Lorenz Gösta Beutin will Klimapolitik als eine Frage der demokratischen Mitbestimmung begreifen und Konzerne enteignen. Ein Gespräch über die Klimakrise und Ökosozialismus – und darüber, warum es manchmal eine Dosis Provokation braucht


Der Historiker Lorenz Gösta Beutin leitet den Umweltausschuss im Bundestag

Foto: Miguel Ferraz Araújo für der Freitag


Im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, in dem viele Büros für Abgeordnete des Bundestages untergebracht sind, gibt es ein neues Bistro. Man kann an der Spree unter einem hohen Dach sitzen. Vor dem Gespräch studiert der linke Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin die Kuchenauswahl. Er entscheidet sich für zwei schreiend bunte, kunstvoll verzierte Creme-Törtchen.

der Freitag: Herr Beutin, ein Sprichwort besagt, wer politisch nicht mehr weiterweiß, der gründe einen Arbeitskreis. Sie haben jetzt in der Linksfraktion im Bundestag den Arbeitskreis „Ökosozialismus“ eingerichtet. Wussten Sie nicht weiter?

Lorenz Gösta Beutin: In der Legislaturperiode 2017 bis 2021 hat unsere Fraktion den sozialökologischen Umbau schon sehr stark zum Thema

2021 hat unsere Fraktion den sozialökologischen Umbau schon sehr stark zum Thema gemacht. Unser „Aktionsplan Klimagerechtigkeit“ ging weiter als die Pläne der anderen Fraktionen. Jetzt werden wir uns Fragen dazu widmen, wie man Wirtschaft und Industrie unter Maßgaben des Klimaschutzes organisiert, gute Arbeitsplätze erhält, Klimaschutz mit mehr statt weniger sozialer Gerechtigkeit organisiert.Das verbindet man nicht sofort mit dem Begriff „Ökosozialismus“ …Letztlich müssen wir die Eigentumsfrage bei der Energiewende stellen. Wir brauchen die Energiewende und die Wärmewende in den Händen der Bürgerinnen und Bürger. Wir benötigen eine Vergesellschaftung der Strom- und Wärmenetze, und wir müssen Kommunen und genossenschaftliche Projekte fördern.Warum?Es geht um Identifikation. Wenn den Menschen die Mittel gehören, mit denen sie heizen, mit denen Strom erzeugt wird, identifizieren sie sich damit. Das ist etwas anderes, als wenn das große Konzerne übernehmen.Im Begriff des Ökosozialismus schwingt aber mehr mit als kommunale Genossenschaften, zum Beispiel die Verstaatlichung von Produktionsmitteln …Wir meinen nicht Staatskapitalismus oder ein Modell wie China. Uns geht es um die Mitbestimmung der Bevölkerung. Das heißt, es geht sehr grundlegend um die Frage der Verfügung. Also, wem Energiewende und Wärmewende gehören. Und wir gehen davon aus, dass man die Klimakrise nicht mit kapitalistischen Mitteln bekämpfen kann, denn diese haben die Klimakrise ja erst hervorgebracht. Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hat gerade in einem Gutachten festgestellt, dass die Klimapolitik der vergangenen Bundesregierung regressiv war.Was meint „regressiv“ in diesem Fall?Sie hat zu mehr sozialer Ungerechtigkeit geführt. Und ein Klimaschutz, der zu mehr sozialer Ungerechtigkeit führt, verliert seine Akzeptanz und ist politisch nicht durchsetzungsfähig.Worin liegt der Unterschied in der Ausrichtung des Arbeitskreises – vorher hatte er die sozialökologische Transformation zum Ziel und jetzt Ökosozialismus?Wir brauchen eine grundlegende Systemwende, um die Klimakrise zu bewältigen. Wir stellen die Frage der Klimagerechtigkeit auch als eine Systemfrage. Es geht um öffentliche Daseinsvorsorge und um demokratische Mitbestimmung. Für uns ist Vergesellschaftung eine Demokratiefrage.Aber das bedeutet schon einen kulturellen Bruch mit der Geschichte Ihrer Partei, oder?Warum?Die Linke bewahrte einiges von der DDR-Tradition, die Probleme mit einem Wachstum der Produktivkräfte lösen wollte …Aus meiner Sicht ist dieser Streit innerhalb der Linken überwunden – gerade mit dem Austritt der „Russia Today“-Fraktion um Sahra Wagenknecht. Ich erinnere mich, wie fatal es war, dass Klaus Ernst, der ehemalige Vorsitzende der Linken, den Klima-Ausschuss im Bundestag übernahm und dort nur Lobbyarbeit für Nord Stream 2 gemacht hat. Stellen Sie sich vor, der hat Gerhard Schröder als Experten zu einer Anhörung eingeladen, hinter meinem Rücken als zuständiger Fachpolitiker. Heute ist uns sehr klar, dass wir Klimaschutz und Klimagerechtigkeit vorantreiben und das mit einer sozialistischen Idee verknüpfen müssen.Sie stellen aber auch fest, dass die Diskussion um den Klimawandel gerade wenig Sexappeal hat, oder?Was heißt Sexappeal? Es gibt immer Wellen öffentlicher Aufmerksamkeit. Durch die Energiekrise, die Corona-Krise und die strategische Schwäche der Klimabewegung hat sich in den letzten Jahren der Fokus verschoben. Nur ist die Klimakrise nicht weg, sie spitzt sich Tag für Tag zu. Das bedeutet, dass wir die politische Diskussion wieder auf den Tisch bekommen. Außerdem, was Union und SPD vorgelegt haben, ist Klimaschutz, der vor allem auf Marktmechanismen wie den CO2-Preis setzt. Ab 2027 wird es deshalb starke Preisanstiege bei Wärme oder Verkehr geben. Ohne sozialen Ausgleich verstärkt das den unsozialen Charakter dieser Politik