In der Rechtsaußenpartei wollen immer mehr raus aus der Opposition und endlich regieren. Dafür muss die AfD sich entscheiden: Will sie sich mäßigen, so wie Meloni in Italien? Oder radikalisieren, wie Kickl von der FPÖ?


In der AfD gibt es Anhänger beider Strategien. Und Versuche eines dritten Weges

Foto Ronny Hartmann/AFP/Getty Images


Man kann die Ungeduld mancher Führungskräfte, Mitglieder und Anhänger der AfD zwölf Jahre nach der Gründung nachvollziehen. Die Partei gewinnt an Stimmen, sie gewinnt Landtagswahlen, sie schafft es sogar, dass die CDU ihre Vorschläge übernimmt und im Bundestag beschließt. Doch an die Macht lässt man sie nicht.

Die Mandate, die die Partei inzwischen in Landtagen und im Bund innehat, versorgen das rechtsradikale Projekt zwar bereits mit Redezeit und Geld. Doch die AfD darf bislang nicht mit in eine Regierung, sie darf nicht an die wirklich großen Fleischtöpfe heran. Zu rechts und radikal sei die Truppe um Weidel, Chrupalla und Höcke.

Viele Parteigänger finden, es sei Zeit für eine Regierungsbeteiligung. In den vergangenen zw

