Darf man Klitoris morgens im ZDF sagen? Und wie verhält man sich zu Werbung für Periodenwäsche zum Weltfrauentag? Die Chemnitzer Band Blond im Interview über ihr drittes Album, sympathischere Ossis und wieso Merch nicht gegen Sexismus hilft
Ein großer Sachsenschatz: Nina Kummer, Johann Bonitz und Lotte Kummer von der Band Blond
Foto: Mia Morgan
Ob ZDF-Moderator Mitri Sirin bei seiner Anmoderation so genau wusste, worum es im Song Ich wär so gern gelenkiger der Band Blond geht, bleibt zu bezweifeln: „Sie singen kritisch über Konsum, Liebe und Gender und jetzt über etwas, was mich auch sehr betrifft“, kündigt er die Band im Morgenmagazin an. Nina Kummer, Sängerin und Gitarristin der Band, erwidert: „Guten Morgen Deutschland, in diesem Song geht es um die Klitoris.“ Dann setzen Schlagzeug und ein treibender Bass ein. Im Anschluss amüsieren sich Nina, ihre Schwester Lotta Kummer und Johann Bonitz noch öfter über ihren Auftritt vor uneingeweihtem Publikum.
der Freitag: Wie fühlt es sich an, vor Menschen, die eure Band nicht unbedingt kennen, ein Lied über Selbstb
vor uneingeweihtem Publikum.der Freitag: Wie fühlt es sich an, vor Menschen, die eure Band nicht unbedingt kennen, ein Lied über Selbstbefriedigung zu singen?Lotta Kummer: Wir haben uns Ich wär so gern gelenkiger für den Auftritt im MoMa selbst ausgesucht, und waren sehr happy, dass das angenommen wurde. Keine Ahnung, ob sich damit jemand vorher wirklich beschäftigt hat. Gerade bei Songtexten ist es ja auch schön, wenn Leute sie noch nicht kennen. Wenn die dann lachen, weiß man, dass eine Pointe funktioniert hat. Man hört ja jeden Song nur einmal zum ersten Mal.Nina Kummer: Wir haben die wildesten Theorien darüber gehört, worum es in diesem Song geht. Jemand meinte, es ginge um einen sehr kleinen Mann, und man müsse gelenkiger sein, um ihn zu küssen. Es gefällt mir aber auch, wenn Leute Songs nicht direkt verstehen. Wir hatten erst einen Chor da drin, der sehr deutlich „Klitoris“ gesungen hat. Das haben wir wieder rausgenommen. Jetzt denken manche Leute, es sei ein Lovesong. Das finde ich auch schön.Glaubt ihr, dass es eine viel geteilte Erfahrung junger Frauen ist, dass sie ihre Heterosexualität bedauern?Lotta Kummer: In unseren Kreisen auf jeden Fall. Ich habe auch schon Frauen auf Clubtoiletten weinen gehört, die meinten: „Ich stehe halt auf Schwänze, was soll ich machen?“ Und ich denke mir: mein Beileid.Euer neues Album heißt „Ich träum doch nur von Liebe“, und klingt damit erst mal romantisch, fast wie ein Schlager. Dann geht es aber in den Songs viel um die Abgründe von Liebe, um sexuelle Belästigung, Drohungen, Stalking. Fällt es euch leicht, solche Themen mit Humor zu behandeln?Lotta Kummer: „Leicht fallen“ klingt nicht richtig …Nina Kummer: Es ist etwas, das man als heterosexuelle Frau im Alltag erlebt. Und trotzdem sitzt man abends mit seinen Freundinnen in der Kneipe und lacht darüber. Das geht nur, weil es etwas so Strukturelles ist, das alle anderen Frauen auch erleben. Es schweißt zusammen, darüber zu lachen. Und hilft einem irgendwie, damit umzugehen.Im Song „Girl Boss“ geht es um eine Kritik am vermarkteten Feminismus, versinnbildlicht durch Produkte wie dem „Girlpower-Schal“ oder der „Pridemonth-Lidschattenpalette von Garnier“. Damit greift ihr Unternehmen an, die Feminismus zu Geld machen wollen. Meint ihr nicht, dass ihr damit auch die ein oder andere Person pikiert, die solche Produkte vielleicht wirklich für einen Ausdruck ihrer Haltung hält?Lotta Kummer: Uns war wichtig, dass sich dieser Song nicht gegen die Konsumierenden richtet, so wie: „Du bist dumm, weil du dir ein T-Shirt gekauft hast, auf dem ‚Feminist‘ steht.“Nina Kummer: Der Song ist aus der Perspektive einer Person geschrieben, die dir etwas andrehen will, etwa: „Komm, kauf dir das und setz ein Zeichen!“ Lotta und ich haben ja auch einen Podcast, Da muss man dabei gewesen sein. Da haben uns auch öfter Firmen für Werbung angefragt. Wir hätten uns echt gewünscht, dass da jemand kommt und sagt: Wir verkaufen Brot, könnt ihr dafür Werbung machen?Lotta Kummer: … zum Beispiel weil das gut schmeckt, das Brot.Nina Kummer: … aber wir werden wahrgenommen als feministischer Podcast oder feministische Band, und deswegen haben wir nur Angebote von „Companies“ mit ihrem „Female Empowerment Nagellack“ bekommen. Schon wenn man das ausspricht, will man entgegnen: Sagt doch bitte einfach, dass ihr einen blöden Nagellack verkaufen wollt!Lotta Kummer: Oder sag, dass er gut hält oder so was. Es kam auch mal jemand mit einer Limo, die bei jeder x-ten verkauften Flasche an irgendeine NGO spenden wollte. Ich glaube der Slogan war sogar so etwas wie: „Es ist so einfach, etwas Gutes zu tun!