Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Der Journalist Boris Kálnoky ist Leiter der „School of Media“ am Mathias Corvinus Collegium in Budapest, benannt nach Mathias Corvinus, langjähriger König von Ungarn im späten fünfzehnten Jahrhundert. Das Kollegium gilt als regierungsnah, weshalb man nicht erwarten darf, dass Kálnoky seine journalistischen Sporen bei der Süddeutschen Zeitung oder bei der taz erworben hat; er schrieb unter anderem für die WELT, für die Schweizer Weltwoche sowie für österreichische Zeitungen, und auch bei Tichys Einblick findet man seine Beiträge.
Wie es scheint, hat er in all der Zeit als aktiver Journalist und als Leiter einer Medienschule die Realität, insbesondere die politische Realität, nicht aus den Augen verloren. Seit einigen Tagen ist auf der Plattform X eine Bemerkung Kálnokys über die 2026 anstehenden ungarischen Wahlen zu lesen, die jeder im Original nachlesen kann, die ich aber auch hier zeigen möchte:
Für den Fall, dass unsere frühere Außenministerin sich hierher verirrt, folgt die deutsche Übersetzung.
„Was Ungarn bei den Wahlen 2026 NICHT tun wird:
- Die Wahlen nach ihrer Durchführung annullieren (Rumänien)
- Den führenden Oppositionskandidaten von der Wahl ausschließen (Frankreich, Türkei, Rumänien)
- Die Verfassung mit dem alten Parlament ändern, bevor das neue Parlament vereidigt wird (Deutschland)
- Ein Verbot der führenden Oppositionspartei in Betracht ziehen (Deutschland)
- Menschen dafür bestrafen, dass sie online böse Dinge über die Regierung sagen (Großbritannien, Deutschland).“
In kurzen Worten hat er die aktuelle undemokratische Politik in Europa und, da kennt man es allerdings seit Jahren nicht anders, in der Türkei bloßgestellt. Die stets die Demokratie – genauer gesagt: „unsere Demokratie“ – im Munde führen, zeigen auf verschiedene Arten ihre Verachtung der Demokratie und der Wähler, und es braucht nur wenige Zeilen, um das klar zu formulieren, sodass es jeder außer Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verstehen kann.
Wechseln wir den Schauplatz. Der strahlenden Verkörperung des europäisch-bürokratischen Molochs namens „Europäische Union“, Ursula von der Leyen, wurde der „Internationale Karlspreis zu Aachen“ verliehen, dotiert mit einer Million Euro. Es lohnt, einen Blick auf die Begründung zu werfen.
„Die Europäische Union steht vor historischen Herausforderungen: geopolitische Bedrohungen, wirtschaftlicher Wandel, Klimaschutz und digitale Transformation. Ursula von der Leyen hat als Präsidentin der Europäischen Kommission maßgeblich dazu beigetragen, Europa geeint, widerstandsfähig und handlungsfähig zu halten.
Ob in der Pandemie, im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg oder bei der Stärkung der europäischen Wirtschaft – mit Entschlossenheit und strategischem Weitblick hat sie Europas Interessen vertreten und entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt.
Für ihr herausragendes Engagement für Einheit, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Europas wird Ursula von der Leyen mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen 2025 ausgezeichnet.“
Muss ich diesen hochtrabenden Unsinn kommentieren? Wofür auch immer sich von der Leyen engagiert haben mag, „Einheit, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Europas“ dürften schwerlich unter ihren Hauptinteressen zu finden sein, sofern man diese Begriffe ernst nimmt und sie nicht als europaweite Gängelung, Kriegsfreude und wirtschaftlichen Niedergang durch angeblichen Klimaschutz interpretiert.
Zwei Deutungen der Zustände in Europa. Eine ist klar und wahr, die andere hochtrabend und heuchlerisch.
Welche Deutung die politische Klasse bevorzugt, liegt auf der Hand.
Die Bürger sollten es anders sehen.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com
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