en vergangenen zwei Jahren haben sich für die AfD zwei Wege aufgetan, wie sie an die Macht kommen könnte.Fratelli d’Italia oder Freiheitliche: Zwei strategische ModelleDer eine liegt in Italien, wo die Postfaschistin Giorgia Meloni mit einer Politik der teilweisen Anpassung an das Establishment seit fast zweieinhalb Jahren regiert. Der andere Weg zur Macht zeichnete sich für einige Zeit in Österreich ab. Dort schien die FPÖ unter Herbert Kickl mit einer Strategie der größtmöglichen Kompromisslosigkeit nur noch einen Schritt vom Kanzleramt entfernt, auch wenn die Koalitionsgespräche mit der ÖVP am Ende scheiterten.Beide strategischen Perspektiven – Mäßigung wie Meloni, oder Radikalisierung wie Kickl – werden in der AfD diskutiert. Doch um zu verstehen, wie die Partei sich gerade strategisch ausrichtet, sind weniger die Stimmen der Führungsfiguren aufschlussreich. Dort gibt man sich gerade in Wahlkampfzeiten bedeckt. Interessanter ist ein Blick ins intellektuelle und publizistische Vorfeld der AfD: Hier wird Klartext gesprochen.Giorgia Meloni hat mit ihren Fratelli d‘Italia nicht nur eine bemerkenswert stabile Regierung zustande gebracht, sondern sogar einen Parteikollegen in die EU-Kommission gehievt. Der lange geltende „cordon sanitaire“, das Brüsseler Äquivalent zur Brandmauer, ist seit Ende November 2024 passé. Und schon rund um die Europawahl im Juni 2024 war eine deutliche Annäherung zwischen europäischen Konservativen und italienischen Rechtsradikalen erkennbar. Fotos, auf denen sich Meloni und Ursula von der Leyen vor gemeinsamen Lachen kaum noch halten konnten, illustrierten das Zusammenwachsen.Möglich wurde das durch Zugeständnisse Melonis auf mehreren entscheidenden Politikfeldern – allen voran der geopolitischen Ausrichtung. Gerade hier grenzten sich traditionell die meisten Rechtsaußen-Parteien in Europa von den gemäßigten Konservativen ab. Bisher galt im Regelfall: Rechtsaußen steht NATO, EU und Euro skeptisch bis ablehnend gegenüber.Meloni ist schon länger TransatlantikerinMeloni hingegen gilt als Transatlantikerin – ihre Beziehung zu den USA war eng, schon bevor Trump zum zweiten Mal Präsident wurde und sie Elon Musk in den Arm nahm. Entsprechend stellte sich Meloni vom Tag des Einmarsches Russlands in die Ukraine auf die Seite der Regierung Selenskyj. Auch aus der EU will sie nicht austreten. Die Forderung nach einem Ausstieg aus dem Euro verschwand schon 2018 still und heimlich aus dem Programm.Im Umfeld der AfD gibt es Stimmen, die einen solchen Kurs auch für die AfD explizit befürworten. Zum Beispiel Dieter Stein, Chefredakteur der Wochenzeitung Junge Freiheit. „Vollkommen unrealistisch“ nannte er nach dem Beginn des Ukrainekriegs alle Ideen, sich vom Westen abzukoppeln. Alternativen zur NATO halte er für„Schnapsideen“. Nach den verschiedenen Skandalen um den Europa-Abgeordneten Maximilian Krah, dem eine Nähe zu Russland und China nachgesagt wurde, gab Stein der kroatischen Zeitung Dnevnik ein Interview: „So kann die AfD nicht weitermachen, wenn sie sich als ernstzunehmende Kraft behaupten und einer Regierungsbeteiligung näherkommen will“, sagte er. Das zielte nicht auf Krahs SS-Verharmlosung, die Stein explizit verteidigte – es zielte auf seine vermeintliche Nähe zu Russland und China. Stattdessen lobt Stein immer wieder Meloni. Von ihrer Politik, schrieb er schon 2022, könnten sich „andere Rechtsparteien in Europa und Deutschland eine Scheibe abschneiden. Insbesondere zur NATO, EU und dem Ukraine-Krieg.“Erste Anzeichen, dass die AfD den Meloni-Weg einschlagen könnte, gibt es bereits. So verschwand beim letzten AfD-Parteitag die explizite Forderung nach einem EU-Austritt Deutschlands aus dem Wahlprogramm. Und nachdem noch 2024 führende Politiker der AfD einen Austritt aus der NATO ins Spiel gebracht hatten, ist die NATO-Mitgliedschaft laut aktuellem Wahlprogramm ein „zentrales Element unserer Sicherheitsstrategie“. Die Osterweiterung lehne man zwar ab, grundsätzlich steht die Partei der zunehmenden Militarisierung aber offen gegenüber. So sähe es also aus, wenn die AfD den Weg Melonis einschlüge: Mäßigung, um anschlussfähig und regierungsfähig zu werden, Pragmatismus und Kompromiss mit dem konservativen Establishment.Der rechte AfD-Flügel warnt vor der Anbiederung an den Mainstream Kritik an diesem Weg kommt aus dem gegenüberliegenden Pol des AfD-Vorfelds. Zum Beispiel von Benedikt Kaiser. Der Publizist, der auch für einen AfD-Bundestagsabgeordneten arbeitet, hat schon im August 2023 in der rechtsextremen Zeitschrift Sezession vor einer „Melonisierung“ der AfD gewarnt. Im Gespräch mit dem Freitag kritisiert er die Strategie der italienischen Postfaschistin. „Melonisierung ist im Grunde die Integration der rechten Opposition in das hegemoniale Gefüge, das fortan nicht