weiter. Nur zu sagen, unser Kapitalismus soll grüner werden, die Ausbeutungsverhältnisse im Kern aber beizubehalten, funktioniert nicht. Deshalb müssen wir grundsätzlich eben etwas an den Ausbeutungs- und Eigentumsverhältnissen verändern.Haben Sie den Eindruck, dass wir als demokratische Gesellschaft die Klimakrise begreifen?Wohl nicht in ihrer Dramatik. Aber es gibt eine Mehrheit, die versteht, dass wir handeln müssen. Nur wissen die meisten nicht, was man tun kann oder müsste. Sehr viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass Klimapolitik in der Regel zulasten der Menschen geht, die ohnehin wenig haben. Es profitieren die, die mehr besitzen. Eine Klimapolitik, die Umverteilung von unten nach oben bedeutet, scheitert. Das spüren wir auf allen Ebenen. Es gibt dazu eine klare Alternative von rechts. Naomi Klein hat das als „Endzeitfaschismus“ beschrieben. Dagegen brauchen wir eine solidarische Idee, die wir als Ökosozialismus beschreiben.Wer sich Wahlergebnisse oder Umfragen in Deutschland anschaut, der kann gerade nicht den Eindruck gewinnen, dass es eine Mehrheit gibt, die kräftige, wirksame Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe befürwortet. Was macht Sie optimistisch?Ich glaube, wir sind als Gesellschaft in dieser Frage sehr zersetzt und gespalten. Sie haben recht, es gibt eine Stimmung, die sich gegen Einschränkungen und einen Umbau der Wirtschaft stemmt oder fatalistisch darauf schaut. Auf der anderen Seite hat eine Mehrheit in Berlin einen ganz grundlegenden Volksentscheid über die Enteignung von großen Immobilienkonzernen durchgesetzt. Es gibt außerdem eine Mehrheit für eine Vermögensteuer.Die ist doch kein originäres Instrument gegen die Klimakatastrophe?Nein, nein, das war nicht mein Argument. Sondern der Hinweis, dass es für progressive Maßnahmen Mehrheiten gibt. Dasselbe stimmt für den Klimaschutz. Es führt nur nicht automatisch zu politischem Handeln und dazu, dass Menschen auf die Straßen gebracht werden. Tatsächlich spüre ich in unserer Gesellschaft eine sehr große Resignation. Als die SPD-Politikerin Andrea Nahles 2017 Bundesministerin für Arbeit und Soziales war, gab sie eine Studie in Auftrag. Die belegte, dass in den letzten 30 Jahren Politik nur eine Chance hatte, wenn sie von den reichsten zehn Prozent der Gesellschaft unterstützt wurde. Deswegen wächst die Erfahrung, dass Politik letztlich gegen die Mehrheit der Bevölkerung agiert.Ökosozialismus als Theoriegebäude ist nicht im luftleeren Raum entstanden, da spielen Überlegungen zu autoritären Formationen hinein. Wie wollen Sie sich davon frei machen? Oder wollen Sie das gar nicht?Uns geht es um Fragen der politischen Partizipation und der sozialen Gerechtigkeit. Das meinen wir, wenn wir sagen, dass Vergesellschaftung eine Demokratiefrage ist. Ich bin außerdem der festen Überzeugung, dass ein Laissez-faire-Kapitalismus mit CO2-Bepreisung, der den Markt alles regeln lässt, den Weg in die Katastrophe nimmt. Die Alternativen dazu sind klare Regeln, die natürlich politisch festzuschreiben sind. Die müssen über einen demokratischen Prozess herbeigeführt werden. Wir sind auch demokratische Sozialist*innen, weil wir verstanden haben, wozu Stalinismus und ein autoritäres Regime führen.Wie sieht in Ihrem Ökosozialismus denn der Staatsbegriff aus?Der Staat garantiert Regeln und Gesetze und setzt sie durch. Und es muss bestimmte Bereiche geben, die verstaatlicht gehören. Zum Beispiel Übertragungsnetzbetreiber wie Tennet: Mit den Netzbetreibern stimmt etwas nicht – es sind de facto kapitalistische Monopole mit einem staatlich garantierten Gewinn. So etwas gehört in staatliche Hand, genau wie der Netzausbau. Das sieht auch eine Mehrheit in der Bevölkerung so. Aber aus der Geschichte der DDR haben wir gelernt, dass eine komplette staatliche Kontrolle über Produktionsmittel dazu führt, dass keine Identifikation entsteht. Das ist anders, wenn Menschen Verfügungsmacht haben. Das ist das ganz entscheidende Kriterium, das uns vom autoritären Sozialismus unterscheidet.Befürchten Sie nicht, dass der Begriff „Sozialismus“ Menschen eine ökologische Politik oder die Genossenschaftsmodelle madig machen wird?Ökologischer Sozialismus soll auch ein bisschen provozieren. Wir wollen den Begriff in diese Debatte wieder hineintragen. Wir müssen als Linke deutlich machen, dass ein Schwerpunkt auf Vergesellschaftung und die Frage nach Eigentum wichtige Hebel für Klimapolitik sind. Außerdem hat die Linke in den letzten Jahrzehnten viel zu sehr als Reparaturbetrieb des Kapitalismus agiert. Wir haben viel zu wenig daran gearbeitet, eine Politik der Hoffnung zu etablieren. Die große Aufgabe ist es, zu zeigen, dass sich etwas verändern kann. Dieses Bewusstsein ist in vielen Menschen genauso verschüttet wie das Bewusstsein, dass vieles von dem, was wir hier in Deutschland an Wohlstand haben, erkämpft worden ist und verteidigt werden muss.

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Von Veritatis

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