für politische Gesinnung? Wehe dem, der einen Höcke-Sticker im Rucksack hat. Geht ein “Freie Wähler”-Flyer noch durch? Und wer mit einem „Linke“-Kugelschreiber reist – bekommt der vielleicht sogar Lounge-Zugang und ein Upgrade in die Business-Class?
‚Wer raus will, bleibt drin‘
Offiziell wird auf das Versammlungsgesetz verwiesen. Italien habe ein Verbot erlassen und Deutschland wolle sich nicht blamieren. Interessant, wie schnell demokratische Grundrechte geopfert werden, wenn im Ausland jemand pikiert sein könnte. Und wie bereitwillig man italienischen Behörden mehr Vertrauen schenkt als den eigenen Bürgern.
Die Bundespolizei verteidigt ihr Vorgehen – man habe nur gehandelt, um „Störungen“ zu verhindern. Klingt nach Ordnungsamt, ist aber in Wahrheit der nächste Tabubruch: Es genügt inzwischen, dass jemand theoretisch etwas tun könnte, um ihm die Ausreise zu verbieten.
Und nicht nur die Polizei sieht darin kein Problem: Auch das Verwaltungsgericht München hat die Maßnahme per Eilentscheid bestätigt. Kein gründliches Verfahren, kein Urteil, keine Tat – aber ein Reiseverbot, gerichtlich abgesegnet. Was früher nach Willkür roch, trägt heute einen richterlichen Stempel. Und das macht es nicht weniger bedenklich – im Gegenteil.
Was kommt als nächstes? Kein Mallorca-Urlaub mehr für AfD-Wähler? Keine Interrail-Tickets für EU-Kritiker?
Wer entscheidet eigentlich, wer verdächtig ist? Und was passiert mit den Leuten, die heute klatschen – wenn sie selbst morgen das Etikett abbekommen?
Wenn Gesinnung über Rechte entscheidet, ist die Demokratie nur noch eine Verpackung. Der Inhalt? Kontrolle. Misstrauen. Mauerdenken.
Nur dass man diesmal nicht raus will, um in die Freiheit zu kommen – sondern einfach nach Italien.
Und plötzlich darf man nicht mehr. Weil man das Falsche denkt.
Mauer 2.0. Diesmal ohne Beton. Dafür mit Algorithmus und Verdachtslogik. Und wieder jubeln viele, weil sie glauben, sie seien auf der richtigen Seite.
So fängt es immer an. Und selten gut auf.
PS: Ist „DDR 2.0“ oder „Mauer 2.0“ zu hart? Gehe ich da zu weit?
Diese Frage habe ich mir nach dem Verfassen dieses Artikels gestellt. Natürlich ist Deutschland heute nicht die DDR. Es gibt keine Stasi, keine Mauer aus Beton. Aber wenn Menschen aufgrund ihrer politischen Gesinnung an der Ausreise gehindert werden, erinnert das an dunkle Kapitel unserer Geschichte. Die Begriffe „DDR 2.0“ und „Mauer 2.0“ sind bewusst polemisch gewählt, um auf diese bedenkliche Entwicklung hinzuweisen. So absurd eine Gleichsetzung wäre – so sträflich wäre es, gewisse, zunehmende Parallelen zu ignorieren. Mit geht es nicht ums Gleichsetzen, sondern ums Wachrütteln. Denn Freiheit beginnt dort, wo der Staat seine Bürger nicht nach Meinungen sortiert.
Post-PS: Und noch ein Gedanke – den ich mir sofort verkniffen hätte.
Als ich von dem Ausreiseverbot hörte, kam mir ein weiterer Gedanke in den Sinn – den ich zunächst beiseitegeschoben habe. Die Maßnahme wurde offiziell als „Gefahrenabwehr“ begründet, als „Schutz des internationalen Ansehens Deutschlands“ und mit dem Argument, dass von den Betroffenen eine mögliche Störung ausgehen könne. Auch das Verwaltungsgericht München bestätigte die Maßnahme per Eilentscheid – mit der Begründung, es seien keine milderen Mittel ersichtlich, um das Ziel zu erreichen. Prävention also. Schutz. Ein staatliches Eingreifen auf Verdacht, nicht auf Basis konkreter Straftaten.
Und genau da setzte mein Unbehagen ein. Denn auch in den finstersten Kapiteln deutscher Geschichte wurden Menschen unter dem Stichwort „Schutz“ in ihrer Freiheit beschnitten. Natürlich ist das nicht dasselbe – und schon gar nicht darf man da irgendetwas gleichsetzen. Aber allein schon, dass man heute wieder an solche Parallelen denkt, sollte niemanden kaltlassen. Vielleicht ist gerade das das eigentliche Alarmsignal.
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