Laut einem Bericht profitieren Unternehmen weltweit vom Gazakrieg. Die UN-Sonderberichterstatterin für Palästina, Francesca Albanese, fordert Anklagen gegen Mitwirkende. Auch ein bekannter deutscher Konzern gerät unerwartet in den Fokus


Protest gegen Waffenlieferungen an Israel mit einer Nachbildung einer 2.000-Pfund-Bombe vor dem Parlament in London

Foto: Leon Neal/Getty Images


Die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten hat Sanktionen und ein Waffenembargo gegen Israel gefordert – sowie die strafrechtliche Verantwortung globaler Konzerne, die laut ihr „vom Völkermord in Gaza profitieren“.

Ein Bericht von Francesca Albanese an den UN-Menschenrechtsrat verweist auf die weitreichende Verstrickung von Unternehmen aus aller Welt in den mittlerweile 21 Monate andauernden israelischen Angriff auf Gaza. „Während das Leben im Gazastreifen ausgelöscht wird und die Angriffe auf das Westjordanland eskalieren, zeigt dieser Bericht, warum Israels Völkermord weitergeht: weil er für viele lukrativ ist“, heißt es in dem Bericht.

Sonderberichterstatter sind unabh

28;hrend das Leben im Gazastreifen ausgelöscht wird und die Angriffe auf das Westjordanland eskalieren, zeigt dieser Bericht, warum Israels Völkermord weitergeht: weil er für viele lukrativ ist“, heißt es in dem Bericht.Sonderberichterstatter sind unabhängige Menschenrechtsexperten, die beauftragt sind, zu bestimmten Situationen zu beraten oder zu berichten. Albanese, eine italienische Völkerrechtlerin, ist seit 2022 UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete. Im Januar 2024 bezeichnete sie die israelische Offensive in Gaza erstmals als „Völkermord“.Francesca Albanese: „Nach fünf Monaten war mir klar, dass es sich um Völkermord handelt“Der Internationale Gerichtshof (IGH) prüft derzeit den Vorwurf des Völkermords gegen Israel. Francesca Albanese argumentiert, die Beweislage sei erdrückend. Sie verweist darauf, dass das Gericht bereits im vergangenen Jahr vorläufige Maßnahmen erlassen habe, mit denen es die Möglichkeit eines Völkermords in Gaza anerkannte – und damit eine universelle Pflicht auslöste, diesen zu verhindern. Israel hat die Aufforderungen des IGH, Maßnahmen zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung zu ergreifen, jedoch weitgehend ignoriert und die Zuständigkeit des Gerichts bestritten.Albanese betont, es gebe keinen Grund, auf ein Urteil des IGH zu warten. Die Verzögerung sei allein der langen Warteliste an Verfahren geschuldet, die das Gericht derzeit bearbeiten müsse. „Ich habe die Lage 630 Tage lang Tag für Tag untersucht – und offen gesagt, nach fünf Monaten war mir klar, dass es sich um Völkermord handelt. Man braucht keinen Wissenschaftler, um festzustellen, was Völkermord ist. Man muss nur die Punkte miteinander verbinden“, so Albanese. „Israel hat Handlungen begangen, die als völkermörderisch gelten – etwa die Tötung von fast 60.000 Menschen, vermutlich sogar mehr; die Schaffung von Lebensbedingungen, die auf Zerstörung abzielen; die Zerstörung von 80 Prozent der Wohnhäuser, kein Wasser, keine Nahrung.“Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza wurden durch Israels Offensive, die im Oktober 2023 nach einem Hamas-Angriff mit 1.200 israelischen Todesopfern begann, mehr als 56.000 Palästinenser getötet. Viele Experten gehen von einer deutlich höheren tatsächlichen Opferzahl aus, da Tausende Menschen vermisst und unter den Trümmern vermutet werden.8.000 Kilogramm Bombenladung: Israel war das erste Land, das den F-35 im „Beast Mode“ einsetzte!Der Bericht der Sonderberichterstatterin trägt den Titel From economy of occupation to economy of genocide und untersucht die internationale Beteiligung von Unternehmen – darunter Waffenlieferanten und Hersteller schwerer Maschinen, die zum Abriss palästinensischer Viertel in Gaza und im Westjordanland eingesetzt werden, Agrarfirmen, die Produkte aus illegalen Siedlungen verkaufen, sowie Investmentfirmen, die die Kriegsführung finanziell unterstützen.