Während Feministinnen die Bedeutung von Frauenforschung erstritten haben, bleiben Männerforscher ein Randphänomen. Zeit, das zu ändern


Die Zahl von Männerforschern in relevanten Positionen an deutschen Hochschulen lässt sich an einer Hand abzählen

Illustration: Johanna Goldmann für der Freitag; Material: iStock Photo


Bücher über Männer und männliche Emanzipation sind im Vergleich zur umfangreicheren feministischen Literatur nach wie vor eine subkulturelle Angelegenheit. In Buchhandlungen oder Bibliotheken werden sie nur am Rande präsentiert, wenn überhaupt. Und auch der akademische Umgang mit dem Geschlechterthema ist von einem merkwürdigen Widerspruch geprägt. Frauen betreiben ganz selbstverständlich Männerforschung; Männer aber, so das ungeschriebene Gesetz, sollten sich auf keinen Fall einmischen in die Frauenforschung.

Letztere ist, mit dem Rückenwind der feministischen Bewegung seit den 1970er Jahren, durch eine größere Breite und institutionelle Professionalisierung geprägt. An den deutschen Hochschulen gibt es inzwischen &

zwischen über Hundert Professorinnen, die sich in vielfältiger Weise mit Geschlechterfragen beschäftigen. Entgegen der Behauptungen von AfD-Politikern und sonstiger Gegner der Gender Studies sitzen die wenigsten dieser Wissenschaftlerinnen abgesichert auf einem eigenen Lehrstuhl. In ihrer alltäglichen Arbeit spielen Geschlechterthemen oft nur eine Nebenrolle, sie sind eher Kür als Pflicht, schmückendes, aber für Interessierte durchaus attraktives Beiwerk an einer anderen Fakultät.Männliche Forscher, die sich mit Männlichkeiten beschäftigen, sind noch randständiger. Ihre Zahl in relevanten Positionen an Universitäten lässt sich an einer Hand abzählen. Mit einem Gender-Schwerpunkt kommen sie im Wissenschaftskarussell meist gar nicht erst zum Zuge. Im günstigsten Fall müssen sie, wie der in diesem Feld früh renommierte, spät an die TU Dortmund berufene Soziologe Michael Meuser viele Jahre auf eine Professur warten. Oder sie unterrichten, genauso wie die Mehrheit ihrer weiblichen Kolleginnen, in Fachrichtungen wie Psychologie, Organisationsentwicklung, Soziale Arbeit, Milieutheorie oder Literatur.Die Geschichte der MännlichkeitsforschungDabei sind Seminare und Vorlesungen zu Themen wie Rollenstereotype oder sexuelle Orientierung an den Hochschulen sehr beliebt – und häufig überfüllt. Diese Erfahrung hat auch Sylka Scholz gemacht. Die Soziologin an der Universität Jena, die wie andere Dozentinnen oft nur „nebenbei“ Veranstaltungen zu Gender-Themen anbieten kann, hat ein materialreiches Grundlagenwerk vorgelegt: Männlichkeitsforschungrichtet sich, als Lehrbuch konzipiert, vorrangig an Studierende, liefert aber anregende Details zur Geschichte eines bisher weitgehend unterbelichteten Fachgebiets. Scholz benennt und analysiert Schlüsselbegriffe wie hegemoniale Männlichkeit, männlicher Habitus und männliche Sozialisation. Sie liefert einen Überblick über die wichtigsten Bereiche der Konstruktion von Männlichkeiten wie Erwerbsarbeit, Vaterschaft, Paarbeziehung, Migration und Rechtspopulismus; auch neuere alternative Ansätze wie Queer- und Transtheorien hat sie eingearbeitet.Im historischen Rückblick erinnert die Wissenschaftlerin etwa an die Autorengruppe „BauSteineMänner“, ein sechsköpfiges Team bestehend aus Stefan Beier, Norbert Fröhler, Marcus Kahmann, Christian Rüter, Jürgen Süßenbach und Willi Walter. Ihr gemeinsames Buch gab der Berliner Arbeitskreis „Kritische Männerforschung“ heraus. Ein zentrales Verdienst des Sammelbandes war, wichtige Aufsätze von schon länger etablierten anglo-amerikanischen Autoren in Deutschland leichter zugänglich zu machen. Vertreten waren Joseph Pleck, Tim Carrigan, Robert Connell, Victor Seidler und Michael Kaufman, ergänzt wurden die übersetzten Texte durch eigene Beiträge aus dem „BauSteine“-Kreis.