Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hat den Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) zum Innenminister gemacht: René Wilke ist bekannt für seine Migrationspolitik – und hat ein ambivalentes Verhältnis zum Koalitionspartner BSW


Brandenburgs neuer Landesinnenminister René Wilke ist parteilos. Bis 2024 war der Mitglied der Linken

Foto: MIK


Er hatte schon alles vorbereitet, obwohl die Wahl in Frankfurt (Oder) erst 2026 anstand: Die Unterstützung von CDU und SPD hatte René Wilke für seine erneute Kandidatur als Oberbürgermeister sicher. Grüne und Linke hätten sich dem wohl angeschlossen, um einen AfD-Sieg zu verhindern. Doch jetzt muss die 60.000-Einwohner-Stadt an der Grenze zu Polen schon im September einen neuen Oberbürgermeister wählen. Denn Wilke arbeitet plötzlich 120 Kilometer weiter westlich: In Potsdam ist er zu Brandenburgs neuem Innenminister ernannt worden.

Das war ein Coup von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Dessen ohnehin fragiler Regierung mit dem BSW war nach fünf Monaten die Landesinnenministerin abhanden gekommen: Katrin Lange (SPD) hatte sich verg

nehin fragiler Regierung mit dem BSW war nach fünf Monaten die Landesinnenministerin abhanden gekommen: Katrin Lange (SPD) hatte sich vergeblich gegen die Hochstufung der AfD zur „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ durch den Chef des Landesverfassungsschutzes gewehrt – sie ist überzeugt, die AfD müsse man politisch stellen. Woidkes Nominierung von Wilke war ein Befreiungsschlag, denn der genießt über Frankfurt (Oder) hinaus Anerkennung als parteiloser Pragmatiker. Wie er es mit dem Verfassungsschutz und dessen Rolle in Bezug auf die AfD halten wird, ist noch unklar – Wilke will sich erst einarbeiten. Das sieht ihm ähnlich. Der 40-Jährige verfügt über die angenehme Eigenschaft, nach jeder noch so allgemeinen Frage innezuhalten und zu überlegen, bevor er antwortet. Das mag auch daran liegen, dass er vor seiner Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation eine zum Mediator in Konfliktmanagement absolviert hat. In Frankfurt (Oder), wo Wilke 1984 geboren wurde, studierte er einige Semester Kultur-, Politikwissenschaften und Psychologie an der Europauniversität Viadrina, leistete Zivildienst in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und trat mit 16 in die PDS ein. Zwischen 2014 und 2018 saß er für die Linksfraktion als direkt gewählter Abgeordneter seiner Heimatstadt im Landtag.Wilkes Familie zog von Frankfurt (Oder) nach Moskau – und zurückDa lagen die Kindheitsjahre in Moskau weit hinter ihm. 1990 war die Familie in die Heimatstadt seiner Mutter gezogen. Sie arbeitete in der Poststelle der deutschen Botschaft, der Vater – zuvor Chemiker beim größten Mikroelektronikhersteller der DDR – für das Russland-Geschäft einer Westfirma. Fünf Jahre später kehrten sie nach Frankfurt (Oder) zurück.Die „Widersprüche zwischen arm und reich, Leid und Unbeschwertheit, Elend und Überfluss“ sind ihm aus der damaligen Zeit in Russland in Erinnerung geblieben. Wilkes Haltung zum Krieg in der Ukraine ist klar – er trat 2024 aus der Linken aus, unter anderem weil ihm deren Solidarität mit dem angegriffenen Land nicht weit genug ging.Jetzt ist er Teil einer Regierung mit dem BSW, für dessen Beteiligung eine Friedensformel im Koalitionsvertrag oberste Bedingung war. Der BSW-Fraktionschef im Landtag, Niels-Olaf Lüders, nannte Wilke „eine gute Wahl“. Einer der Gründe, die Lüders aufführt: „Er hat auch den Umgang mit Sahra Wagenknecht in der Linken kritisiert.“ Tatsächlich war er einer, der als Mitstreiter vorstellbar schien, als Wagenknecht das BSW gründete.Was René Wilke über den Besuch einer Lesung Sahra Wagenknechts sagteDoch Wilke erzählte über den Besuch einer Lesung Wagenknechts in Frankfurt (Oder) im Sommer 2024 in einem Interview: „Es ist für mich schwer zu ertragen, wie sie anderen politischen Akteuren den guten Willen abspricht und sie abwertet, sich lustig macht über Äußeres, Gewicht oder fehlende Bildungsabschlüsse. Die Art, wie sie über die ,dümmste Regierung aller Zeiten‘ spricht − das empfinde ich als nicht anständig. So bekommt man zwar die Lacher im Raum, aber es bedient die niederen Instinkte der Menschen. Sie sagt, sie mache das, weil man nur so AfD- und Protestwähler abholen könne. Aber indem sie sich diesem Ton anschließt, ist sie nur Teil dieser Bewegung. Das politische Klima verroht so immer weiter. Und diese Saat können viele ernten.