„Während politische Führungen und Regierungen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, haben viel zu viele Unternehmen von Israels illegaler Besatzung, der Apartheid und nun auch des Völkermords profitiert“, heißt es in dem Bericht. „Die in diesem Bericht aufgedeckte Komplizenschaft ist nur die Spitze des Eisbergs. Ein Ende dieser Zustände wird es nicht geben, solange der Privatsektor – einschließlich seiner Führungskräfte – nicht zur Rechenschaft gezogen wird.“Der Bericht verweist darauf, dass das israelische Militär vom „größten Beschaffungsprogramm für Rüstungsgüter aller Zeiten“ profitiert habe: dem F-35-Kampfjet, produziert vom Flugzeughersteller Lockheed Martin mit der Beteiligung von über 1.600 weiteren Herstellern und acht Staaten. Israel war demnach das erste Land, das das Flugzeug im sogenannten „Beast Mode“ einsetzte – mit bis zu 8.000 Kilogramm Bombenladung.Am Montag entschied das höchste britische Gericht, dass der Export von Bauteilen für die F-35 an Israel rechtmäßig sei. Zwar könnten die britischen Komponenten laut Gericht bei der „Begehung schwerwiegender Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht im Gaza-Konflikt“ zum Einsatz kommen, dennoch solle die Justiz sich nicht in eine „sensible politische Angelegenheit“ einmischen, die besser bei Regierung und Parlament aufgehoben sei.So rechtfertigt sich der Flugzeughersteller Lockheed MartinEin Sprecher von Lockheed Martin erklärt: „Ausländische Rüstungsgeschäfte sind Vereinbarungen zwischen Regierungen. Fragen zu diesen Verkäufen sind an die US-Regierung zu richten.“ Die Trump-Regierung hatte Israels Vorgehen in Gaza nachdrücklich unterstützt. Auf seiner Website schreibt Lockheed Martin, man sei „stolz auf die bedeutende Rolle, die das Unternehmen für die Sicherheit des Staates Israel erfüllt“.Die US-Technologiefirma Palantir wird in Albaneses Bericht besonders deutlich kritisiert – wegen ihrer engen Partnerschaft mit den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF). Palantir hatte eine strategische Kooperation zur Unterstützung von „kriegsspezifischen Missionen“ mit der Armee vereinbart. Das Unternehmen, dessen Software automatisierte Entscheidungen auf dem Schlachtfeld ermöglicht, weist jedoch jede Beteiligung an den IDF-Programmen „Lavender“ oder „Gospel“ zur Zielerfassung in Gaza zurück.Auf eine aktuelle Anfrage reagierte Palantir nicht. Auf frühere Vorwürfe hatte das Unternehmen erklärt: „Wir haben keine Verbindung zu diesen Programmen oder ihrem Einsatz, sind aber stolz darauf, israelische Verteidigungs- und Sicherheitsmissionen in anderen Programmen und Kontexten zu unterstützen.“ Man setze verschiedene Verfahren ein, um „Menschenrechtsrisiken in unserer Arbeit zu minimieren“.Placeholder image-1Auch Hersteller von schweren Maschinen wie Volvo werden im Bericht kritisiert. Sie sollen Baugeräte geliefert haben, die beim massenhaften Abriss von Häusern, Moscheen und Infrastruktur in Gaza und im Westjordanland zum Einsatz kamen.„Diese Firmen beliefern den israelischen Markt weiterhin, obwohl es zahlreiche Belege für den völkerrechtswidrigen Einsatz ihrer Maschinen gibt – und obwohl Menschenrechtsorganisationen wiederholt zum Abbruch dieser Geschäftsbeziehungen aufgerufen haben“, heißt es in dem Bericht. „Aus passiven Lieferanten werden so aktive Unterstützer eines Systems der Vertreibung.“Volvo erklärt, ein Großteil der eingesetzten Maschinen stamme vom Gebrauchtmarkt, auf den das Unternehmen keinen Einfluss habe. Das in Schweden ansässige Unternehmen hat jedoch eine Vereinbarung mit der israelischen Firma Merkavim zur Montage von Bussen auf Volvo-Fahrgestellen. Ein Volvo-Sprecher sagt, der Vertrag enthalte die Verpflichtung, dass „Merkavim alle geltenden Gesetze und Vorschriften sowie den Verhaltenskodex für Lieferanten der Volvo Group einhalten muss – einschließlich spezieller Vorgaben zum Schutz der Menschenrechte.“Albanese verweist auf ein IGH-Gutachten aus dem vergangenen Jahr, das die fortdauernde israelische Präsenz in den besetzten Gebieten als völkerrechtswidrig einstufte – und darauf, dass Merkavim auf einer UN-Datenbank jener Unternehmen gelistet ist, die in der Westbank tätig sind. „Die Sorgfaltspflicht, die Volvo hier hat, bedeutet, dass es die Partnerschaft mit Merkavim – und allgemein mit auf dieser Liste stehenden Unternehmen sowie mit Israel – unverzüglich beenden muss“, so Albanese.Auch der Finanzsektor hält den Krieg am LaufenDer Bericht hebt außerdem hervor, dass Israel den Krieg und die damit verbundenen Haushaltsdefizite durch den Verkauf von Staatsanleihen mitfinanziert habe. Der internationale Finanzsektor habe durch deren Kauf dazu beigetragen, den Krieg am Laufen zu halten. „Einige der größten Banken der Welt – darunter BNP Paribas und Barclays – haben das Marktvertrauen gestärkt, indem sie diese internationalen und nationalen Anleihen garantiert haben. So konnte Israel trotz Herabstufung seiner Bonität die Zinsaufschläge eindämmen“, heißt es.Als große Käufer israelischer Staatsanleihen werden unter anderem die Vermögensverwalter Pimco (im Besitz des deutschen Allianz-Konzerns) und Vanguard genannt.Pimco äußerte sich nicht. Ein Sprecher von Vanguard erklärt, das Unternehmen habe „strenge Richtlinien und Verfahren zur Einhaltung aller geltenden Gesetze, Vorschriften und Sanktionen in den verschiedenen Ländern, in denen wir tätig sind.“ Dazu gehöre auch, sich an Gesetze zu halten, „die spezifische Investitionsbeschränkungen für Unternehmen vorschreiben, die wegen Menschenrechtsverletzungen sanktioniert sind“.Welche Rolle spielt ThyssenKrupp?Auch Norwegens staatlicher Pensionsfonds GPFG – der größte Staatsfonds der Welt – wird im Bericht erwähnt: Seit Oktober 2023 habe er seine Investitionen in israelische Unternehmen um 32 Prozent gesteigert. Am Montag erklärte Norwegens größter privater Pensionsfonds, KLP, man werde künftig keine Geschäfte mehr mit zwei Firmen tätigen – der US-amerikanischen Oshkosh Corporation und dem deutschen Rüstungskonzern ThyssenKrupp –, da beide Ausrüstung an das israelische Militär lieferten, die in Gaza zum Einsatz kommen könnte. Beide Unternehmen werden im UN-Bericht jedoch nicht namentlich genannt.Oshkosh reagierte nicht auf eine Anfrage. Ein Sprecher von ThyssenKrupp sagt, das Unternehmen tätige Lieferungen „ausschließlich auf Grundlage rechtmäßiger Genehmigungen und in strikter Übereinstimmung mit den außen- und sicherheitspolitischen Vorgaben der Bundesrepublik Deutschland“. Die Bundesregierung sei von Beginn an in die Verfahren eingebunden, mit Voranfragen vor jedem Projektstart.Ein Sprecher des GPFG erklärt: „Der Marktwert unserer Investitionen in Israel ist gestiegen – aber nicht, weil wir unsere Beteiligungen erhöht haben, sondern aufgrund der erzielten Renditen.“ Die Investitionen würden von einem Ethikrat des norwegischen Finanzministeriums überwacht. Einige Unternehmen seien wegen „schwerwiegender Verstöße“ bereits ausgeschlossen worden. „Als verantwortungsbewusster Investor beobachten wir unsere Beteiligungen genau und erwarten von den Unternehmen, dass sie in Situationen von Krieg und Konflikten erhöhte Sorgfaltspflichten anwenden“, so der Sprecher.Können die Unternehmen strafrechtlich verfolgt werden?In ihrem Bericht verweist Albanese auf Präzedenzfälle für die strafrechtliche Verantwortung von Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen – etwa auf die Verurteilung führender deutscher Industrieller im sogenannten IG-Farben-Prozess vor dem Nürnberger Tribunal nach dem Zweiten Weltkrieg.Ein weiteres Beispiel sei die Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrikas, die Unternehmen zur Verantwortung zog, die in das Apartheid-System verstrickt waren. Die UN selbst hatte bereits 2011 Leitlinien für Unternehmen und Menschenrechte veröffentlicht. Darin wird von Unternehmen verlangt, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einzuhalten und schädliche Auswirkungen ihres Handelns zu beheben.In ihren Empfehlungen fordert Albanese Sanktionen und ein Waffenembargo gegen Israel. Zudem ruft sie den Internationalen Strafgerichtshof sowie nationale Justizbehörden auf, „Unternehmensführer und/oder Unternehmen strafrechtlich zu verfolgen – wegen ihrer Mitwirkung an internationalen Verbrechen und der Geldwäsche von Erträgen aus diesen Verbrechen“.

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Von Veritatis

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