mehr hinterfragt wird“, sagt Kaiser. Heißt: Man erreicht vielleicht noch das ein oder andere tagespolitische Ziel. Das langfristige Ziel, die Gesellschaft grundlegend umzubauen, vertagt man aber immer weiter, bis es letztlich ganz vergessen ist.Konkret bedeutet das, in naher Zukunft weiter den Kurs der Fundamentalopposition zu fahren. „Irgendwann muss die AfD regieren“, sagt auch Kaiser. Würde die AfD aber demnächst in Koalitionsverhandlungen eintreten, wären laut Kaiser zu viele Funktionäre bereit, sich in wichtigen Fragen über den Tisch ziehen zu lassen, sei es aus Unerfahrenheit oder dem Wunsch geschuldet, endlich dazuzugehören. „Die hegemonialen Pflöcke, die man eigentlich einschlagen wollte, werden dann geopfert“, so Kaiser. „Stattdessen ordnet man sich in der Gewissheit ein, auf anderen Spielfeldern mehr Freiheiten zu bekommen.“Seine Befürchtung: Die großen außen- und geopolitischen Themen – NATO, EU, Euro – überlässt man der CDU, dafür darf die AfD innenpolitisch im Kulturkampf ein bisschen Krawall machen. „Gender, Abtreibung, Katholizismus“, zählt er die Themen auf, die unter Giorgia Meloni in Italien übriggeblieben seien. Zwar seien das auch wichtige Themen, doch ihm, der sich einer „grundsätzlichen Rechten” zuordnet, gehe es um mehr, etwa um geopolitische Fragen. Kaiser befürwortet stattdessen den österreichischen Weg. Unter der Führung von Herbert Kickl habe sich die FPÖ dort als kompromissloser Antagonist des politischen Establishments positioniert. Kickl setzt nicht nur auf rhetorische Eskalation, sondern auch auf maximale Konfrontation mit bestehenden Institutionen.Kickls Weg: Mit Radikalität zur stärksten Partei Das führte in den vergangenen Jahren zwar zunächst dazu, dass die konservative ÖVP versprach, nicht mit der FPÖ zu koalieren. Doch nach gescheiterten Verhandlungen mit anderen Parteien erhielt die FPÖ den Auftrag zur Regierungsbildung. Die ÖVP knickte ein und willigte ein, mit der FPÖ Koalitionsverhandlungen zu führen. Diese führten zu allerhand Reibungsverlusten zwischen FPÖ und ÖVP, bis sie am Ende scheiterten. Die FPÖ wird möglicherweise doch nicht regieren; stärkste Kraft aber bleibt sie nach wie vor.Geht es nach Kaiser, sollte die AfD sich an Kickls Weg orientieren: So lange in der Opposition bleiben, bis man auch bei grundlegenden Fragen den Kurs vorgeben kann. Die „Kickelisierung“ ist der Weg der unbedingten rechtsradikalen Fundamentalisten in AfD und Vorfeld.Eigentlich stehen sich die beiden Strategien diametral gegenüber. Wer auf Mäßigung setzt, kann nicht gleichzeitig Extrempositionen vertreten. Immer mehr deutet sich jedoch ein Weg an, der beides vereinen könnte. Für diesen Kurs steht innerparteilich eine Reihe von jüngeren Funktionären, die zwar inhaltlich alles andere als gemäßigt sind, die aber die internen Konflikte moderieren – allen voran das Netzwerk um Sebastian Münzenmaier, Fraktionsvize der AfD im Bundestag.Der Rheinland-Pfälzer rühmt sich seit Langem, für die Professionalisierung der Partei verantwortlich zu sein. Nach dem verkrachten Parteitag 2022 verbündete er sich mit anderen Abgeordneten, um den Widerspruch zwischen den Strömungen zu moderieren, sodass es nicht mehr zum Streit auf offener Bühne kommt.Die Absprachen im Hinterzimmer funktionieren inzwischen so gut, weil Münzenmaier und seine Leute Wege finden, Pragmatiker wie Fundamentalisten zu befrieden. Jüngste Beispiele: Der Begriff „Remigration“ hat es zwar ins Wahlprogramm geschafft (Kickl-Weg), meint demzufolge aber nur noch „Maßnahmen, die bereits heute der geltenden Rechtslage entsprechen oder sich jedenfalls mittels verfassungskonformer Gesetzesänderungen umsetzen lassen“ (Meloni-Weg). Oder die Auflösung der Jungen Alternative als Jugendorganisation: Der radikale Verband wurde zwar aufgelöst (Meloni-Weg), dafür wird ein neuer Verband gegründet – die radikalen Nachwuchspolitiker sollen weiterhin den Ton angeben (Kickl-Weg). Münzenmaier will radikale Positionen behalten, aber nach Außen hin Anzeichen der Mäßigung schaffen.Die Fundamentalisten beobachten die taktische Mäßigung indes mit einer gewissen Skepsis. Ihre Reaktionen klingen eher resigniert: „Es tut nichts zur Sache, ob ich das gut oder weniger gut finde“, schrieb der weit rechts stehende Vordenker Götz Kubitschek nach dem vergangenen Parteitag auf seinem Blog. „Dieses Gereifte, das weniger Reibungsflächen bietet, weniger Spannung birgt. Es ist nun eben so, die Partei ist so geworden“. Kubitschek weiß aber auch, dass am Ende wohl nicht die AfD entscheidet, ob sich ein glattpoliertes Image in realpolitischer Macht niederschlägt. Sondern das Establishment, sobald es für eine poliertere AfD Verwendung findet.



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Von Veritatis

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