“ Er habe mit dem BSW zugleich „an vielen Stellen Schnittmengen, zum Beispiel in der Wirtschafts-, Migrations- oder Sozialpolitik“.Auf diese Schnittstellen in der Migrationspolitik spielte der Potsdam BSW-Fraktzionschef Lüders an: René Wilke rede „um die Probleme, die sich aus einer unkontrollierten Migration ergeben, nicht herum“, nehme vielmehr Menschen und Kommunen ernst und befürworte stärkere Grenzkontrollen. Das stimmt, auch wenn Wilke 2020 die Aufhebung von Grenzkontrollen feierte: Auf der Oderbrücke fiel der Oberbürgermeister seinem polnischen Amtskollegen aus Frankfurts Schwesterstadt Slubice in die Arme und zeigte sich wegen dieses mutmaßlichen Verstoßes gegen die Corona-Abstandsregeln hernach selbst an.Einer märkischen Grenzpolizei erteilte er bei seinem ersten Auftritt im Landtag eine Absage – die Polizei sei ohnehin schon überlastet. Zudem werde er weitere Investitionen in das erst im März zusammen mit dem Bund eröffnete Rückführungszentrum für „Dublin-Fälle“ in Eisenhüttenstadt vorerst stoppen – derzeit seien ja nur 80 von 150 Plätzen belegt.2018 ließ Oberbürgermeister Wilke sieben migrantische Männer ausweisenWilkes Ruf als Mann für Law, Order und Integration rührt von 2018 her, als jeder Geflüchtete in Frankfurt (Oder) dezentral in einer Wohnung untergebracht war – wegen schneller Organisation der Stadt, aber auch deren Wohnungsleerstand infolge von Deindustrialisierung und Abwanderung. Zugleich aber terrorisierte eine Gruppe junger syrischer, pakistanischer und palästinensischer Männer die Stadt, bis hin zum brutalen Angriff mit Messern und Eisenstangen auf die Gäste einer 90er-Party in einem Club. Wilke fand einen verwaltungsrechtlichen Weg, sieben der Männer auszuweisen. Viele Bürger dankten ihm. Der Jubel, den die damalige Linken-Bundesspitze um Katja Kipping nach seiner Wahl zum OB angestimmt hatte, verstummte hingegen. Bei seinem Austritt hat Wilke dem Tagesspiegel erklärt, was ihn von der Partei nun trennt: „Bei Geflüchteten gibt es aus Sicht der Linken quasi nur Menschen, die aus größter Not kommen und Hilfe brauchen. Und wenn etwas schiefläuft, dann liegt es an der Mehrheitsgesellschaft, die sie nicht gut genug aufgenommen hat.“ Und „in der Sozialpolitik heißt es: Alle Menschen, die Sozialleistungen erhalten, sind bedürftig und können nichts dafür. Dass es Menschen gibt, die durchaus einen stärkeren Beitrag leisten könnten, wird oft negiert.“Als Landwirte und Handwerker in Frankfurt (Oder) gegen die Ampel-Regierung protestiertenWie stark die Proteste von Landwirten, Handwerker, Logistikunternehmern und anderen Klein-Selbstständigen 2023/2024 in Frankfurt (Oder) waren, ließ sich auf der Bundesstraße von dort nach Berlin besehen: auf jedem der knapp 90 Kilometer Traktoren und Transporter. Wilke schrieb mit Kollegen aus der Region einen Brief an die Ampel-Regierung in der Hauptstadt. Die möge die Protestierenden bitte nicht in die rechte Ecke stellen und ihre Klagen über CO₂-Bepreisung, Bürokratie, Bürgergeldhöhe und Arbeitskräftemangel ernst nehmen.Auf mehr als 35 Prozent kam die AfD bei der Bundestagswahl in Frankfurt (Oder) und Umgebung. „Sie gibt den Leuten das Gefühl: ,Du bist gut, wie du bist, und wir sorgen dafür, dass du nicht mehr so sehr belästigt wirst‘“, sagte Wilke dem Freitag im März. Das wolle er sich nicht zu eigen machen, aber wer den Bürgern als Politiker etwas abverlange, sollte schon selbst durch Tatkraft glänzen.Der BSW-Abweichler Sven Hornauf und René Wilke kennen sichAuch das BSW schnitt in der Region zuletzt überdurchschnittlich ab. Sven Hornauf, der Hauptgrund für den fragilen Zustand der Regierung in Potsdam, führt das auch auf seine Prinzipientreue zurück: Am BSW-Landtagsabgeordneten aus Frankfurt (Oder) hängt eine der nur zwei Stimmen Mehrheit der Koalition. Verweigert hat er sie schon mehrfach, etwa als es um einen Geschäftsordnungs-Trick ging, um die AfD vom Parlamentarischen Kontrollgremium für den Verfassungsschutz fernzuhalten.Hornaufs Anwaltskanzlei liegt von Frankfurts frisch saniertem Rathaus nur wenige Gehminuten entfernt. Er und Wilke kennen sich, ebenso wie die kommunalen Realitäten fernab der Bundes-Brandmauer: Sie und der Inhaber des Landtags-Direktmandats, Wilko Möller von der AfD, trafen sich regelmäßig zur Dreier-Runde, um Frankfurts Interessen für die Landesebene abzustimmen.



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Von Veritatis

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