“Nina Kummer: Zu Anlässen wie dem 8. März, der eigentlich ein hochgradig politischer feministischer Kampftag ist, kommen so Angebote wie Rabatte auf Periodenunterwäsche. Ich glaube so etwas war der Auslöser dafür, dass wir diesen Song geschrieben haben. Es ist ja gar nicht schlimm, dass man so etwas kauft, aber man darf nicht denken, dass das was Aktivistisches ist. Es ist okay, wenn man darüber auf etwas aufmerksam wird, aber Sexismus verschwindet nicht, weil du einen Schal gekauft hast.Auf euren vorangegangenen beiden Alben gab es je einen Song, in dem es um die männerdominierte Musikwelt geht, etwa in „Thorsten“ von eurem Debütalbum „Martini Sprite“: eine ironische Ode an einen chauvinistischen Soundmann. Nun sind seitdem ein paar Jahre vergangen. Hat sich eurer Erfahrung nach im Musikbusiness seither etwas getan?Johann Bonitz: Wir haben das große Privileg, dass wir mittlerweile eine sehr freundliche Crew haben, die zwischen uns und dem Veranstaltungs-Personal steht.Lotta Kummer: Ich würde so gern auf diese Frage antworten: Den Song brauchen wir gar nicht mehr spielen, das ist alles fünf Jahre her. Aber es ist immer noch genau so aktuell.Nina Kummer: Wir haben viele FLINTA-Personen in unserer Crew, und die mögen den Song Thorsten sehr gern. Unsere Monitor-Person oder Ton-Person wird zum Beispiel immer mal noch belehrt …Lotta Kummer: …oder gefragt, ob sie eine Ausbildung hat, ob sie gelernt hat. Ich habe auch das Gefühl, dass manche ihre „besten Leute“ vorschicken, wenn Blond kommt, so nach dem Motto: „Wer hat schon mal das Wort ‚Feminismus‘ gehört? Du machst heute Künstlerinnenbetreuung.“Nina Kummer: Wenn man heute nochmal als kleine Band losziehen würde und in irgendwelchen rumpeligen Clubs spielt, dann wird das immer alles noch genau so sein wie vorher. Aber: Wenn man mal etwas kritisiert, ist wenigstens Aufmerksamkeit da. Man merkt, dass andere Bands gemerkt haben, dass es in Ordnung ist, sich zu beschweren. Als wir angefangen haben, dachte ich: Es herrscht nun mal ein rauer Ton in der Musikwelt, das ist normal, und wenn’s schnell gehen muss, ist man auch mal unhöflich. Aber mit unserer Crew merken wir nun: Man muss nicht unhöflich sein, damit Sachen professionell ablaufen.Im Song „Lotta und Nina“ auf eurem neuen Album bezeichnet ihr euch auch als die „Ossi Olsen Twins“. In anderen Medien kursieren teils sehr kreative Beschreibungen eurer ostdeutschen Herkunft, ich glaube, meine liebste war: „der absolute Sachsenschatz“.Nina Kummer: Das finde ich geil.Nervt das nicht manchmal, immer mit diesem Image in Verbindung gebracht zu werden?Nina Kummer: Als wir angefangen haben, Musik zu machen, haben wir uns null damit auseinandergesetzt. Und plötzlich war es in jedem Interview Thema. Dann sind uns selbst erst Unterschiede aufgefallen. Es interessiert scheinbar mehr Menschen. Der Osten ist jetzt plötzlich interessant. Es gibt schon seltsame Reaktionen, wenn man sagt, dass man aus Chemnitz kommt. Man versucht dann ein bisschen, sich das zu eigen zu machen. Wir kennen das mit Chemnitz, wir kennen das mit Sachsen, und jetzt kennen wir es auch mit dem Osten.Johann Bonitz: Aber ich finde auch Ossis unterbewusst immer erst mal ein bisschen sympathischer. Ich hätte das auch fast ausgesprochen, als du gesagt hast, du kommst aus Leipzig.Man hat halt etwas gemeinsam.Johann Bonitz: Es passiert, dass man selbst öfter mal in Klischees denkt.Nina Kummer: (jetzt auf Sächsisch): Da merkt man einfach, die Gräben sind noch tief (lacht).Zum Abschluss noch eine richtige Feuilleton-Frage: Was muss eurer Meinung nach zuerst fallen, damit man von Liebe nicht mehr nur träumen muss – das Patriarchat oder der Kapitalismus?Nina Kummer: Das ist alles nicht zu trennen.Johann Bonitz: Das ist ja eins, eigentlich.Lotta Kummer: Das ist alles miteinander verwachsen.Die Band Blond hat sich 2011 in Chemnitz gegründet und besteht aus Nina (Gesang, Gitarre) und Lotta Kummer (Gesang, Schlagzeug) sowie Johann Bonitz (Gesang, Bass, Synthesizer). 2020 veröffentlichen sie ihr Debütalbum Martini Sprite, 2023 das zweite mit dem Titel Perle. Ihr neuestes Album Ich träum doch nur von Liebe erscheint am 23. Mai. Im November sind Blond auf Deutschlandtour