Die diesjährige Berlinale steht im Glanz ihres 75. Jubiläums und im Schatten des letztjährigen Skandals und der bevorstehenden Bundestagswahl


Festivalleiterin Tricia Tuttle

Foto: Maja Hitij/Getty Images


Die Berlinale-Plakate kommen in diesem Jahr mal ohne stilisierte Bären aus: Die Buchstaben glänzen in edler Blau-Schattierung, während sich im Hintergrund – Knallrot neben leuchtendem Pink – etwas beißt. Eine visuelle Parallele zum Zustand des Filmfestivals in diesem Jahr, könnte man meinen. Denn die 75. Berlinale hat ein Jubiläum zu feiern, mit Tricia Tuttle eine neue Intendantin, mit über 240 Filmen und zahlreichen Stars Glanzmomente zu bieten und soll zugleich den Eklat vom vergangenen Jahr überwinden.

Zur Erinnerung: Bei der damaligen Preisverleihung hatten viele der ausgezeichneten Filmschaffenden ihre Solidarität mit Palästina bekundet und die israelische Politik mitunter mit umstrittenen Worten („Genozid“, R

220;, „Apartheid“) kritisiert, während allein Mariette Rissenbeek, damalige Co-Leiterin des Festivals, einen Appell zur Freilassung der israelischen Geiseln anstimmte. Kurz darauf kritisierten der Berliner Bürgermeister Kai Wegner und weitere Politiker das sich schon immer als besonders politisch begreifende Festival dafür, dass es – so die verkürzende Unterstellung – Antisemitismus eine Bühne geboten habe.Die undankbare Aufgabe, die Wogen nach diesem Tumult zu glätten, liegt seit April vergangenen Jahres bei der neuen Festivalleiterin Tuttle. „Es war eine Herausforderung, seien wir ehrlich“, lautete ihre um Offenheit bemühte Antwort, als sie kürzlich auf der Programm-Pressekonferenz darauf angesprochen wurde. In einer gespaltenen Welt sei der Diskurs nicht immer freundlich und offen, führte die US-Amerikanerin aus. Dass die Berlinale solche Diskurse zumindest bei der Filmauswahl nicht scheut, soll wohl der Eröffnungsfilm verdeutlichen: In Tom Tykwers Das Licht lässt sich eine dysfunktionale Berliner Familie von einer syrischen Haushälterin unter die Arme greifen, die selbst dringend ihre Hilfe braucht.Filme für die BubbleOb Das Licht angesichts des von Migrationsdebatten dominierten Wahlkampfs passgenau gewählt ist oder sich lediglich um die Befindlichkeiten einer progressiven Berliner Bubble dreht, wird spannend. In jedem Fall beschert uns dieser Film einen weiteren Berlinale-Auftritt von Lars Eidinger – und er soll nicht der einzige Rückkehrer bleiben. In der Wettbewerbs-Sektion, die in diesem Jahr 19 Filme umfasst, ist wie im vergangenen Jahr der südkoreanische Regisseur Hong Sang-soo mit einem Titel (What Does that Nature Say to You) vertreten.Und auch der rumänische Filmemacher Radu Jude, der 2021 mit seiner Satire Bad Luck Banging or Loony Porn den Goldenen Bären gewann, nimmt mit seinem neuen Film Kontinental ’25 erneut am Wettbewerb teil. Der wohl anschlussfähigste Regisseur des diesjährigen Wettbewerbs ist Richard Linklater, der 1995 für seine Kult-Romanze Before Sunrise den Silbernen Bären erhielt und in diesem Jahr sein Biopic Blue Moon über den Broadway-Songschreiber Lorenz Hart präsentieren wird.Daneben ragen im diesjährigen Wettbewerbs-Programm einige Filme konzeptionell hervor: Da wäre Reflection in a Dead Diamond vom Regie-Duo Hélène Cattet und Bruno Forzani, in dem ein Ex-Spion sich an der Côte d’Azur zur Ruhe setzen will, aber seinen die Realität aufbrechenden Erinnerungen nicht entkommt. Ebenso surreal mutet The Ice Tower von Lucile Hadžihalilović an, über eine junge Ausreißerin, die in einem Filmstudio der dort gedrehten „Schneekönigin“ verfällt. Und auch der deutsche Wettbewerbs-Beitrag Was Marielle weiß von Frédéric Hambalek hat einen fantastischen Dreh: Die Eltern von Marielle entdecken nämlich, dass ihre Tochter sie mit ihren telepathischen Fähigkeiten vollends durchschaut.Mit Todd Haynes steht der Wettbewerbs-Jury eine Ikone des Independent-Films vor, der mit seiner Patricia-Highsmith-Adaption Carol und jüngst mit May December beeindruckte. Zum zweiten Mal findet sich in der Jury zudem Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader wieder. Überhaupt wird in diesem Jahr auf langjährige Berlinale-Loyale gesetzt: So erhält Tilda Swinton, die in ganzen 26 Filmen des Festivalprogramms mitgespielt