Die Zahl der Hitzetoten in Deutschland steigt. Nur wenige Kommunen haben für den Ernstfall einen Plan. Dabei könnte der schon im Juli gebraucht werden
Abtauchen – eine gute Methode zur Regulierung der Körpertemperatur
Foto: Melanie Haberkorn/Plainpicture
Stell dir vor, in Deutschland sterben mehr Menschen durch Hitze als im Straßenverkehr: Wäre es nicht ein Skandal, dass das niemanden interessiert? Tatsächlich sind im vergangenen Jahr etwa 3.000 Menschen in Deutschland an Hitzebelastung gestorben, vor allem ältere, solche mit Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, mit Diabetes oder Demenz. Bei Unfällen im Straßenverkehr kamen 2024 dagegen „nur“ 2.780 Menschen ums Leben.
Doch während jedes Jahr Milliarden in die Verkehrssicherheit investiert werden, wurde erst jetzt ein exaktes Verfahren entwickelt, um die Anzahl der Toten durch Hitze belastbar erfassen zu können. Auf dem Totenschein steht in der Regel nicht „Hitze“ als Ursache, wenngleich es Hitze war, die zu „Organvers
rch Hitze belastbar erfassen zu können. Auf dem Totenschein steht in der Regel nicht „Hitze“ als Ursache, wenngleich es Hitze war, die zu „Organversagen“, „Herzschlag“ oder „Kreislaufkollaps“ führte. „Es fehlt das Problembewusstsein“, urteilt Henny Annette Grewe, die am Public Health Zentrum Fulda zu Klimawandel und Gesundheit forscht. Zwar sei 2003 das Jahr der Sichtweitung gewesen, „damals kamen in Mittel- und Westeuropa etwa 70.000 Menschen durch eine Hitzewelle um“, so die Professorin. Anders als andere Länder hätte Deutschland aber bislang kaum wirksame Konsequenzen gezogen.In Köln wird das Klima so wie heute in San MarinoOb Laufen, Nachdenken oder Schlafen: Der menschliche Stoffwechsel produziert Wärme. Um die Kerntemperatur stabil zu halten, muss die raus aus dem Körper. Ab 30 Grad Umgebungstemperatur geht das nur durch Schwitzen: Ein funktionierendes Herz-Kreislauf-System, eine gesunde Lunge, eine gut arbeitende Niere und genug Flüssigkeit sind dafür nötig. Ab etwa 35 Grad funktioniert das aber nicht mehr, dann müssen wir uns kühlere Orte suchen.Durch den Klimawandel hat die Zahl der „Heißen Tage“ mit mehr als 30 Grad seit 1951 bereits um 170 Prozent zugenommen. Eine Studie des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ergab: Hitzewellen werden künftig viel häufiger, länger und heißer als heute. Auch die Zahl der „Tropischen Nächte“ steigt rasant: Die Temperatur fällt dann nicht unter 20 Grad, was dem menschlichen Körper zusetzt. Zudem steigen die Temperaturen auf immer neue Höchstwerte: 2019 wurden in Duisburg 41,2 Grad gemessen, 2022 knackte Hamburg die 40-Grad-Marke. Selbst bei einem sofortigen Stopp aller weltweiten Treibhausgas-Emissionen werden Hitzewellen in Europa künftig häufiger, wie eine Studie der Universität Hamburg gerade ergab.Der DWD beschreibt die Entwicklung bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts anschaulich: In Köln gibt es dann ein Klima wie heute in San Marino, in Hamburg eines wie heute im spanischen Pamplona, Berlin wird dann so werden wie heute Toulouse, München wie Mailand. Menschen in Städten sind stärker betroffen als die auf dem Land, dort bilden sich Wärmeinseln: Hitze staut sich im Straßenbelag und in den Gebäuden. Auch soziale Faktoren stellen ein Gefährdungspotenzial dar, sagt Expertin Grewe: „Schlechte Wohnverhältnisse beispielsweise, soziale Isolation oder Armut.“Kühlanlagen für KindergärtenDirk Messner, Chef des Umweltbundesamtes, fordert deshalb von der Politik: „Wir müssen den Umgang mit Hitze deutlich verbessern.“ Eigentlich sind die Kommunen verpflichtet, einen sogenannten „Hitzenotfallplan“ zu erstellen. Ein Kernelement sollte die Betreuung vulnerabler Menschen sein. „Bei Hitze müssen zum Beispiel viele Medikamente anders dosiert werden“, sagt Expertin Grewe. In Frankreich können sich Alte und chronisch Kranke registrieren lassen, damit man sich während einer Hitzewelle um sie kümmert. „Menschen, die in überhitzten Wohnungen leben müssen, sollten zumindest stundenweise an kühlen Orten Erholung finden können“, sagt Grewe. Enthalten müsse ein solcher Plan auch Angebote für Wohnungslose – analog zum Kältebus im Winter. Eine Telefonliste, um nachzufragen, ob etwa bei Dementen genügend Getränke vor Ort sind, eine Infrastruktur, die notfalls kostenlos liefert: All das kostet Geld. Der Bund hat die Kommunen zwar zu Notfallplänen verpflichtet, ist aber nicht bereit, dafür zu zahlen. Gehandelt haben deshalb nur wenige.Meteorologen prophezeien im Juli eine „Hitzeglocke“ über Mitteleuropa: Wir brauchen andere Städte für die Zukunft. Mehr Grün, weniger Asphalt – Stadtbäume kühlen um mehrere Grad, Frischluftschneisen werden notwendig. Wir müssen beginnen, Kindergärten, Pflegeheime und Krankenhäuser mit Kühlanlagen auszustatten.Laut „Hitze-Check“ der Deutschen Umwelthilfe sind Mannheim, Ludwigshafen, Worms und Rüsselsheim besonders hart betroffen. Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Ab sofort muss die Begrünung von Städten und der Erhalt von Bäumen genauso priorisiert werden wie der Wohnungsbau.“ Von 34 Millionen Menschen in den untersuchten Städten sind 32 Millionen von mittleren und extremen Hitzebelastungen betroffen.