Die Eskalation mit dem Iran offenbarte ein schon zuvor schlecht gehütetes Geheimnis: Die europäischen Politiker haben sich Israel und den USA untergeordnet, obwohl beide längst den Verstand verloren haben
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Foto: Vyacheslav Oseledko/AFP/Getty Images
Die politische Mitte in Europa betrachtete den Krieg der USA und Israels gegen den Iran als eine Krise, die es zu bewältigen galt, während die Kluft zwischen ihrer distanzierten Rhetorik und der blutigen Realität immer größer wurde. Seit Beginn des Gaza-Krieges ist die Dynamik beispielloser Wut, Panik und Besorgnis in der Bevölkerung ausgeprägt, die sich um eine unheimlich ruhige politische Mitte dreht. Die schwache Reaktion der etablierten Parteien steht im völligen Widerspruch zum Ernst der Lage.
Während die USA gemeinsam mit Israel den Iran angegriffen hatten und der Nahe Osten auf einen katastrophalen Zusammenbruch zusteuerte, war zugleich die Passivität verwirrender denn je. Alle waren Passagiere in Israels Krieg: Entweder hatten sie re
USA gemeinsam mit Israel den Iran angegriffen hatten und der Nahe Osten auf einen katastrophalen Zusammenbruch zusteuerte, war zugleich die Passivität verwirrender denn je. Alle waren Passagiere in Israels Krieg: Entweder hatten sie resigniert oder waren grundsätzlich nicht bereit, diesen als Realität zu hinterfragen. Während diese Realität die Politiker im Westen anschreit, wälzen sie Papiere und wärmen eine alte Rhetorik auf – und das alles, während sie sich Israel und einem Weißen Haus unterordnen, obwohl beide längst den Verstand verloren haben. Emmanuel Macron ist gegen einen Regimewechsel im IranDer britische Premierminister Keir Starmer rief zur Deeskalation auf. Doch genau die Eskalation, die er vermeiden wollte – nämlich die Einmischung der USA – bezeichnete er als Verminderung einer „ernsten Bedrohung“ durch den Iran, während er gleichzeitig die britischen Truppen im Nahen Osten verstärkt hat. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte zwar die Bedeutung diplomatischer Mittel, erklärte aber zugleich, der Iran sei die „Hauptursache“ der Instabilität in der Region. Der französische Präsident Emmanuel Macron schien immerhin mit der Realität vertraut zu sein und warnte vor dem unvermeidlichen Chaos, das ein Regimewechsel im Iran auslösen würde. Man sollte die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Dann jedoch schloss sich Frankreich dem Chor all jener an, die in vagen, allgemeinen Worten Deeskalation und Zurückhaltung forderten, und ihre „entschiedene Gegnerschaft“ gegen das iranische Atomprogramm bekräftigten. Falls Ihnen das unerträglich selbstgefällig vorkommt, möchte ich Sie beruhigen: Sie übersehen tatsächlich nichts. Der Krieg barg eine Reihe zutiefst destabilisierender Szenarien, wozu gehörten: ein Regimewechsel ohne Plan für die Zeit danach und ohne ein Verständnis dafür, dass ein großer Kader bewaffneter Militär- und Sicherheitskräfte nicht so einfach aus dem Spiel zu nehmen ist; die Ansammlung westlicher Streitkräfte in der Region, die zu Zielen und Krisenherden werden könnten; oder schlichtweg die Aussicht auf einen langwierigen Zermürbungskrieg, der die Region in Beschlag nimmt und eine große, schwärende Wunde der Wut und Militarisierung verursachen würde. Gaza, Libanon, Syrien: Unsere Politiker gucken weg, wenn Israel das Völkerrecht brichtAußerdem – und daran haben uns die israelischen Angriffe gewöhnt – wurden Hunderte unschuldige Menschen getötet. Ganz zu schweigen davon, dass der Krieg, von all dem abgesehen, in völkerrechtlicher Hinsicht illegal war. Doch die meisten westlichen Staats- und Regierungschefs hatten nichts besseres zu tun, als die Eskalation als ein weiteres Kapitel der bedauerlichen, aber letztlich unveränderlichen Realitäten dieser Welt zu betrachten, die es zu bewältigen gelte. Und hier liegt das Herzstück der gesamten Reaktion auf Israels Politik in den vergangenen anderthalb Jahren: die Existenz einer leeren Mitte. Trump ist Trump, niemand erwartet von ihm eine kohärente, mutige und stabilisierende Antwort auf Israel. Das Problem bestand schon vor den Angriffen auf den Iran in einem politischen Establishment aus vermeintlich liberalen, verlässlichen Hütern der Stabilität, das keinen moralischen Kompass hat und sich nicht um die Normen schert, die es angeblich ständig hochhält. Unter seiner Aufsicht wurden in Gaza, im Westjordanland, im Libanon, in Syrien und nun im Iran immer wieder Völkerrecht und Menschenrechte verletzt. Die Antwort bestand bestenfalls darin, Israel aus dem Weg zu gehen, schlimmstenfalls es zu bewaffnen und ihm diplomatischen Schutz zu gewähren. Die Regierung von Joe Biden gab den Ton an, und die europäischen Regierungen folgten. Gemeinsam hielten sie an einem Status Quo der bedingungslosen Unterstützung für Israel fest und zerstörten damit die rechtlichen und moralischen Konventionen, die ihnen einmal Integrität oder Autorität verliehen hatten.