hat, den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk. Neben ihr werden weitere Hollywood-Stars auf dem Roten Teppich erwartet: Robert Pattinson etwa, der die Hauptrolle in der lang erwarteten Sci-Fi-Komödie Mickey 17 des Parasite-Regisseurs Bong Joon-Ho spielt, und Timothée Chalamet, der in Like a Complete Unknown Bob Dylan mimt – beide Filme werden in der Sektion Special gezeigt.Bei allem Glanz, den die Berlinale mit diesen Teilen ihres Programms erreichen will, ist die Frage danach, inwiefern sie sich als politisches Filmfestival begreift, aktueller denn je. Mit Verweis darauf, die Berlinale sei vor allem ein „gesellschaftliches Festival“ und Politik „Teil ihrer DNA“, umschiffte Tricia Tuttle dieses lange bekundete Selbstverständnis etwas. Sieht man sich in den Sektionen um, lässt sich zwar kein dezidierter Fokus auf den einen bestimmten politischen Brandherd ausmachen, aber dennoch besondere Schlaglichter auf Bruchstellen der Gegenwart.Placeholder image-1So widmen sich gleich drei deutsche Filme dem Komplex von in Anschlägen resultierender Migrantenfeindlichkeit in Deutschland: Die Doku Die Möllner Briefe aus der Sektion Panorama zeichnet nach, wie einer der Überlebenden des Brandanschlags im schleswig-holsteinischen Mölln 30 Jahre später auf die ihm nie zugestellten Solidaritätsbekundungen stößt. Constanze Klaues Mit der Faust in die Welt schlagen ist eine Adaption von Lukas Rietzschels gleichnamigem Roman über die Radikalisierung ostdeutscher Jugendlicher und zugleich ein Beitrag in der von Tuttle neu geschaffenen Sektion Perspectives für wegweisende Spielfilmdebüts. Zudem setzt sich Marcin Wierzchowskis im Special laufende Doku Das Deutsche Volk mit dem rassistischen Attentat von Hanau auseinander.Mit unterschiedlichen Aspekten des Ukrainekriegs befassen sich drei Filme in der Sektion Forum (Time to the Target, When Lightning Flashes over the Sea, Special Operation), der Wettbewerbsfilm Timestamp sowie die amerikanische Produktion My Undesirable Friends: Part I – Last Air in Moscow in der Sektion Special – allesamt in dokumentarischer Form. Schließlich nimmt auch der Israel-Gaza-Krieg etwas Raum ein, mit Fokus auf die israelischen Geiseln: So begleitet Brandon Kramers Doku Holding Liat (Forum) die Familie der ehemaligen Hamas-Geisel Liat Atzili beim Kampf um ihre Freilassung. Diese ist glücklicherweise noch 2023 erfolgt – der ebenfalls entführte Schauspieler David Cunio, der 2013 auf der Berlinale im Film Youth zu sehen war, ist hingegen weiterhin in Gefangenschaft in Gaza. Dass Cunio auf der vergangenen Berlinale unerwähnt blieb, wurde zu Recht öffentlich kritisiert. Die nun im Special laufende Doku A Letter to David soll dieses Versäumnis nachholen – sie stammt von Regisseur Tom Shoval, der mit Cunio damals Youth gedreht hatte.Aber auch ohne die Schatten des Berlinale-Eklat vom vergangenen Jahr gilt für die Kuration im Jahr 2025, dass immer wieder Gegensätze überbrückt und ausgehalten werden müssen. So wird einerseits mit entsprechendem Selbstlob dem 75. Festival-Jubiläum Platz eingeräumt, andererseits wird der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau gedacht. Aus diesem Anlass wird Claude Lanzmanns Meilenstein der Holocaust-Aufarbeitung, sein neunstündiges Dokumentar-Monument Shoah wiederaufgeführt. Begleitend dazu wird die Doku All I Had Was Nothingness gezeigt, die sich mit zahlreichen Outtakes aus der Zeit seiner Recherche Lanzmanns Arbeitsweise widmet.Schon dieser kurze Ausschnitt aus dem Berlinale-Programms 2025 verdeutlicht die dichte Gemengelage an politischen Diskursen, durch die sich das Festival navigieren muss. Und dazu gesellt sich auch noch die weiter zunehmende Ungewissheit über die Zukunft. Das Verkümmern des Potsdamer Platzes als Festivalort – zuletzt zogen die Deutsche Kinemathek und das Arsenal-Kino weg – schreitet fort, ohne dass sich Ersatz abzeichnet. Zwar gab es zuletzt mit der unerwarteten zusätzlichen Förderung durch den Bund in Höhe von 1,9 Millionen Euro ein positives Zeichen. Doch über künftige Zuschüsse für ein Kulturgut wie die Berlinale wird wohl einen Tag nach der Preisverleihung am 23. Februar 2025 mitentschieden.



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Von Veritatis

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