Nach der Weltklimakonferenz in Baku fand eine weitere UN-Konferenz statt, die unser Plastikproblem lösen wollte. Der Historiker Roman Köster erklärt, warum sie scheiterte und wer ein Interesse an diesem Scheitern hatte


Ezedin Muste lebt im äthiopischen Addis Abeba und will Müll, wie diese Seifenkanister, einer Wiederverwendung zuzuführen

Foto: Michele Spatari/AFP/Getty Images


Nur wenige Tage nach dem Ende der enttäuschenden Weltklimakonferenz in Baku traf sich die UN-Staatengemeinschaft erneut, um über die Umwelt zu debattieren. Diesmal stand eine Vereinbarung zur globalen Reduktion der Plastikproduktion auf der Agenda. Ergebnis: kein Ergebnis. So bald wird sich also nichts daran ändern: Wo Menschen sind, hinterlassen sie Müll.

Schon die Neandertaler haben Gegenstände weggeworfen. Aber erst als die Menschen sesshaft werden, wird Müll zum handfesten Problem: er stinkt, verstopft die Straßen und trägt zur Ausbreitung von Krankheiten bei. 1895 wird, nach einer verheerenden Cholera-Epidemie, in Hamburg die erste Müllverbrennungsanlage Deutschlands eröffnet. Zur gemeinsamen Geschichte von Mensch und Müll forscht

