Erst setzt Donald Trump die Waffenexporte an Kiew aus, dann rudert er kurz darauf zurück. Was treibt den US-Präsidenten an? Viel spricht dafür, dass sein Handeln von zwei zentralen Motiven geleitet wird. Welche sind das?
Wird US-Präsident Donald Trump die Ukrainer weiter gegen Russland aufrüsten – oder nicht?
Illustration: der Freitag
War’s das? Seit der russischen Invasion in der Ukraine Anfang 2022 hatten die USA der Ukraine Waffen im Wert von nahezu 67 Milliarden Dollar bereitgestellt. Ein Großteil dieser Hilfe bestand aus Militärgerät und Munition, die aus US-Beständen geliefert wurden. Offenkundig hat die Trump-Administration entschieden, die Waffenlieferungen „auszusetzen“, auch wenn sich Trump beim Besuch des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu selbst korrigierte und davon sprach, nun doch „Verteidigungswaffen“ liefern zu wollen.
„Wir werden noch weitere Waffen schicken“, sagte der US-Präsident. „Wir müssen, sie müssen in der Lage sein, sich zu verteidigen. Sie werden sehr schwer getroffen.“ Die Ankündigung de
fen schicken“, sagte der US-Präsident. „Wir müssen, sie müssen in der Lage sein, sich zu verteidigen. Sie werden sehr schwer getroffen.“ Die Ankündigung des Lieferstopps hatte zuvor in Kiew und bei den westlichen Verbündeten Entsetzen ausgelöst – zumal in einer Lage, in der Russland seine Angriffe massiv verstärkt und an der Front schrittweise vorrückt. Fest steht immerhin eines: Im Sommer werden die von Trumps Vorgänger Joe Biden genehmigten Lieferungen auslaufen. Trump hat bisher keine zusätzlichen Unterstützungspakete im Kongress eingebracht – und dann diese sprunghafte, undurchsichtige Entscheidung zum Stopp getroffen. Was trieb den 79-Jährigen dazu?Erster Grund für den Waffenstopp: die „America First“-Politik von Donald TrumpUrsprünglich sollten dem ukrainischen Militär noch bis ins kommende Jahr Luftverteidigungsraketen, Raketen, Artilleriemunition und andere militärische Unterstützung in großem Umfang geliefert werden. Davon ist nun keine Rede mehr. Es ist die zweite „Pause“ seit Präsident Trumps Amtsantritt im Januar 2025. Bereits im März, nach dem denkwürdigen Treffen zwischen den Präsidenten Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj im Oval Office, setzte das Weiße Haus kurzzeitig die gesamte Militärhilfe für die Ukraine aus.Die meisten Militärexperten erwarteten damals, dass die Ukraine den Kampf ohne amerikanische Waffen und den damit verbundenen Geheimdienstinformationen zur Zielerfassung lediglich weitere vier bis sechs Monate durchhalten könne. Die Trump-Regierung hob die Pause nach etwa einer Woche auf, die Waffenlieferungen wurden wieder aufgenommen. In dieser Phase versuchte der US-Präsident, bisher ohne Erfolg, Verhandlungen aufs Gleis zu setzen. So gab es zahlreiche Telefonate zwischen Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und direkte Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Auch wenn die Halbwertszeit der Trump-Entscheidungen üblicherweise begrenzt ist und die Lage sich schon morgen wieder ändern kann: Einiges spricht dafür, dass Trump aus zwei Gründen den erneuten Lieferstopp an Kiew beschlossen hat.Der erste Grund ist die America-First-Agenda. Ziel ist es, sicherzustellen, dass die USA bei der Bereitstellung von Hilfen für andere Länder „sich selbst nicht benachteiligen“, erklärte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Sean Parnell, bei einem Briefing im Pentagon. Es sei Aufgabe des Verteidigungsministeriums, die Agenda des Präsidenten zu verfolgen und weltweit Frieden durch Stärke zu sichern. Da mag es auch eine Rolle spielen, dass durch die massive Unterstützung Israels und den US-Kriegseintritt im Nahen Osten und womöglich eines Tages im indopazifischen Raum bei anhaltend hohen Lieferungen an die Ukraine amerikanische Bestände knapp werden und man die eigene militärische Handlungsfähigkeit maximal erhalten will.Zweiter Grund für den Waffenstopp: Donald Trump folgt nicht der europäisch-ukrainischen Lesart