Neonazis haben erneut das linke Hausprojekt „Zelle79“ in Cottbus attackiert. Sie versuchten, die Tür aufzubrechen und warfen Fackeln. Wie geht es den Bewohner*innen jetzt? Über eine Stadt und einen FC Energie Cottbus, die sich wegducken


Schwarz vermummte Neonazis zünden Böller und Leuchtfackeln vor dem linken Hausprojekt „Zelle79“ in Cottbus

Foto: Zelle 79


Am 23. Mai zündeten fünf schwarz vermummte Neonazis vor dem alternativen Hausprojekt „Zelle79“ in Cottbus Böller und Leuchtfackeln. Sie skandierten „Adolf Hitler Hooligans“ und versuchten, die Haustür aufzubrechen. Einige Leuchtfackeln landeten im Hinterhof, ein Brand konnte von den Bewohner*innen gelöscht werden. Verletzt wurde niemand.

Erst kurz zuvor hatte der Freitag eine Reportage veröffentlicht über frühere Anschläge auf das Hausprojekt, die Stimmung in der Stadt und die massive Zunahme von rechter Gewalt in Südbrandenburg. Bei der Bewohnerin Fabi Buchholz haben wir nachgefragt, wie es den Betroffenen nach dem jüngsten Angriff geht, was sie zum Hintergrund der Täter*innen wissen und was es zum Schutz a