Über zwei Jahrzehnte nach Erscheinen dieses Buches hat sich an der marginalisierten Stellung der „Kritischen Männerforschung“ wenig geändert. Weibliche Wissenschaftlerinnen versuchen angesichts der Angriffe von rechts gegen ihr Fach sehr verständlich, die mühsam erkämpften Positionen in den Gender Studies zu verteidigen. Männer und Männlichkeiten bleiben angesichts prekärer Beschäftigungsverhältnisse oder gleich völlig ausbleibender Finanzierung ein kaum entwickeltes Themenfeld mit gravierenden Forschungslücken.Raewyn Connells Forschung war wegweisendInternational wegweisend war vor allem der australische Männerforscher Robert Connell, der inzwischen seit vielen Jahren als Frau lebt. Mit ihrer Transition passt Raewyn, wie sich die renommierte Wissenschaftlerin seither nennt, perfekt in die dekonstruktive Gender-Debatte. Sie löste damit aber auch eine Welle polemischer Reaktionen durch antifeministische Blogger aus. Diese stellten infrage, ob eine trans* Person überhaupt qualifiziert über Männlichkeit schreiben könne. Die Antwort ist eindeutig: Ja, sie kann. Connell hat den viel zitierten Begriff der „patriarchalen Dividende“ geprägt. Danach profitieren alle Männer, auch die weniger erfolgreichen, von der ihnen zugeschriebenen Rolle, auf ihren Vorteilen qua Geschlecht – ohne sich dessen stets bewusst zu sein: Den „Kontrast zwischen kollektiver Privilegiertheit und persönlicher Unsicherheit“ analysiert die inzwischen emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Sydney als „Schlüsselsituation der gegenwärtigen Männlichkeitspolitik“.Raewyn Connell war 1999 für ein Jahr an der Ruhr-Universität Bochum tätig. Eingeladen hatte Ilse Lenz, dort Lehrstuhlinhaberin für Soziologie, profunde Kennerin der Geschichte der Frauenbewegung und eine der Pionierinnen der Gender Studies in Deutschland. Connell übernahm die an eine österreichische Sozialforscherin erinnernde Marie-Jahoda-Professur. Der prominente Gast wurde als Vortragsrednerin in Seminaren, Vortragsveranstaltungen und akademischen Zirkeln herumgereicht. Im Kontrast zur Adorno-Schülerin und postfeministischen Ikone Judith Butler schrieb Raewyn Connell stets klar und verständlich. Sie illustrierte ihr grundlegendes Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ immer wieder mit Fallbeispielen und stellte politische Bezüge her. Das war ein Grund für den Erfolg ihres wichtigsten Buches, das unter dem Titel Der gemachte Mann Ende der 1990er Jahre auf Deutsch erschien.Zur umfangreichen Rezeption Connells über Fachkreise hinaus trug das im Untertitel enthaltene Wort „Krise“ bei. Dass Männer am Ende ein Auslaufmodell oder gar das „betrogene Geschlecht“ seien, war um die Jahrtausendwende ein häufig verwendetes Label in wissenschaftlichen Texten wie auch in populären Sachbüchern. Der mutige, manche irritierende Wechsel von Robert zu Raewyn war für Connell eine persönliche wie berufliche Herausforderung. An der eigenen Hochschule in Sydney wurde sie gemobbt, weltweit versuchten Antifeministen und politische Gegner, ihre wissenschaftliche Kompetenz im Bereich der Männlichkeitsforschung anzukratzen. Weitere öffentliche Auftritte in Europa machten aber deutlich, wie unberechtigt und von transfeindlichen Ressentiments überlagert solche Vorwürfe waren.Moderner Wandel oder Krise der MännlichkeitDer vor allem im Feuilleton inflationär verwendeten Diagnose „Männer in der Krise“ steht Sylka Scholz skeptisch gegenüber. Die „dramatisierende Verwendung“ des Begriffs erfolge in den öffentlichen Diskursen „meist