Der Milliardär Klaus-Michael Kühne finanziert der Stadt Hamburg ein neues Opernhaus. Doch nicht nur der Ort für die Oper stößt auf Kritik, auch die Verstrickungen des Unternehmens Kühne & Nagel im Dritten Reich sind kaum aufgearbeitet
Das Logistikunternehmen Kühne & Nagel verfügt über viel Tradition. Die Tradition der Aufarbeitung gehört leider nicht dazu
Foto: Kühne + Nagel
Hamburg bekommt eine neue Oper, und zwar – fast – geschenkt! Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Die Hansestadt kann sich glücklich wähnen, so freigiebige Mäzene zu haben. Dennoch gibt es Proteste, seit Anfang Februar bekannt wurde, dass der Schenkungsvertrag praktisch unter Dach und Fach ist, ohne dass die Zivilgesellschaft groß Möglichkeiten der Mitsprache gehabt hätte.
Am 7. Februar traten nun Bürgermeister Peter Tschentscher und Kultursenator Carsten Brosda (beide SPD) mit Vertretern der Stiftung von Milliardär Klaus-Michael Kühne vor die Presse. Manche Angst konnten sie ausräumen, etwa die vor explodierenden Kosten oder Bauabbruch. Denn die Hamburger*innen sind durch die Elbphilharmonie und durch den Elbtower – ein
#8211; eine 100 Meter hohe Bauruine nach dem Konkurs der Investmentfirma Signa des mittlerweile inhaftierten René Benko – gebrannte Kinder. Keine befriedigenden Antworten hatten sie jedoch auf den Vorwurf der Geschichtsvergessenheit, sowohl der Geschichte des Unternehmens Kühne & Nagel als auch der Geschichte der Stadt Hamburg.Klaus-Michael Kühne, einer der reichsten Deutschen, wenn auch in der Schweiz residierend, steht seit Jahren in der Kritik für seinen Umgang mit der Geschichte seines Unternehmens. Bereits 1933 trat sein Vater Alfred wie auch andere Familienmitglieder in die NSDAP ein. Ihr Logistikunternehmen florierte im Zuge der Arisierungspolitik. Es heißt, die Firma habe bis zu 70.000 Wohnungen von Jüdinnen und Juden in Westeuropa ausgeräumt und deren Habseligkeiten abtransportiert. Historiker*innen attestieren Kühne & Nagel hier ein quasi Monopol. Der jüdische Miteigentümer Adolf Maass wurde schon im Frühjahr 1933 aus der Firma gedrängt, er und seine Frau wurden später in Auschwitz ermordet. Kühne & Nagel profitierten also unmittelbar vom Holocaust und die Firma wuchs.Nun ist Klaus-Michael Kühne (Jahrgang 1937) nicht verantwortlich zu machen für das, was sein Vater tat. Verantwortlich ist er jedoch dafür, wie er mit der Geschichte der Verstrickung seiner Firma in den Holocaust umgeht. Und hier wird ihm seit Jahren der Vorwurf gemacht, diese nicht aufzuarbeiten. Konkret steht der Vorwurf im Raum, eine Historiker*innengruppe mit der Erforschung der Firmengeschichte beauftragt, die Veröffentlichung der Ergebnisse dann aber unterbunden zu haben.Kühne + Nagel hat durch die Politik des Nationalsozialismus profitiertNimmt die Stadt Hamburg also Geld, das mittelbar aus einem Vermögen stammt, das mit dem Leid jüdischer und anderer Opfer des Nationalsozialismus gemacht wurde? Das Mindeste, was man erwarten dürfte von deutschen Politiker*innen, ist hier vorher auf Transparenz zu bestehen, dem Vorwurf der Reinwaschung durch kulturelle Stiftung so den Boden zu entziehen. Das sollte im Interesse beider sein, des Stifters und der Stadt. Wenn man den Hinweis von Tschentscher, Klaus-Michael Kühne sei ja zu der Zeit noch ein Kind gewesen, zur exkulpatorischen Maxime erklärt, ist die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Wirtschaft im Holocaust faktisch beendet. Es geht um das Vermögen und die Verantwortung, die daraus erwächst und nicht um Klaus-Michael Kühnes individuelle Verstrickung.Besonderes aufgeladen wird die Frage auch durch den Ort, den der Stifter für seine Oper auserkor, der Baakenhöft, eine in die Elbe ragende Verlängerung des Baakenhafens, eines nunmehr stillgelegten Bereichs des Hamburger Hafens. Vor 120 Jahren befand sich dort die Kaistrecke, die von der Woermann-Linie und der Deutsch-Ostafrika Linie gepachtet worden war. Vom Baakenhafen aus brachen ab Februar 1904 deutsche Soldaten nach Deutsch-Südwestafrika auf, um den Genozid an den Herero und Nama zu verüben. Der Baakenhafen war die zentrale logistische Drehscheibe für den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts und ist deshalb der authentische Erinnerungsort an dieses Verbrechen in Deutschland.Leider hat die Stadt Hamburg bisher keine Planungen vorgelegt, wie mit diesem kolonialen Erinnerungsort umgegangen wird. Historische Erinnerung und Aufarbeitung ernst zu nehmen, hieße in jedem Fall, zuerst die Erinnerungslandschaft zu konkretisieren und erst danach die gegenwärtige Nutzung. Ansonsten riskiert man, gewollt oder ungewollt die Überschreibung der Geschichte. Standorte für Opern gibt es viele, authentische Orte des kolonialen Genozids nur wenige in Deutschland.Der Baakenhöft sollte ein Gedenkort seinUm über die Geschichte des Ortes und seine Bedeutung für das Verbrechen des Kolonialismus aufzuklären, braucht es ein Hamburger Dokumentationszentrum Kolonialismus. Damit könnte auch Hamburgs besondere Verantwortung für diesen kolonialen Völkermord verdeutlicht werden – eine Verantwortung, die bereits 2018 in der offiziellen Entschuldigung der Stadt durch Kultursenator Carsten Brosda gegenüber Herero und Nama zum Ausdruck kam. Dieses Dokumentationszentrum sollte aktiv mit erinnerungspolitischen Initiativen in Namibia zusammenarbeiten, um eine umfassende und multiperspektivische Aufarbeitung des kolonialen Völkermordes zu gewährleisten. Eine bedeutende Chance läge etwa in der Zusammenarbeit mit dem Swakopmund Genocide Museum. Das von Laidlaw Peringanda gegründete Museum befindet sich in jener namibischen Hafenstadt, in der 1904 die deutschen Truppen eintrafen, und setzt sich engagiert für die Anerkennung, Aufarbeitung und Sichtbarmachung der Verbrechen an den Herero und Nama ein.Auch bundespolitisch gibt es Überlegungen, einen Lern- und Dokumentationsort Kolonialismus einzurichten. Der Baakenhöft wäre der ideale Ort für die Erinnerung an Kolonialismus, Genozid und Logistik. Letzteres würde dann auch inhaltlich eine Brücke schlagen zu Kühne. Unbeschadet davon sollten die neuen Nutznießer alter Anlagen, historisch belasteter Orte, das Gedenken an die frühere Geschichte mit in ihre Kalkulation einbeziehen. Sie sollten sich an den Kosten beteiligen. Die Stadt muss tätig werden, wenn sie sich dem Vorwurf der Beihilfe zur Reinwaschung durch Kultursponsoring nicht aussetzen will. Es kann nicht sein, dass die sprichwörtlichen goldenen Armaturen der Oper wichtiger sind, als die Aufarbeitung von Verbrechen, die solche Vermögen erst mit ermöglichten.Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg