Zwischen Ang Lees Berlinale-Preisträger von 1993 und Andrew Ahns aktuellem Remake der Komödie „The Wedding Banquet“ zeigt sich, wie sich queere Repräsentation in den letzten drei Jahrzehnten verändert hat


May (Joan Chen) feiert sich auf der Bühne als „Ally“, was ihrer queeren Tochter unangenehm ist

Foto: Shivhans Pictures/Bleecker Street


Es ist Mays (Joan Chen) großer Auftritt. Auf der jährlichen Equality Gala wird sie als „Ally“ („Verbündete“) ausgezeichnet, weil sie sich öffentlichkeitswirksam für queere Rechte einsetzt. Darauf ist sie sichtlich stolz. Ihrer erwachsene Tochter Angela (Kelly Marie Tran), die mit Partnerin Lee (Lily Gladstone) der Preisverleihung beiwohnt, ist der ganze Rummel eher unangenehm. Sie kann sich nur zu gut daran erinnern, wie wenig unterstützend die Mutter vor Jahren auf ihr Coming-out reagiert hat. In Mays Aktivismus sieht sie vor allem eine Überkompensation. Warum nur muss sie ungefragt jedes Detail aus dem Leben ihrer Tochter hinausposaunen? Vor allem ihre Versuche, mithilfe künstlicher Befruchtung ein Kind zu bekommen, von dene

enen May als „zukünftige Großmutter“ stolz erzählt, ohne wahrzunehmen, wie übergriffig sie ist. Queere Kids und ihre toxischen Eltern, nur dass Letztere diesmal nicht verteufeln, sondern sich unangemessen aneignen. Zu viel Akzeptanz statt zu wenig.Die Szene in Andrew Ahns The Wedding Banquet dreht ein zentrales Motiv zahlreicher Coming-out-Filme auf den Kopf und reflektiert damit nebenbei, wie sehr sich die Zeiten geändert haben, seit 1993 Ang Lee mit der Scheinehekomödie Das Hochzeitsbankett für Furore sorgte. Im Original verheimlicht ein in New York lebender Immigrant seinen erzkonservativen Eltern in Taiwan, dass er schon lange mit seinem amerikanischen Freund glücklich zusammenlebt. Um sie zu besänftigen, entschließt er sich zu einer Scheinehe mit einer mittellosen Malerin. Wie sich alle zusammenraufen, war damals der Zeit weit voraus. Seitdem hat sich viel getan, gesellschaftlich und auch in der Repräsentation queerer Figuren in Filmen und Serien.Ang Lees Film, bei der Berlinale 1993 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, kam zwei Jahre vor Rob Epsteins und Jeffrey Friedmans Dokumentarfilm The Celluloid Closet ins Kino, einer Bestandsaufnahme von queeren Figuren der Filmgeschichte. Die Doku zeigte, wie ihre Geschichten im klassischen Hollywoodkino versteckt oder nur angedeutet wurden, in ihrer Doppeldeutigkeit nur von jenem Teil des Publikums zu verstehen, das die Codes und Metaphern zu lesen verstand. Das Hochzeitsbankett war da bereits offener und direkter, wenn auch bei Weitem nicht der erste US-Spielfilm mit queeren Protagonisten. Mit Filmen wie Todd Haynes’ Poison und Gregg Arakis The Living End hatte das New Queer Cinema radikalere Auftritte, doch Lees Film sprach als eines der ersten Mainstreamwerke mit einem schwulen Protagonisten ein breites Publikum an. Bis dahin waren Schwule meist auf die Nebenrolle als bester Freund oder schriller Sidekick reduziert; Transfiguren wurden als Kuriosum oder Psychopathen eingesetzt, ob in Das Schweigen der Lämmer 1991 oder The Crying Game 1992.Sitcoms wie „Will & Grace“ waren MeilensteineSeitdem konnten sich queere Figuren mehr und mehr als Protagonisten ihrer eigenen, spezifischen Geschichten etablieren. Das Fernsehen war dabei lange progressiver, Sitcoms wie Will & Grace, Queer as Folk und The L Word trugen in den 1990er und 2000er Jahren erheblich dazu bei, dass queere Lebenswelten nuancierter dargestellt und die Figuren nicht nur auf ihre Sexualität reduziert wurden. Offen queere Autorenteams und Darsteller brachten ihre eigenen Erfahrungen ein und sorgten nach und nach für authentischere Repräsentationen. Und die Figuren wurden vielfältiger, im Zentrum standen nicht mehr nur Schwule und Lesben aus der weißen Mittelschicht, sondern das ganze LQBTI*-Spektrum und People of Colour. Vor allem die Kabelsender und später die Streamingdienste wagten sich an zunehmend komplexere, widersprüchlichere Geschichten.Im Kino war es wieder ausgerechnet der heterosexuelle Ang Lee, der 2005 mit dem Western Brokeback Mountain über die Liebe zweier Cowboys ein kulturelles Phänomen weit jenseits der Nische schuf und sogar als Favorit ins Oscarrennen ging, am Ende aber gegen L.A. Crash verlor.Film- und Serienhandlungen spiegeln den gesellschaftlichen Wandel und gestalten ihn durch das Sichtbarmachen zugleich mit. In den Zehnerjahren wurden die Geschichten intersektionaler, verbanden queere Themen mit ethnischer und sozialer Diskriminierung wie in der Serie Pose oder dem Oscargewinner 2016, Moonlight. Coming-out-Geschichten müssen nicht mehr traumatisch sein und zum großen Bruch führen, sondern dürfen auch romantisch und unaufgeregt erzählt werden wie in Call Me By Your Name.Prominente Besetzung mit Bowen Yang und Lily GladstoneHeute geht es weniger um Sichtbarkeit an sich als um die Frage, wie queere Identitäten erzählt werden – und von wem. Dem offen schwulen Andrew Ahn war bei The Wedding Banquet wichtig, dass die asiatisch-amerikanische Queer-Community möglichst authentisch dargestellt wird. Der queere Comedian Bowen Yang sorgt mit absurd-komischen Auftritten bei der Sketchshow Saturday Night Live für Camp-Humor und spielt hier erstaunlich zurückgenommen und sehr berührend einen schwulen Mann mit Bindungsängsten. Die oscar-nominierte Lily Gladstone ist nonbinär mit indigenen Wurzeln und Kelly Marie Tran outete sich nach den Dreharbeiten als queer, nachdem sie zuvor für ihre Rolle in Star Wars noch von toxischen Fans mit rassistischen und sexistischen Hasskommentaren angegriffen worden war.In The Wedding Banquet bringt die gesellschaftliche Akzeptanz der Gegenwart ganz neue Komplikationen mit sich, und Ahn weiß sie klug zu nutzen. Sein zeitgemäßes Update überzeugt als ein warmherziges Porträt einer Wahlfamilie, das nicht utopisch, sondern gelebte Realität ist. So selbstverständlich, gelassen und widerständig Ahns Film im Jahr 2025 endet, ist aber der politische Rollback in den USA, Europa und anderswo nicht zu übersehen. Queere Rechte und hart erkämpfte Errungenschaften werden Schritt für Schritt wieder einkassiert, homo- und transphobe Gewalt nimmt drastisch zu. Wie würde ein erneutes Update des Hochzeitsbanketts in einigen Jahren wohl aussehen?The Wedding Banquet Andrew Ahn USA 2025, 103 Minuten



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Von Veritatis

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