Die Regierung Merz und Arbeitgeberverbände wollen mehr arbeiten lassen. Gewerkschafter Olaf Klenke berichtet, was das für Menschen in schlecht bezahlten Berufen bedeutet – und warum jetzt gekämpft werden muss


Zeit ist gnadenlos: Für gute Arbeitsbedingungen muss gekämpft werden

Collage: der Freitag, Material: Midjourney


Die Regierung unter Kanzler Merz will das Arbeitszeitgesetz lockern – und den 8-Stunden-Tag abschaffen. Offiziell soll das mehr Flexibilität für Beschäftigte bringen. Doch profitieren dürften vor allem die Arbeitgeber. Das Vorhaben ist Teil einer umfassenden Agenda: Wirtschaftslobbyist*innen und Politiker*innen fordern auch weniger Feiertage, ein höheres Rentenalter, mehr Arbeit von Frauen und Einschnitte bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Auf der Strecke bleiben die Beschäftigten – besonders im Niedriglohnbereich. Der Freitag sprach mit Olaf Klenke von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten über lange Schichten, kaputte Körper und die neue Angriffsstimmung gegen soziale Errungenschaften.

der Freitag: Die Bundesregierung

mehr Arbeit von Frauen und Einschnitte bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Auf der Strecke bleiben die Beschäftigten – besonders im Niedriglohnbereich. Der Freitag sprach mit Olaf Klenke von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten über lange Schichten, kaputte Körper und die neue Angriffsstimmung gegen soziale Errungenschaften.der Freitag: Die Bundesregierung unter März will das Arbeitszeitgesetz flexibilisieren und den 8-Stunden-Tag abschaffen. Ihre Gewerkschaft NGG vertritt auch viele Beschäftigte im Niedriglohnbereich. Inwiefern werden dort Arbeitszeitregelungen überhaupt eingehalten?Olaf Klenke: In den Branchen, wo es kaum Betriebsräte gibt, haben wir totalen Wildwuchs. Gerade in Ostdeutschland. Da findet das bisherige Arbeitszeitgesetz gar keine Anwendung. Nehmen wir mal das Beispiel Gastronomie: Da sind 13-Stunden-Dienste nichts Ungewöhnliches, die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden oder ausreichend Pausen sind nicht die Regel. Manche Azubis sind unterhalb der Woche in der Schule – und schuften dann noch beide Tage am Wochenende.Wie ist das in der Industrie?Dort sind die Betriebsräte in der Regel besser vertreten, aber auch hier gibt es Fälle, wo es keine Vertretungen gibt – oder wo diese ihr Mandat nicht konsequent wahrnehmen. Im Arbeitszeitgesetz findet sich zudem bereits jetzt für bestimmte Branchen die Möglichkeit von Sonderregelungen.Ein Kollege sagte uns, dass die Beschäftigten Angst haben, nach der Nachtschicht übermüdet heimzufahren Beispielsweise bei der Firma Sachsenmilch, wo wir als Gewerkschaft nicht so stark sind und der Betriebsrat eher zurückhaltend agiert. Dort gab es vergangenes Jahr 12-Stunden-Schichten, auch am Wochenende. Ein Kollege sagte uns, dass die Beschäftigten Angst haben, nach der Nachtschicht übermüdet heimzufahren. Seitens des Arbeitgebers gibt es aber Druck, dass die Maschinen ausgelastet sind.Bekommt Ihre Gewerkschaft von Überstunden mit?Überstunden werden zahlreich gemacht und sind oft unbezahlt – in der Gastronomie teils schwarz. Anderswo wird ausgestempelt, dann aber noch zwei Stunden weitergearbeitet.Was sind die Folgen dieses Arbeitsregimes?Das Familienleben bleibt auf der Strecke. Viele werden depressiv. Sie vereinsamen, können nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Manche werden nicht mehr zu Geburtstagen eingeladen, weil sie ständig absagen müssen. Das macht was mit den Leuten. Und da haben wir noch gar nicht über die körperlichen Beschwerden gesprochen, die Menschen bekommen, die länger im Schichtdienst arbeiten.Manche werden nicht mehr zu Geburtstagen eingeladen, weil sie ständig absagen müssenIrgendwann geht es nicht mehr, die Leute sind ausgelaugt. Wenn sie nicht mehr durchhalten, werden sie vom Betrieb ausgespuckt. Dann bekommen sie vielleicht noch eine Erwerbsminderungsrente mit Abschlägen und interessieren keinen mehr.Was berichten die Beschäftigten konkret?„Ich brauche Entlastung, sonst schaffe ich es nicht bis zur Rente.“ „Ich will meine Enkelkinder sehen.“ „Ich will zum Sportverein.