Roswitha Quadflieg hat die Tagebücher ihres Vaters und berühmten Schauspielers Will gefunden und untersucht darin seine politische Gesinnung während der NS-Zeit. Eine Entdeckung geprägt von Empathie und auch immer größer werdendem Unbehagen
Zu Nachkriegsruhm verhalf Will Quadflieg (l.) der„Faust“ an der Seite von Gustaf Gründgens
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Als Faust wurde Will Quadflieg 1957 an der Seite von Gustaf Gründgens im Hamburger Schauspielhaus zur Legende. Sein durchdringender Blick erwies sich als stilprägend für die Verkörperung des unersättlichen Wissenschaftlers, der das volle Weltenganze zu erfahren sucht. Sämtliche späteren Inszenierungen werden sich – auch infolge der berühmten Filmadaption Peter Gorskis aus dem Jahr 1960 mit Quadflieg in der Hauptrolle – auf das Spiel des 2003 verstorbenen Schauspielers beziehen.
Dass seiner erfolgreichen Karriere allerdings Unrühmliches vorausgeht, kommt erst nach und nach ans Tageslicht. Konkret geht es um seine Rolle während des Dritten Reichs. Nachdem man Quadflieg unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als „ent
chdem man Quadflieg unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als „entlastet“ eingestuft hatte, bekommt die Büste der Schauspiellegende, geboren 1914 in Oberhausen, immer mehr Risse.Spätestens ein gerade im Kanon-Verlag in der Kategorie Sachbuch erschienener Text gibt nun vollends Aufschluss darüber, dass der Bühnenstar mehr von dem Gräuel wusste, als er Zeit seines Lebens öffentlich zugeben wollte. Schon der Titel sagt alles: „Ich will lieber schweigen“. Das Tagebuch eines Schauspielers aus den Jahren 1945/46 und die Fragen seiner Tochter. Den kritischen Kommentaren und Suchbewegungen seiner Tochter Roswitha Quadflieg, die als Autorin neben ihrem Vater auf dem Buchcover steht, kommt darin eine herausragende Bedeutung zu. Sie arbeitet sich an den Aufzeichnungen und Briefen ihres Vaters ab, schwankt dabei zwischen Verständnis und Empathie auf der einen und wachsendem Unbehagen auf der anderen Seite. Aufgrund der Beschreibungen seiner persönlichen Situation in den letzten Zügen des Krieges bringt sie ihrem Vater zunächst Sympathie entgegen. Zwar bleibt ihm ein Dienst an der Front erspart, da er als Schauspieler unabkömmlich scheint und ihn Knieschmerzen plagen.So schlimm war das alles nicht?Gleichwohl leidet er unter der Einsamkeit. Denn seine Frau, die Gräfin Benita Quadflieg-von Vegesack, ist mit den Kindern in ihr Heimatland Schweden geflohen. Und so zeugen seine Notizen und Briefe von tiefer Sehnsucht. Er bemerkt, „wie vom Glück gesegnet“ er doch sei, mit diesem „Wesen“, das man ihm „geschenkt und verliehen“ habe. Auf unzähligen Seiten wiederholt er diese Bekundungen, mit teils allzu blumigen Formulierungen. Ein Schriftsteller ist an dem Nationalmimen also nicht verloren gegangen.Anyway, die Texte waren ohnehin nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Umso brisanter muten sie an, wo sich Quadflieg politisch äußert. Das Credo: So schlimm war alles nicht. Er habe „die Erfahrung [gemacht], dass die Männer und Führer der SS weitaus aufgeschlossener, lebendiger und wesentlicher sind im Durchschnitt als bei der Wehrmacht“. Genauso wenig klingen folgende Zeilen nach bloßem Mitläufertum: „Wenn das mit Polen so weitergeht, ist Polen in 10 Tagen erledigt, ‚wenn!‘ hoffentlich!