Der Großteil der jüdischen Israelis ist für den Iran-Krieg – unter arabischen Israelis sieht es jedoch anders aus. Eine aktuelle Umfrage in Israel lässt erahnen, was dem Premierminister noch gefährlich werden könnte
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu: Ihm schadet der Krieg nicht, eher im Gegenteil
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Menschen sterben im Iran und in Israel, das Risiko einer weiteren Eskalation ist riesig – dennoch hat die israelische Regierung angekündigt, ihren Beschuss so lange fortzusetzen, bis das iranische Nuklearprogramm „vollständig eliminiert“ sei. Der Umgang der israelischen Gesellschaft mit dieser gegenwärtigen Lage ist weit weniger eindeutig, als es den Anschein hat und im Interesse der amtierenden Regierung liegt.
Deren Kopf, Premierminister Benjamin Netanjahu, hat mit seinem Überraschungsangriff auf den Iran insofern einen Erfolg erzielt, als er die Agenda im Nahen Osten jetzt wieder bestimmt. Als der Druck des Westens auf Israel zuletzt zunahm, zauberte Netanjahu das nächste Kaninchen aus dem Hut – indessen berichtete etwa CNN, dass der Iran
f Israel zuletzt zunahm, zauberte Netanjahu das nächste Kaninchen aus dem Hut – indessen berichtete etwa CNN, dass der Iran laut US-Geheimdiensten Jahre von der Entwicklung einer eigenen Atombombe entfernt sei. Innerhalb Israels schrumpft das Lager derer, die sich gegen Krieg aussprechen, jetzt weiter – umso wichtiger ist es, die Nuancen in all diesen Entwicklungen zu erkennen, um erkennen zu können, wo doch noch ein Rest an Hoffnung in all der Trostlosigkeit zu finden ist.In den Tagen nach dem Beginn der Angriffe entfaltete sich die israelische Luftüberlegenheit gegenüber dem Iran in vollem Umfang – es zeigt sich aber auch, welchen Preis diese Überlegenheit hat: Getötete und verletzte Zivilisten, geschlossene Botschaften, Sperrung des Luftraums und eine verunsicherte Gesellschaft.Was fehlt, ist ein Plan für das, was danach kommt. Yair Golan etwa, ehemaliger stellvertretender Chef der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) und derzeit Vorsitzender der Demokratischen Partei der Zionistischen Linken, unterstützt den Schlag grundsätzlich, warnte aber vor einem eklatanten Mangel an politischer Weitsicht. „Was ist die Exit-Strategie?“, fragte er. „Militärisches Vorgehen muss mit diplomatischem gekoppelt werden“. In Anlehnung an seine Haltung zu Gaza – er argumentierte, der Krieg hätte innerhalb von fünf Monaten beendet werden müssen – wies Golan auf die Gefahren unbefristeter Militäraktionen hin.Was der neuerliche Krieg für Israels Anti-Kriegs-Bewegung bedeutetFür die ohnehin marginalisierte israelische Anti-Kriegs-Bewegung hat die Entwicklung der vergangenen Tage schwerwiegende Folgen. Denn die externe Eskalation wird benutzt, um die interne Unterdrückung zu rechtfertigen. Während im Iran Bomben fallen, werden in Tel Aviv Zelte abgebaut, aus denen heraus die Forderung nach einem Deal zur Freilassung der israelischen Geiseln in Gaza erhoben wird. Demonstranten, die T-Shirts mit der Aufschrift „Stoppt den Krieg“ tragen, werden festgenommen. Opposition wird als Illoyalität dargestellt. Hier kommt keine nationale Einheit zum Tragen – sondern erzwungenes Schweigen.Breaking the Silence, die Organisation israelischer Veteranen, die die Realitäten der Besatzung öffentlich macht, hat einen eindringlichen Aufruf gegen den sich ausweitenden Krieg mit dem Iran veröffentlicht. In ihrer Erklärung verurteilt die Organisation, wie Angst – ausgelöst durch Sirenen und Alarme – als Waffe eingesetzt wird, um abweichende Meinungen in Bezug auf Gaza und Westjordanland zum Schweigen zu bringen.Wovor die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem warntDie Menschenrechtsorganisation B’Tselem warnte davor, dass seit Beginn der iranischen Offensive Dutzende iranische Zivilisten und Israelis getötet worden seien. Während sich die israelischen Medien auf die militärischen Entwicklungen und Erfolge konzentrieren, fordern diese Gruppen die Öffentlichkeit auf, nicht von den vertriebenen und hungernden Palästinensern, den Zerstörungen in den Städten und den Vertreibungen aus dem Westjordanland abzulenken. Israels extremistische Regierung hat sich für einen Krieg entschieden, der alle in der Region gefährdet.Der Rally-’round-the-Flag-Effekt – nach dem eine Bevölkerung im Moment einer bedrohlichen Krise zu Einigkeit findet – ist real, aber volatil und weitgehend ethnonational grundiert: Eine neue Umfrage der Universitäten in Jerusalem und Tel Aviv, durchgeführt am 15. und 16. Juni, zeigt, dass 83 Prozent der jüdischen Israelis den Schlag gegen den Iran unterstützen. Ihr Vertrauen in die Sicherheitsorgane ist groß, und das Gefühl von Stolz überwiegt das der Angst.Im krassen Gegensatz dazu unterstützen nur zwölf Prozent der arabischen Israelis das Vorgehen. Die meisten drängen auf Diplomatie, ihre Gefühlswelt dominieren Angst und Verzweiflung. Mehr als die Hälfte glaubt, dass die Militäroperation die israelische Gesellschaft spaltet. Israel, so lässt sich daran erkennen, besteht aus zwei Gesellschaften, die die Krise auf grundlegend unterschiedliche Weise erleben.Von den IDF bis zur Regierung Netanjahu: Wem welche Israelis vertrauen und wem nichtDie Umfrage zeigt auch eine tiefere Legitimationskrise. Jüdische Israelis vertrauen zwar dem IDF und dem Geheimdienst Mossad, nicht aber der Regierung. Unter arabischen Israelis ist das Vertrauen sowohl in den Staat als auch in seine Sicherheitsorgane gering. Militärische Macht kann demokratische Zustimmung nicht ersetzen. Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Wenn der Krieg zum Dauerzustand wird (und im Falle Israels auch die Apartheid), wird die Demokratie zur Zierde. Eine Kulisse, die international Legitimität verschaffen soll – und dann fix verschwindet, wenn sich der Vorhang hebt.Doch in dieser Atmosphäre der Angst und des Eifers gibt es immer noch Raum zum Handeln. Die Unterstützung für ein Geiselabkommen, das den Gaza-Krieg beenden würde, nimmt zu: 71 Prozent der jüdischen Israelis und 99 Prozent der arabischen Israelis sind dafür. Die Öffentlichkeit sieht trotz der Kriegsrhetorik die Notwendigkeit einer politischen Lösung. Dennoch hat Netanjahu jeden Waffenstillstand im Gazastreifen an den Erfolg seines Vorgehens gegen den Iran geknüpft und damit die Geiseln zu Verhandlungsmasse für eine regionale Eskalation gemacht.Der frühere israelische Premierminister Ehud Barak schrieb auf seinem X-Account und in Haaretz, dass die Militäroperation zwar beeindruckend sei, es aber „keine Möglichkeit gebe, die nuklearen Ambitionen des Irans wesentlich zu verzögern. Sie könnte den Prozess sogar beschleunigen, wenn das Regime nicht stürzt“. Und: „Solange die Umwandlung Israels in eine De-facto-Diktatur im Angesicht des Krieges weitergeht, ist es unerlässlich, weiter darauf hinzuarbeiten, die Regierung und deren Oberhaupt zu ersetzen. Ja, sogar während des Krieges.“ Leider finden diese Stimmen, selbst wenn sie von Persönlichkeiten wie Barak und Golan kommen, denen der Krieg und das Denken in Sicherheitskategorien nicht fremd sind, kaum Gehör.Wie schnell sich die Haltung von Friedrich Merz gegenüber Israel schon wieder verändert hat!Wie es weitergehen soll, bleibt unklar. Der Iran könnte deeskalieren, aber nur, wenn die israelischen Angriffe aufhören. Israel könnte seine Luftangriffe ausweiten, aber der langfristige Schaden für die nukleare Infrastruktur des Irans ist ungewiss. Ein größerer regionaler Krieg droht, da sich iranische Stellvertreter auf einen Einsatz vorbereiten.Am gefährlichsten für Netanjahu ist, dass sich die Krise bald nach innen wenden könnte: von geschlossenen Flughäfen und leeren Geschäften bis hin zu lauteren Forderungen nach Neuwahlen. Er weiß das – und nutzt den gemeinsamen Nenner, den er seit Jahrzehnten als solchen pflegt: Iran. Schauen Sie sich nur an, wie sich der Ton in Deutschland verschoben hat, von der gerade noch vorgetragenen Kritik von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Vorgehen in Gaza hin zur Beschreibung von Israels Schlag gegen den Iran als „Drecksarbeit für uns alle“.In diesem Moment ist Klarheit gefragt, nicht nur Gewalt. Die iranische Bedrohung mag real sein, aber sie als Rechtfertigung für endlosen Krieg und interne Unterdrückung zu benutzen, ist eine Falle. Nationale Einheit lässt sich nicht durch Zensur und Militarismus herstellen. Wahre Sicherheit erfordert Diplomatie, Deeskalation und demokratische Werte. Für Israelis in Tel Aviv, Berlin und darüber hinaus ist es jetzt an der Zeit zu sprechen – und nicht zu schweigen. Sich zu weigern, einen endlosen Krieg zu unterstützen, ist kein Verrat. Es ist ein Akt der Hoffnung.Deutschlands Unterstützung für Israels Militarismus muss endenIm deutschen Kontext – fernab der Unmittelbarkeit des Krieges – sollte den wenigen Stimmen Gehör geschenkt werden, die die Wahrheit sagen. Wie Thore Schröder gerade im Spiegel forderte, muss Deutschland seine reflexartige Unterstützung für den israelischen Militarismus beenden, der inzwischen einem Blankoscheck für staatliche Gewalt gleichkommt. In ähnlicher Weise führt Zvi Barel in der Zeitung Haaretz vor Augen, dass sich das Hirngespinst eines Regimewechsels im Iran schnell zum Albtraum entwickeln kann; das Land hat Krieg und Sanktionen jahrzehntelang überlebt. Nötig ist nicht ein geopolitisches Wunschkonzert, sondern ernsthafte Diplomatie.Die harte Realität, die hinter dem Tod aller israelischen Bürger – einschließlich der palästinensischen Bürger aus Tamra – steht, zeigt die Spaltung des Landes: Den Bewohnern von Tamra fehlten infolge diskriminierender Planungspolitik Schutzräume. Diese Ungleichheit unterstreicht die Wahrheit: Wir teilen das Schicksal dieses Landes sowohl im Leben als auch im Tod. Die wahre Kluft besteht nicht zwischen Juden und Arabern, sondern zwischen denen, die Krieg und Spaltung wollen, und denen, die Frieden fordern.