ve Zunahme von rechter Gewalt in Südbrandenburg. Bei der Bewohnerin Fabi Buchholz haben wir nachgefragt, wie es den Betroffenen nach dem jüngsten Angriff geht, was sie zum Hintergrund der Täter*innen wissen und was es zum Schutz alternativer Projekte jetzt braucht.der Freitag: Frau Buchholz, Ihr Hausprojekt wurde erneut von Neonazis angegriffen. Wie geht es den Bewohner*innen?Fabi Buchholz: Es ist eine merkwürdige Stimmung zwischen Alltag und Ausnahmezustand. Was heißt das?Der Alltag fühlt sich unwirklich und surreal an. Wir sind teilweise wieder in der Uni und auf der Arbeit, wer freimachen kann, kümmert sich um Anfragen und Soligrüße, zwischendurch räumen wir kurz die Küche auf. Man spürt Erschöpfung. Wir sprechen ansonsten miteinander und mit Freund:innen von außen, machen, was uns guttut: Im Garten sitzen und die Sonne genießen, zum Sport gehen, ein Buch lesen. Wir achten auf Pausen, und dass wir nicht mehr machen, als wir verkraften können.Zum Abend des Angriffs: Was können Sie zu den Täter*innen sagen?Die fünf Angreifer waren vermummt und hatten schwarze beziehungsweise dunkle Kleidung an, durch den Rauch konnten wir nicht mehr erkennen. Sie riefen „Wir sind die Gang – Adolf Hitler Hooligans! Kommt raus, ihr Fotzen, kommt raus!“ Durch die Parole steht für uns fest, dass es ein rechtsextremistischer Angriff war. Wir vermuten: aus der Hooligans-Szene des hiesigen Fußballvereins Energie Cottbus.Sie riefen ‚Wir sind die Gang – Adolf Hitler Hooligans! Kommt raus, ihr Fotzen, kommt raus!Haben Sie eine Vermutung, warum es gerade an diesem Wochenende zu dem neuerlichen Angriff kam?Da können wir nur spekulieren. Zum einen kam kurz vor dem erneuten Angriff der größere Artikel im Freitag heraus. Zum anderen wurden wir auf den Tag genau vor zehn Jahren angegriffen. Damals wurde ein Sofa, welches vor dem Haus stand, in Brand gesetzt. Ob es einen Zusammenhang gibt, können wir nicht abschließend beantworten.Die „Zelle79“ wurde bereits mehrfach angegriffen. Unterscheidet sich der jüngste Anschlag von früheren?Dieser erneute Angriff unterscheidet sich definitiv. Er ist deutlich massiver und koordinierter abgelaufen als alle anderen davor. Die Täter haben versucht, mit einem schweren Geländer die Tür zu durchbrechen und konnten durch die Würfe mit den Bengalfackeln auf unser Haus ein kleines Feuer im Hinterhof auslösen.Placeholder image-1Also eine geplante Aktion?Dies war kein Angriff aus Langeweile oder aufgrund von Spontanität. Dies war eine gezielte und geplante Attacke auf einen bekannten linken Freiraum in der Stadt und auf uns als Bewohner:innen. Die gezündete Pyrotechnik, der Rauch und die gerufenen Parolen haben den Angriff auf ein anderes, durchaus martialisches Level gehoben.Dies war eine gezielte und geplante Attacke auf einen bekannten linken Freiraum in der StadtWie bewerten Sie das bisherige Vorgehen der Polizei?Das Vorgehen der Polizei ist schwer zu bewerten, weil man nicht weiß, was die Behörde und deren Mitarbeiter:innen im Hintergrund machen. Aber es gibt schon ein paar Sachen, die etwas unprofessionell wirkten. Was zum Beispiel?Beispielsweise hat die Kriminaltechnik von der Polizei am Tatabend gesagt, dass wir das Geländer, welches als Rammbock genutzt wurde, irgendwo an die Seite räumen können. Wir haben es dann bei uns auf den Hof geräumt und fast zwei Tage später kam die Polizei nochmal und hat dann DNA-Abdrücke genommen. Insgesamt haben wir das Gefühl, dass mehr Spuren gesichert werden, wenn wir stärker an die Öffentlichkeit treten. Die Polizei konnte darüber hinaus bisher keine Tatverdächtigen ermitteln. Weder im jetzigen Fall noch bei den Angriffen zuvor.Erst kurz zuvor wurde das Netzwerk „Sichere Orte“ für Südbrandenburg gegründet, um sich im Falle von Angriffen gegenseitig zu unterstützen. Wie gut hat das bisher funktioniert?Das Netzwerk hat bisher schon sehr gut funktioniert. Wir haben es ja auch mit gegründet, weil uns schon seit langem aufgefallen ist, wie sehr sich die Bedrohungslage in Südbrandenburg zugespitzt hat. Wir haben uns zusammengeschlossen, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen und das hat auf Anhieb geklappt. Plötzlich nehmen selbst der Oberbürgermeister und das brandenburgische Landesinnenministerium Notiz, äußern sich öffentlich und wollen sich damit beschäftigen.Also ein Schritt in die richtige Richtung?Es ist bezeichnend, dass alle anderen Vorfälle zuvor anscheinend niemanden wachgerüttelt haben und es erst einen versuchten Brandanschlag auf Menschenleben braucht, um in der breiten Öffentlichkeit und Politik wahrgenommen zu werden. Rechtsextremismus und mittlerweile auch professionalisierte Neonazi-Strukturen sind seit Jahrzehnten Bestandteil von Cottbus und dem Landkreis. Sie sind nicht plötzlich aufgetaucht. Die Initiative zu gründen, war daher ein extrem guter Schritt nach vorne. Jetzt ergibt sich vielleicht die Möglichkeit, das Schweigen über die rechte Gewalt zu brechen.Der Bürgermeister hat angekündigt, gemeinsam mit den Hausbewohner*innen und Behörden nach Lösungen suchen zu wollen. Wie kann das gelingen?Erstmal ist es natürlich positiv zu bewerten, dass von vielen Seiten versucht wird, in den Dialog zu gehen. Die Frage nach dem Ziel und dem Erreichen dieser Gespräche ist daher natürlich sehr spannend. Wir sind prinzipiell aber sehr skeptisch, weil Rechtsextremismus und Neonaziaktivitäten in der Stadt ja kein neues Problem darstellen. Schön wäre es, wenn hier tatsächlich einmal die Wurzeln angepackt werden würden. Die Erfahrung in Cottbus ist leider immer wieder eine andere.Wir sind prinzipiell sehr skeptisch, weil Rechtsextremismus und Neonaziaktivitäten in der Stadt ja kein neues Problem darstellen Worin zeigt sich das?Beispielweise wird ganz aktuell versucht, im Bereich der Jugendsozialarbeit Gelder zu sparen. Ein anderes, brandenburgweites Problem ist, dass die Beratungsstelle Opferperspektive gerade um ihre Finanzierung bangen muss und akut gefährdet ist. Das sind schon eher schlechte Vorzeichen, egal ob auf kommunaler oder Landesebene. Die offizielle Argumentation ist zudem noch oft, dass die Angegriffenen und diejenigen, die dieses Problem öffentlich thematisieren, „Nestbeschmutzer“ und Schuld am schlechten Image der Stadt sind.Wann würden die Gespräche etwas bringen?Für uns würden die Gespräche etwas bringen, wenn entscheidende Akteur:innen in der Stadt endlich wahrnehmen und einsehen würden, dass wir in Cottbus und im Landkreis ein extrem großes Problem mit Neonazis haben. Und damit verbunden, langfristige Strategien entwickeln, diesen Sumpf endlich trocken zu legen.Was müssten diese Strategien berücksichtigen?Wir haben beispielsweise ein Justizproblem bei der Verfolgung und Verurteilung von Neonazis – teilweise nach schwersten Gewalttaten. Wenn es keine Konsequenzen von Seiten des Staates zu spüren gibt, spornt das Täter:innen natürlich erst recht an. Auch der FC Energie Cottbus muss seiner Verantwortung gerecht werden. Der Verein duckt sich seit Jahrzehnten weg, beschwichtigt und redet dieses Problem klein. Die rechtsextremen Dynamiken und Akteur*innen, die die Fanszene prägen, müssten ihm dabei bekannt sein.Sie fühlen sich von der Stadt insgesamt nicht unterstützt?Es bleibt bei wirklich vielen der Eindruck von leeren und nicht mal warmen Worten. Das nutzt den Betroffenen gar nichts. Die Stadt und die Landesregierung müssen endlich zeigen, dass sie das Problem ernsthaft angehen wollen.





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Von Veritatis

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