unreflektiert“, kritisiert die Soziologin. Er beziehe sich „auf individuelle Männer, jedoch geschieht dies meist mit dem Anspruch, Aussagen über die Gesellschaft zu treffen“. In der deutschen Geschichte, erinnert sie, galten „bereits die Zeit um 1900, die Zeit nach dem Ersten und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als Männlichkeitskrise“. Die ständige Rede davon sei insofern ein „fester Bestandteil des Wandels moderner Männlichkeiten“. Zudem werde das Wort „Krise“ seit einigen Jahren verstärkt von Rechtspopulisten aufgegriffen, denen die Frauenemanzipation zu weit geht und die stattdessen eine Rückkehr zu althergebrachten Rollenbildern propagieren.In der Forschung über die Zusammenhänge von hegemonialer Männlichkeit und Rechtsextremismus klaffen noch gravierende Lücken. Klaus Theweleit hat dazu schon Ende der 1970er Jahre mit den Männerphantasien einen wichtigen Beitrag geleistet. Analysen zum Umfeld der AfD, die den Antifeminismus als „Brückenideologie“ nutzt und eine „maskulinistische Identitätspolitik“ propagiert, fehlen bislang weitgehend, Ansätze dazu finden sich am ehesten in den Leipziger Autoritarismus-Studien.Ein besonderes Anliegen ist der 1964 in der DDR geborenen Forscherin Scholz die Einbeziehung einer ostdeutschen Perspektive. So sei die rege Debatte um die „neuen Väter“ nach der Jahrtausendwende einseitig westdeutsch geprägt gewesen. Denn im realen Sozialismus hätten sich die Geschlechterverhältnisse durch die selbstverständliche Berufstätigkeit von Frauen schon früher angeglichen – auch wenn von „Caring Masculinities“ (deutsch: Sorgende Männlichkeit), also einer egalitären Verteilung der Haus- und Erziehungsarbeit auch dort keine Rede sein konnte. Ebenso kritisch sieht die Soziologin die heutige „diskursive Konstruktion des braunen Ostmannes“. Das sei ein allzu simples Erklärungsmuster für rechte Männlichkeiten und keineswegs die maßgebliche Ursache für die wachsende Bedeutung des Antifeminismus in der Neuen Rechten.Im Gegensatz zu ihrem Kollegen Michael Meuser, der sich als empirischer Forscher und nie als Aktivist verstanden hat, bekennt sich Scholz in der Tradition Connells durchaus zu politischen Implikationen über den universitären Kontext hinaus. Am Schluss ihres Buches plädiert die Wissenschaftlerin für eine Zusammenarbeit der akademischen Geschlechterforschung mit „Jungen- und Männlichkeitspolitiken“. Als geeigneten Partner betrachtet sie vor allem das 2010 gegründete und bald vom Familienministerium geförderte „Bundesforum Männer“. Der genderdialogisch orientierte Interessenverband von rund 40 männerpolitischen Vereinen und Initiativen hat sich als Pendant zum Deutschen Frauenrat etabliert – und distanziert sich klar von antifeministischen Strömungen.Serie MännlichkeitenMann sein – was heißt das eigentlich in diesen Zeiten? Den „wahren“ Mann suchen nicht nur Konservative und Rechtsextreme – sie meinen damit: den „starken“ Mann. Feministinnen kritisieren toxische Männlichkeit und fordern – ja, was eigentlich genau? Und wie fühlen sich die Männer bei alledem? Das wollen wir in unserer Freitag -Serie ergründen. Aus diversen Blickwinkeln und zuweilen sehr persönlich blicken die Autoren einmal im Monat an dieser Stelle auf aktuelle Debatten, auf bestehende Geschlechter(-Verhältnisse) oder einfach: auf sich. etaMännlichkeitsforschung Sylka Scholz Transcript Verlag 2025, 412 S., 29 € Thomas Gesterkamp hat unter anderem die beiden Bücher Die Krise der Kerle (2004) und Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere (2007) veröffentlicht



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Von Veritatis

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