Das Glastonbury-Festival gilt in Großbritannien als national-kulturelles Ereignis. Leider sorgten Bands wie Bob Vylan wie so viele Künstler*innen dieser Tage mit Ansagen zu Palästina und Israel für Aufruhr
Musik steht nicht bei allen Auftritten im Vordergrund: Stagediving von Bobby Vylan beim Glastonbury Festival 2025
Foto: Matt Cardy/Getty Images
Es hätte einer der schönsten Momente eines an schönen Momenten nicht armen Festivals werden können: Robert Smith, Sänger und Gitarrist – manche sagen: Kopf – der Band The Cure, singt und spielt im Duett mit der 44 Jahre jüngeren Olivia Rodrigo einen seiner Welthits, Just Like Heaven.
Der jahrzehntealte Song, vorgetragen vom jahrzehntealten Sänger, harmoniert so gut, so leicht mit der außergewöhnlichen Stimme der wesentlich jüngeren Rodrigo, dass sein zeitloser Kern zum Vorschein kommt: Verliebtsein ist anders in jedem Alter, aber es ist immer Verliebtsein.
Wäre das Glastonbury – das in Großbritannien nichts Geringeres als ein national-kulturelles Ereignis darstellt – nun ein Festival der alten Schule, kö
Glastonbury – das in Großbritannien nichts Geringeres als ein national-kulturelles Ereignis darstellt – nun ein Festival der alten Schule, könnte diese Szene als ausgesprochen erinnerungswürdig, fast schon rebellisch, ins kulturelle Gedächtnis eingehen.Gegen Kneecap läuft ein Gerichtsverfahren wegen Aufrufs zum Terror Mediale Berichterstattung und tagelange Aufregung erzeugt derweil ein anderer Auftritt. Pascal Robinson-Foster alias Bobby Vylan, Sänger und Gitarrist des Rap/Punk-Duos Bob Vylan, eröffnete seinen Auftritt – wie so viele Künstler*innen und Bands dieser Tage – mit einer Ansage zu Palästina. Auf seinem Bühnenbanner stand „Free Palestine“, ergänzt durch den Satz „Die Vereinten Nationen haben es einen Genozid genannt. Die BBC nennt es einen ‚Konflikt‘“.Das ist komprimiert, aber nicht ganz falsch und soll offenbar vorrangig als Attacke auf die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt verstanden werden, die das von 200.000 Menschen besuchte Glastonbury Festival seit Jahren überträgt.Weil gegen die irische Band Kneecap aktuell ein Gerichtsverfahren wegen Aufrufs zum Terror läuft – die Gruppe soll bei einem Auftritt die islamistischen Gruppen Hamas und Hisbollah angefeuert, eine Hisbollah-Flagge gezeigt sowie zum Töten britischer Parlamentarier aufgerufen haben – entschied sich die BBC gegen die Übertragung von Kneecaps Glastonbury-Auftritt.Das nahmen Bob Vylan zum Anlass, einen draufzusetzen: Nach einem beherzten „Free Palestine“, das von einer Palästinaflaggen-schwenkenden Masse retourniert wurde, fragte Sänger Robinson-Foster: „Okay, aber kennt ihr den schon?“, um dem Publikum anschließend den Slogan „Death to the IDF“, „Tod der israelischen Armee“, beizubringen. Auch diesen gab ein Teil der Masse hörbar beschwingt wider.Ist es antisemitisch, der Armee Israels den Tod zu wünschen? Zuvor redete der Sänger noch über einen „zionistischen Chef“, mit dem er zusammenzuarbeiten pflegte und stellte noch einmal unmissverständlich klar, wie er verstanden werden möchte: „Wir sind keine pazifistischen Punks. Wir sind die gewalttätigen Punks. Manchmal muss man seine Botschaft mit Gewalt vermitteln.“Der Sender BBC erklärte daraufhin, man bedauere, dass die Live-Berichterstattung während dieser Ansage nicht unterbrochen wurde und dass sie „vollkommen inakzeptable antisemitische Gedanken“ enthielt. Britische Politiker*innen sowie jüdische und israelische Medien-Kommentatoren zeigten sich entsetzt. Nun prüft die britische Polizei, ob das, was gesagt wurde, strafrechtlich relevant ist. Das Management kündigte der Band infolge der Aussagen auf dem Festival. Und auch das US-Außenministerium entzog den Mitgliedern der Band alle Visa für eine geplante Tournee.Ist es antisemitisch, der Armee Israels den Tod zu wünschen? Hatte irgendjemand auf dem Musikfestival vielleicht die soeben erschienenen Berichte anonymer IDF-Soldaten in der israelischen Zeitung Haaretz gelesen, die folgendermaßen übertitelt waren: „‘Es ist ein Todesfeld’: IDF-Soldaten sollen gezielt auf Unbewaffnete in Gaza geschossen haben, die auf humanitäre Hilfe warteten“? Aber galt der Todeswunsch auch jenen IDF-Soldaten, die solche Berichte an die Presse durchgeben? Und bedeutet „Death to the IDF“ für ein Land, in dem qua universeller Wehrpflicht so gut wie jede und jeder unter diese drei Buchstaben gezählt werden kann? Damals waren Liebe und Frieden widerständige KonzepteWas wer wo genau gesagt und gemeint hat, und welche Implikationen dieses Gesagte und Gemeinte haben, spielt für den popkulturellen Palästina-Protest eine untergeordnete Rolle. Bei der Gerichtsverhandlung erklärte ein Mitglied der Band Kneecap, der Prozess sei politisch und eine „Ablenkung“, man habe Hamas und Hisbollah „nie unterstützt“ und richte sich gegen „alle Angriffe auf Zivilisten, immer“.Der Sänger der Band Bob Vylan schrieb am Montag auf seinem Instagram-Kanal ebenfalls ein Statement. „Lasst uns ihnen laut und deutlich zeigen, was zu tun ist, wenn wir Wandel wollen und brauchen“, schreibt er da, und beendet den kurzen Text mit einer Formulierung, die man vielleicht so übersetzen könnte: „Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe.“Was das ist, was da getan werden kann, wenn man einen Wandel „will und braucht“, das ist auf dem Glastonbury schon immer eine relevante Frage. Als es noch als Hippie-Festival galt, waren Liebe und Frieden Konzepte, die Tod, Gewalt und Leid in der Welt trotzen sollten. Auch auf dem diesjährigen Festival mit seinen über 80 Bühnen und Hunderten von Auftritten war das der Fall – nur nicht in den Schlagzeilen.