Die CDU reißt die Brandmauer zur AfD zuerst ein und verspricht danach, das werde sich nicht wiederholen. Kann man Friedrich Merz glauben? Wie wahrscheinlich sind künftige Kooperationen, oder gar eine schwarz-blaue Koalition?


Wird Friedrich Merz die Geister, die er rief, kontrollieren können?

Collage: der Freitag; Material: Imago Images


Die Beteuerungen sind laut, sie sind inbrünstig, doch sind sie auch überzeugend? „Wir würden unser Land verraten, ich würde die Seele der CDU verraten, wenn ich auch nur den kleinen Finger reichen würde“, um mit der AfD künftig gemeinsam Politik zu machen, so beschwor CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Sonntag in Nürnberg die Abgrenzung nach Rechtsaußen. Die muss offenbar umso lauter beteuert werden, seit die CDU in einer denkwürdigen Bundestagswoche mit der AfD gemeinsam abgestimmt hat. „Wir sind der Schutzwall, wir sind die Brandmauer“, legte CSU-Chef Markus Söder nach: CDU und CSU würden mit der AfD nicht kooperieren – nicht vor der Bundestagswahl, nicht danach, gar nicht.

Daran kann man mit guten Gr&

der Schutzwall, wir sind die Brandmauer“, legte CSU-Chef Markus Söder nach: CDU und CSU würden mit der AfD nicht kooperieren – nicht vor der Bundestagswahl, nicht danach, gar nicht.Daran kann man mit guten Gründen zweifeln. Noch im November hatte Merz im Bundestag die anderen Parteien dazu aufgefordert, Anträge vor der Bundestagswahl nur dann zur Abstimmung zu stellen, wenn Mehrheiten ohne die AfD zustande kämen. Und nun? Dazu kommt, dass sich Forderungen von CDU und AfD in Kernfeldern wie der inneren Sicherheit, der Migrationspolitik und der Wirtschafts- und Sozialpolitik beträchtlich überschneiden und dass die AfD zu einem großen Teil eine Ausgründung des nationalkonservativen Flügels der CDU ist.Unmöglich wäre ein schwarzblaues Bündnis zwischen Union und AfD also nicht. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass das konservative Establishment mit dem modernisierten Rechtsradikalismus zusammengeht? Um das zu beantworten, muss man schauen, welche Szenarien es kurz-, mittel- und langfristig für eine Zusammenarbeit gibt.Wer glaubt Merz jetzt noch?Nach den Ereignissen der letzten Januarwoche im Bundestag wurde eine Kooperation zwischen Union und AfD von einem theoretischen Gedankenspiel zu einer im Bereich des Möglichen liegenden Option. Nun geht so gut wie niemand von einer Koalition zwischen beiden sofort nach der anstehenden Bundestagswahl aus. Doch ein anderes Szenario wird zunehmend diskutiert: das einer unionsgeführten Minderheitsregierung, gestützt durch die AfD.Thorsten Alsleben, der Geschäftsführer des konservativ-neoliberalen Thinktanks „Institut Soziale Marktwirtschaft“, plädiert für eine solche Annäherung – in leicht abgeschwächter Form. Anfang Februar schrieb er auf X, Schwarz-Gelb sei die einzige Konstellation, die sowohl eine Migrations- als auch eine Wirtschaftswende umsetzen könne. Eine Koalition mit SPD und Grünen komme nicht mehr infrage. Sein Vorschlag: Friedrich Merz solle sich zum Kanzler einer schwarz-gelben Minderheitsregierung wählen lassen. „Ob ihn die AfD mitwählt, ist egal“, so Alsleben, schließlich brauche Merz im letzten Wahlgang nur noch eine einfache Mehrheit.Zwei Tage zuvor hatte bereits Rainer Zitelmann, nationalliberaler Publizist, Unternehmer und FDP-Mitglied, das Modell einer schwarz-gelben Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten ins Spiel gebracht. Bei der Russland-Ukraine-Politik könne man mit den Grünen gemeinsame Sache machen, „in der Migrations- und Klimapolitik