des KriegesWichtiger scheint aber zweitens, dass Trump es ernst meint mit seinem Kurswechsel in der Ukrainefrage. Offenkundig folgt er nicht der europäisch-ukrainischen Lesart, nach der mit Russland kein Interessenausgleich und auch keine Verhandlungen möglich sind, sondern vielmehr Kiew dauerhaft in eine Lage versetzt werden müsse, der russischen Aggression zu widerstehen und dies nur durch eigene Stärke und die Schwächung Russlands zu erreichen sei. Sichtbar ist, dass Trump darüber frustriert ist, dass es bisher zu keiner schnellen Einigung mit Russland gekommen ist, für die er neben dem Verzicht der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft auch territoriale Veränderungen in der Ukraine und die Aufhebung der Sanktionen für erforderlich hält.In allen drei Punkten gibt es bisher keine sichtbare Bewegung bei den europäischen Ukraine-Unterstützern und wohl auch nicht bei Selenskyj. Was die NATO-Mitgliedschaft betrifft, hat zwar der Gipfel in Den Haag vergangene Woche auf amerikanischen Druck in seinem Abschlusskommuniqué die sonst üblichen Beitrittszusagen nicht wiederholt. In aktuellen Selbstdarstellungen der Allianz heißt es aber unverändert: „Die Zukunft der Ukraine liegt in der NATO.“Gleiches ließe sich für die Frage von territorialen Veränderungen zeigen, die in der derzeitigen ukrainischen Regierung als nicht verhandelbar dargestellt werden. Insgesamt entsteht der Eindruck, man traue sich zu, Trump auszusitzen und auf künftige Veränderungen der US-Linie zu setzen – sei es aufgrund von Druck im Kongress oder mit einem Neuen im Weißen Haus. Der Abnutzungskrieg, der jederzeit in eine direkte Konfrontation zwischen Russland und dem Westen eskalieren könnte, müsse dann weitergehen. So kritisierte etwa der ehemalige Sicherheitsberater von Biden, Jake Sullivan, die Entscheidung Trumps als „zynisches Spiel mit der Ukraine“. Trump habe versucht, die Debatte als eine Wahl zwischen Frieden und endlosem Kampf darzustellen. In Wirklichkeit bestehe die Wahl zwischen einem „echten Frieden“, der durch wirksame Verhandlungen und Unterstützung der Ukraine erreicht wird, und einem „falschen Frieden“, der durch eine Kapitulation vor Russland zustande käme.Russland in die Knie zwingen? Daran glaubt in Washington kaum noch jemandDamit ist die Interpretation naheliegend, dass mit den erratischen Entscheidungen Trumps Druck aufgebaut werden und die Ukraine zum Einlenken bewegt werden soll. Das heißt zugleich, dass in Washington kaum noch jemand an entscheidender Stelle erwartet, Russland zu vertretbaren Kosten und Risiken in die Knie zwingen zu können. Ob dies angesichts der störrischen Linie der Europäer aufgeht, ist fraglich.Die Bundesregierung erwägt inzwischen, Waffen in den USA zu kaufen und diese dann direkt an die Ukraine weiterzugeben. Auch entstehen derzeit eine Reihe westlicher Joint Ventures mit der Ukraine, um die Produktionskapazitäten vor Ort deutlich zu erhöhen. Zudem hat die Ukraine bereits in den vergangenen Monaten mit westlicher finanzieller Hilfe ihre Produktionskapazitäten ausgebaut. Allerdings ist nicht bekannt, wie viele davon Ziel russischer Luftangriffe geworden sind. Damit liegen die Zutaten für ein diplomatisches Endspiel nunmehr deutlich auf dem Tisch: Denjenigen, die Kompromisse als Diktatfrieden framen und Durchhalteparolen verbreiten, stehen nüchterne Strategen gegenüber, die eine realpolitische Frontbegradigung als die bessere Alternative zu einem dauerhaften Abnutzungskrieg verstehen.Letztere wollen zu einem Modus Vivendi mit Russland kommen, bei dem die Ukraine nicht vollständig unter die Räder kommt, aber doch von ihren völkerrechtlich wie politisch legitimen Positionen abrücken muss. Das Gewürge um den Stopp der US-Waffenlieferungen wäre dann der zweite Akt im Versuch, den ukrainischen Präsidenten und seine europäischen Unterstützer zu einer wirklichen Verhaltensänderung zu bewegen. Die Prämisse ist, dass ein Arrangement mit Russland möglich ist. War’s das also? Ausgang ungewiss.