“ Selbst wenn der Schauspieler während der Schreckensherrschaft von so manchem keine Kenntnis gehabt haben will, sollte er doch zumindest nach der Kapitulation und im Zuge der beginnenden Aufarbeitung durch die Alliierten ein klareres Gesamtbild erhalten haben.Doch davon keine Spur. Im Gegenteil, mehrfach vergleicht er das Verhalten der Besatzungsmächte mit Praktiken der zuvor von ihm relativierten Faschisten. „Ich habe das schlimme Gefühl, dass Deutschland vor einer schlimmeren Einengung auch seiner geistigen Freiheit steht, als sie im Dritten Reich erlebt wurde“, so Quadflieg. Ferner verzeichnete er „KZ-Lager-Methoden als Antwort auf ‚Belsen‘ und ‚Buchenwald‘“. Es ginge um „Rache u. keine Barmherzigkeit“. Alles würde „immer rigoroser. Die Nazi-Methoden sind in voller Blüte, jetzt von den Bekämpfern der Nazis angewandt“.Ohne SupportSo schreibt gewiss keiner, der zur Mitarbeit in Propagandafilmen gezwungen werden musste. Daher ist die Verstörung der Tochter immens. Sie zeigt sich erschrocken über die Verharmlosungen, geht auf Distanz. Dass sie ihn trotzdem nicht verurteilt, offenbart, dass sie ihren Text nicht in die sogenannte Väterliteratur der Nachkriegszeit einreiht, in der die moralische Empörung der Nachkommen über die Fehler ihrer Eltern im Hitler-Regime zentral ist. Nein, die Autorin ringt allein um Erklärungen, müht sich um eine ehrliche Rekonstruktion.Einige brisante Informationen gelangen dadurch nun dankenswerterweise an ein breites Publikum. In der Form wirkt das Buch jedoch aufgeblasen und halbgar. Abgesehen von den Redundanzen aus Liebesbeweisen, ideologischen Verzerrungen und den sich prompt anschließenden Entrüstungen ist der Text durchsetzt von Binsen und Phrasen: „Von heute aus betrachtet, fragt man sich, wie sich diese Wahnsinns-Propaganda so tief in einem Volk verankern ließ“, hält die Autorin fest.Oder: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du je den rechten Arm zum Gruß gehoben, deine offiziellen Briefe mit ‚Heil Hitler!‘ unterschrieben hast. Aber was weiß ich schon? So vieles, was ich hier lese, ist neu für mich.“ Von derlei Überraschungsmomenten haben wir schon oft gelesen. Hinzu kommt, dass das Werk sprachlich stellenweise dürftig ausfällt. Im Du-Modus verfasst, fragt Roswitha Quadflieg ihren Vater, was ihm seine Familie bedeutet hat. „Du bist weggegangen und hast deine Kinder ihr Leben meistern lassen, ohne Support von deiner Seite.“ Der letzte Teilsatz könnte aus einem sprachlich wenig ambitionierten Coaching-Buch stammen.Näher an der sogenannten WahrheitImmerhin leistet das knapp 300 Seiten umfassende Buch einen Beitrag zur Aufklärung über die politische Haltung einst dem NS-Regime verfallener Ikonen. Je mehr Archive zugänglich werden, desto näher kommen wir der sogenannten Wahrheit. So zum Beispiel 2024 in dem – ebenfalls im Buch erwähnten – Dokumentarfilm Riefenstahl. Zweifelsfrei können dessen Macher, die Journalistin Sandra Maischberger als Produzentin und Regisseur Andres Veiel, mithilfe akribisch gesammelter Telefonaufzeichnungen nachweisen, dass die Star-Regisseurin tief in die Machenschaften der NS-Führungsriege verstrickt gewesen ist.Wenn auch nicht derart kompromisslos wie sie, so hat doch auch Quadflieg den diktatorischen Staat, zumindest auf der Ebene der Propaganda, unterstützt. Er, der nach 1945 in Hamburg erneut in den Olymp des deutschen Theaters aufsteigen konnte, dürfte nun im buchstäblichen Sinne seine Unschuld eingebüßt haben.Zur Ironie der Geschichte gehört übrigens seine anthroposophische Gesinnung. Er schwärmt in den im Buch abgedruckten Briefen von Rudolf Steiner, bekennt, dass er „alles Geschehen im höheren Strom des kosmischen Geschehens [erkennt] – und nur so erhält man sich die Ruhe der Seele allem Chaos des politischen Vordergrundes gegenüber“. Diesen Flow verspürt man wohl nur, wenn man die Realität radikal ausblendet, so gleißend hell das Licht auf sie auch fallen mag. Quadflieg hat sich mit jener Haltung auch selbst etwas vorgemacht – und war damit seinem Schauspiel wahrscheinlich oft näher als sich selbst.