n Hamburg die erste Müllverbrennungsanlage Deutschlands eröffnet. Zur gemeinsamen Geschichte von Mensch und Müll forscht der Historiker Roman Köster. Mit dem Freitag sprach er darüber, ob je ein Ende der Plastikflut abzusehen ist – und wer ein Interesse daran hat, dies zu verhindern.der Freitag: Herr Köster, Müll stinkt und die meisten Menschen wollen nichts mit ihm zu tun haben. Warum haben Sie ein ganzes Buch darüber geschrieben?Roman Köster: Ich bin mehr oder weniger zufällig in einem Forschungsprojekt gelandet, das die Müllproduktion von Deutschland und Großbritannien vergleicht, seitdem hat das Thema Müll mich nicht mehr losgelassen. Über Müll wird im Vergleich zur Klimakrise wenig gesprochen, aber er ist eines der großen Umweltprobleme unserer Zeit. Als Wirtschaftshistoriker interessiert mich: Wie haben sich die gesellschaftlichen Vorstellungen darüber gewandelt, was Müll ist und was noch verwertbar?Was sind denn die Unterschiede zwischen deutschem und britischem Müll?Am Ende haben wir gar keine großen Unterschiede entdeckt. Die großen Müllmengen, die wir heute haben, hängen ganz allgemein mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise zusammen, und die unterscheidet sich zwischen den großen Industrienationen nicht so stark.Wie viel Plastikmüll produzieren wir alle zusammen global? Können Sie das mal beziffern?Plastik gibt es ja noch gar nicht so lange – erst seit der Zwischenkriegszeit. Aber seitdem nimmt die Produktion stetig zu und damit auch der Plastikmüll. Heute produzieren wir jeden Tag Plastikmüll mit dem Gewicht von hundert Eiffeltürmen. Ein Großteil dieses Plastiks wird als Verpackung verwendet und dann nach einmaliger Nutzung weggeschmissen.Was passiert mit dem Plastikmüll, nachdem er in der Tonne gelandet ist?Es gibt im Wesentlichen drei Möglichkeiten: Recyceln, Verbrennen und Deponieren. Das Problem beim Recycling ist, dass viele der üblichen Plastikvarianten sich nur sehr schwer wiederverwerten lassen. Eine handelsübliche Käseverpackung besteht aus fünf bis sieben Schichten aus unterschiedlichen Plastikzusammensetzungen, die übereinander geklebt sind. Insgesamt wurden bisher weltweit weniger als zehn Prozent des produzierten Plastiks recycelt. Beim Verbrennen von Plastikmüll entsteht zumindest noch Wärme und Energie, aber auch CO₂. Am ungünstigsten ist aber das Deponieren: dabei können umweltschädliche Chemikalien in den Boden sickern und es entsteht das extrem klimaschädliche Methan.Coca-Cola würde aber sagen: Wir produzieren keinen Müll, wir produzieren ColaIn Südkorea ist zuletzt die UN-Konferenz an der Frage gescheitert, ob die Plastikmüllproduktion eingeschränkt oder lediglich die Müllsammelsysteme verbessert werden sollen. Wer hat Ihrer Einschätzung nach ein Interesse daran, weiterhin im großen Stil Müll zu produzieren?Man könnte es sich jetzt leicht machen und sagen, die großen Konzerne und die ölfördernden Staaten sind schuld. Und es stimmt, dass sich ein Großteil des Plastikmülls in den Weltmeeren auf ein paar wenige Großkonzerne zurückführen lässt. Coca-Cola würde aber sagen: Wir produzieren keinen Müll, wir produzieren Cola. Zu Müll wird die Colaflasche erst, nachdem jemand sie ausgetrunken hat. Und gerade die Konsumenten – also wir – sind es, die von Plastik profitieren. Es ermöglicht uns, sehr viele Dinge sehr bequem und sehr billig einzukaufen.Haben nicht auch die großen ölfördernden Staaten ein Interesse daran, dass weiter im großen Stil Plastik produziert wird?Sicher, aber das sollte man nicht überbewerten. 96 Prozent des geförderten Erdöls wird zu Benzin und Kerosin, nur vier Prozent gehen in die Kunststoffherstellung.Nächstes Jahr wollen die UN-Staaten sich wieder treffen, um über ein Plastikmüll-Abkommen zu verhandeln. Welche Hoffnung haben Sie, dass da ein sinnvolles Abkommen herauskommt?Ich bin sehr skeptisch, dass sich bei der Produktion von Plastik etwas ändern wird. Man bekommt Umweltabkommen generell leichter durchgebracht, wenn sie sich auf „end-of-pipe“-Technologien konzentrieren. In diesem Fall also darauf, dass die Müllsammlung und -verwertung verbessert wird. Aber die Produktion selbst einzuschränken, würde sowohl den Interessen der Konzerne, vieler Länder und nicht zuletzt denen der Konsumenten entgegenlaufen.Zumindest die Müllsammlung läuft in Deutschland gut, wir haben ein ausgefeiltes Mülltrennungssystem. Die Recyclingquote bei privaten Haushalten lag 2022 bei fast 68 Prozent. Macht uns das zu Musterschülern im Umgang mit dem Müll?Das kommt auf die Perspektive an. Die Müllsammlung in Deutschland ist im internationalen Vergleich schon sehr gut. Aber andererseits produzieren wir auch sehr viel Müll, und durch den Versandhandel steigen die Abfallmengen in Deutschland sogar wieder.Gleichzeitig schicken wir jedes Jahr Hunderttausende Tonnen Plastikmüll in südostasiatische Länder. Was bringt es, den Müll einmal um den Globus zu schippern? Ist das nicht verrückt?Da geht es wieder einmal ums Geld. Recycling ist in Südostasien viel billiger als in Deutschland. Und auch der Transport ist günstig, weil auf den Containerschiffen, die Güter aus Südostasien nach Europa verschiffen, auf der Rückfahrt viel Platz ist. Ökologisch ist das natürlich schwierig: Ob der verschiffte Müll in Südostasien tatsächlich recycelt wird oder einfach auf Mülldeponien oder direkt in der Natur landet, weiß niemand. Da liegt die Wahrheit wahrscheinlich in der Mitte.Sie schreiben in Ihrem Buch: „Gerade weil wir den Müll zwar selbst produzieren, aber nicht aus freien Stücken, legen Abfallströme offen, wie der Kapitalismus offensichtlich daran scheitert, die Produktion unseren Bedürfnissen anzupassen.“ Ist Müll denn wirklich vor allem ein Kapitalismusproblem?Historisch stimmt es natürlich, dass es gerade kapitalistische Gesellschaften sind, die für die steigenden Müllmengen verantwortlich sind. Das ist eines der Hauptargumente in meinem Buch: Müll ist nicht einfach eine Nebenfolge, sondern ein notwendiges Resultat unserer Wirtschaftsweise. Ich will den Kapitalismus aber nicht verteufeln, schließlich sind die Realpreise für Kleidung und Lebensmittel in den letzten Jahrzehnten stark gesunken, wovon alle profitieren. Ohne günstige Plastikverpackungen wäre das in dieser Form gar nicht möglich gewesen.Dass wir da eine technische Lösung finden, den Müll wieder aus den Meeren zu bekommen, bezweifle ichDie Kosten trägt dann die Umwelt. Können Sie sich einen Kapitalismus vorstellen, in dem das Müllproblem besiegt wurde?Ich fürchte, nein. Letztens wurden wir auf einer Konferenz gebeten, uns den Raum, in dem wir saßen, ohne Plastik vorzustellen. Dann säßen die meisten von uns nackt auf dem Boden, die Kleidung und Stühle wären weg, genauso die Laptops und die Fensterrahmen. Von einem plastik- und müllfreien Leben sind wir sehr weit weg. Wir werden in Zukunft sicherlich bessere Recyclingmethoden sehen, aber einen müllfreien Kapitalismus wage ich mir wirklich nicht vorzustellen.Selbst im Marianengraben findet sich inzwischen Plastikmüll. Gibt es Ideen, wie wir den Müll in den Meeren je loswerden können?Das wird schwierig. Der meiste Müll in den Meeren wird irgendwann von Bakterien befallen und zerbröselt zu Mikroplastik. Dass wir da eine technische Lösung finden, das Zeug wieder aus den Meeren zu bekommen, bezweifle ich.Das heißt, die Weltmeere werden bis ans Ende aller Zeiten eine Plastiksuppe sein? Keine schöne Vorstellung.Na ja, nichts bleibt für immer. Kunststoff bleibt einfach nur unglaublich lange. Aber auch das Mikroplastik im Meer wird irgendwann in seine Grundstoffe zerfallen, selbst wenn es Hunderte oder Tausende Jahre dauert. Sie und ich werden das nicht mehr erleben. Ich habe letztens gelesen, dass man, wenn die Menschheit über Nacht verschwände, schon in 500 Jahren auf der Oberfläche des Planeten keine Überreste unserer Existenz mehr finden würde. Im Grunde stiftet es doch Hoffnung, dass nichts, was wir auf dem Planeten anrichten, für immer ist.



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Von Veritatis

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