“ Das sind keine Luxuswünsche, sondern Ansprüche an ein ganz normales Leben. Alle, die jetzt fordern, dass das Arbeitszeitgesetz stärker flexibilisiert wird, haben noch nie in einem körperlich anstrengenden Job gearbeitet. Statt einer weiteren Aushöhlung müsste es doch viel mehr darum gehen, dass die geltenden Arbeitszeitregelungen überhaupt richtig angewandt werden und für alle gelten.Wenn es doch zu einer weiteren Flexibilisierung kommt: Was wären die Folgen?Die Politik würde damit Beschäftigte in eine schlechtere Position bringen. Die Arbeitgeber hätten noch mehr Möglichkeiten, sie zu bestimmten Tagesdiensten einzuteilen und die Tage innerhalb der Woche zu bestimmen. Mitarbeiter*innen wären dadurch noch mehr flexible Verfügungsmasse, ihre Selbstbestimmung würde weiter zurückgehen. In den Betrieben, wo es starke Betriebsräte, Gewerkschaftsgruppen und Tarifverträge gibt, werden die Unternehmensleitungen wiederum Morgenluft wittern.Inwiefern?Wir erleben noch keinen Generalangriff. Es gibt bei uns aber ein paar Betriebe, wo vor ein paar Jahren aus verschiedenen Gründen individuell oder kollektiv die Arbeitszeit verkürzt wurde. Da gibt es schon jetzt hier und da Versuche, das wieder zurückzudrehen.Beispielsweise die Firma Kühne in Berlin: Im Rahmen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatte die Belegschaft neue Arbeitsverträge mit kürzeren Arbeitszeiten akzeptiert. Das war auch eine Form kollektiver Arbeitszeitverkürzung, aber mit Lohnverlust. Die zusätzliche freie Zeit schätzen viele Kolleg*innen mittlerweile sehr. Nun hat der Arbeitgeber in der aktuellen Tarifrunde die Forderung gestellt, die Arbeitszeit zu verlängern – die Leute sagen aber: Nee, wir wollen nicht länger knüppeln, wir wollen unsere Freizeit behalten.Arbeitszeit als Teil einer Auseinandersetzung.Ja. Und die Bedingungen haben sich dabei geändert. Aktuell gibt es immer weniger Arbeitskräfte, die zur Verfügung stehen. Der Druck auf die einzelnen, immer mehr leisten zu müssen, ist deswegen groß – und wächst. Übrigens führt das auch dazu, dass es in vielen Betrieben den Druck gibt, die Mehrarbeit nur in Geld kompensiert zu bekommen, nicht in Zeit – wenn sie überhaupt ausgeglichen wird.Stichwort veränderte Bedingungen: Warum verfolgt die aktuelle Bundesregierung so vehement das Ziel, das Arbeitszeitgesetz zu flexibilisieren?Die Diskussion nach mehr Arbeitszeit wabert schon seit den letzten zwei Regierungszeiten herum, aber da konnten entsprechende Forderungen noch verhindert werden. Jetzt haben wir eine wirtschaftliche Stagnation, verschiedenste Krisenverwerfungen und in der Regierung einen Rechtsruck unter Kanzler Merz.Die Arbeitgeberverbände und Wirtschaftslobbyisten treten unter diesen Bedingungen frecher aufDie Arbeitgeberverbände und Wirtschaftslobbyisten treten unter diesen Bedingungen frecher auf. Sie wollen ihren Profit maximieren und ihre Kapitalinteressen sichern – dafür sind sie bereit, Rückschritte bei der Arbeitszeit zu organisieren. Das ist der gleiche Hintergrund wie bei den Forderungen nach der Abschaffung von Feiertagen, einer eingeschränkten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder einer Erhöhung des Renteneintrittsalters.Was kann man dagegen machen?Es braucht vor allem starke Betriebsräte und Gewerkschaften – selbst bei einer Verschlechterung der Gesetze können sie noch gute Arbeitsbedingungen gewährleisten. Wir erleben immer wieder: Dort, wo kämpferische Auseinandersetzungen geführt werden, haben wir auch einen großen Rückhalt.Politisch bräuchte es zudem eine übergreifende Kampagne gegen die weitere Ausdehnung der Arbeitszeit und zum Schutz der menschlichen Arbeitskraft. Egal in welchem Bereich die Angriffe erfolgen – hier wären klare Protestansagen wichtig, und die Bereitschaft, diese Versuche zu verhindern.Was wäre eine positive Perspektive?Perspektivisch braucht es eine Umverteilung: Wer will, kann reduzieren – wer mehr arbeiten will, bekommt die Bedingungen dazu, zum Beispiel durch bessere Kinderbetreuung. In Betrieben müsste das Ziel sein, dass Beschäftigte selbstbestimmt über ihre Arbeitszeit verfügen können – oft sind die Bedürfnisse ja abhängig von bestimmten Lebensphasen. Davon sind wir aber aktuell weit entfernt. Im Moment geht es darum, bestehende Errungenschaften zu verteidigen.

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Von Veritatis

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