mit der AfD“. Auch der Historiker Michael Wolffsohn sprach sich in der Welt für eine Minderheitsregierung aus.Wäre die Union nach der Wahl in eine Koalition mit sowohl der SPD als auch den Grünen gezwungen, dürfte die Debatte um eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung an Fahrt gewinnen. Unwahrscheinlich bleibt die indirekte Zusammenarbeit von Union und AfD trotzdem: Eine solche Konstellation wäre auf Bundesebene ein Novum – und gerade in Krisenzeiten unwahrscheinlich. Es ist kaum vorstellbar, dass Merz als Minderheitskanzler auf einen NATO-Gipfel fährt, ohne zu wissen, ob er im Parlament eine stabile Mehrheit hinter sich hat. Merz müsste sich dafür in hohem Maße von der AfD abhängig machen; das aber ist schwer vorstellbar, dafür ist auch seine rhetorische Abgrenzung derzeit zu deutlich und das Vertrauen zu klein. Auch in der Union wäre eine Minderheitsregierung von der AfD Gnaden in weiten Teilen derzeit nicht vermittelbar. Für das Bekenntnis zur Brandmauer erntete Merz beim Parteitag noch tosenden Applaus. Für eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung müsste außerdem die FDP den Einzug in den Bundestag schaffen – aktuell äußerst fraglich.Langfristig ist eine schwarzblaue Koalition wahrscheinlichKurzfristig ist eine Kooperation also unwahrscheinlich, mittelfristig sieht die Lage allerdings anders aus. Seit den gemeinsamen Abstimmungen zur Asylpolitik wird eine Zusammenarbeit zunehmend debattiert. Alsleben, Zitelmann und Wolffsohn sind zwar nicht Merz, Linnemann oder Spahn – aber noch vor vier Wochen wären ihre Wortmeldungen undenkbar gewesen.Ihre Gedankenspiele werden spätestens dann weitergeführt werden, wenn eine kommende CDU-Regierung in die Kritik gerät. Das ist absehbar, denn die Herausforderungen für jede denkbare Regierungskonstellation sind enorm, die Handlungsspielräume eng, die Wahrscheinlichkeit ihres Scheiterns hoch. Egal ob die CDU mit der SPD, den Grünen, oder beiden zusammen regiert: Angesichts des drohenden Handelskrieges mit den USA unter Präsident Donald Trump, der schleichenden Deindustrialisierung hierzulande und den realen Schwierigkeiten, eine grundsätzlich andere Migrationspolitik umzusetzen ist absehbar, dass eine Koalition unter CDU-Führung früher oder später ins Straucheln gerät. Sollte es so kommen, dürften die Rufe nach einer Regierung „der rechten Mehrheit“, bei der es weniger Kompromisse braucht und die eine klarere Linie verspricht, schnell laut werden.Hinzu kommt: Eine Koalition zwischen CDU und SPD, das aktuell wahrscheinlichste Bündnis, birgt insbesondere bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik enormes Konfliktpotenzial. Nach der rhetorischen Abkehr der SPD von der neoliberalen Agenda der Schröder-Jahre und dem wirtschafts- und steuerpolitischen Rechtsturn der Union unter Merz und Linnemann ist der Graben zwischen Mitte-rechts und Mitte-links programmatisch so tief wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sollten Gewerkschaften und der linke SPD-Flügel die strikte Angebotspolitik der Merz-CDU und mögliche Sozialkürzungen ernsthaft infrage stellen, dürften Wirtschaftspolitiker der Union mit einem Ende der Koalition drohen und laut über „alternative Mehrheiten“ nachdenken. Dieser Prozess könnte sich beschleunigen, falls Friedrich Merz im Zuge einer Koalitionskrise das Handtuch wirft und den Stab an die nächste Generation weitergibt.Und langfristig? Da spricht vieles dafür, dass es auf Bundesebene in den kommenden zehn Jahren zu einem schwarzblauen Bündnis kommt. Die parlamentarische Normalisierung der AfD vollzieht sich seit Jahren von unten nach oben. Im Frühjahr 2024 dokumentierte eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung mehr als 100 Fälle der Zusammenarbeit zwischen der AfD und anderen Parteien in ostdeutschen Kommunen. Die Partei, mit der die AfD dabei am häufigsten kooperierte, war die CDU.Spahn würde wohl wollenVor allem die Bundes-CDU verhinderte bislang, dass ihre Landes- und Ortsverbände sich Rechtsaußen annäherten. Doch nach der gemeinsamen Abstimmung im Bundestag können sich jene Kräfte an der Basis, die eine Zusammenarbeit mit der AfD befürworten, auf das Vorgehen der Parteispitze berufen. Es ist kaum vorstellbar, dass ein CDU-Mandatsträger, der mit der AfD zusammenarbeiten will, darauf in Zukunft aus Rücksicht auf die Bundespartei verzichtet. Auf Landesebene ist es vor allem in Sachsen-Anhalt wahrscheinlicher geworden, dass die CDU mit der AfD nach der Wahl zusammenarbeitet. Dort, wo 2026 gewählt wird, gilt der CDU-Landesverband als besonders rechtskonservativ.Vermutlich wird Friedrich Merz nicht derjenige sein, der die schwarzblaue Front anführt. Dafür ist er zu sehr ein Kind der alten Bonner Republik – inhaltlich, habituell, strategisch. Selbst viele liberale Kräfte in der Union, die die gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD kritisch sehen, gehen davon aus, dass unter Merz eine offene und offizielle Zusammenarbeit mit den Rechtsradikalen ausgeschlossen bleibt.Doch er ist es, der die CDU weiter nach rechts geführt und sie für eine Kooperation mit der AfD grundsätzlich geöffnet hat. Blickt man auf sein engstes Umfeld, zeigt sich, wohin das führen kann – insbesondere bei jenen, die eine Generation jünger sind: Carsten Linnemann, Jens Spahn, Julia Klöckner, Tilman Kuban. Sie alle stehen rechts von Merz und haben ein unverkrampfteres Verhältnis zum radikalisierten Konservatismus. Klöckner etwa veröffentlichte als Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz im Januar auf Instagram einen Post, in dem es hieß: „Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.” Man kann das als missglücktes Wahlkampfmanöver abtun. Oder als Hinweis auf das Selbstverständnis der möglichen Merz-Nachfolger deuten. Für sie ist der Unterschied zwischen AfD und CDU eher formaler als inhaltlicher Natur.Ob es dann aber tatsächlich zu einer Koalition kommt, wird nicht nur an der Union liegen. Auch die AfD müsste sich in einigen Punkten bewegen. Hört man Merz in diesen Tagen genau zu, wird klar, welche das sind. Direkt nachdem er in seiner Rede beim Bundesparteitag betont hatte, die CDU werde „niemals“ mit der AfD kooperieren, führte er aus, dass diese Partei gegen alles stehe, was die Union aufgebaut habe: „Sie steht gegen die Westbindung. Sie steht gegen den Euro. Sie steht gegen die NATO.“ Deshalb müsse die AfD so klein wie möglich gehalten werden. In seinen aktuellen Abgrenzungen zur AfD markiert er also vor allem geopolitische Differenzen.Doch was, wenn die Partei sich hier leicht umorientiert? So weit ist der Weg gar nicht mehr: Schon heute bekennt sich die AfD zur NATO. Der EU-Austritt wird nicht mehr explizit gefordert. Und auch in der Euro-Frage sind Kompromisse denkbar. Bemerkenswert ist, was Merz nicht erwähnt: Migrationspolitik, Innere Sicherheit, Wirtschafts- und Sozialpolitik – genau jene Felder, in denen die inhaltlichen Überschneidungen zwischen Union und AfD ohnehin schon beträchtlich sind.



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Von Veritatis

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