Die italienische Philosophin Silvia Federici zeigt auf, wie eng die Hexenverfolgung und der aufkeimende Kapitalismus zusammenhingen
Der Kampf für legale Abtreibungen ist antikapitalistisch
Collage: Gabor Farkasch für der Freitag, Material: Imago Images
Frauen, die mächtig sind, so mächtig, dass sie Zauberkräfte besitzen und sogar mit dem Teufel unter einer Decke stecken: Wir alle kennen die Geschichten von bösen Hexen. Wenn auch oft nur noch in der Form, wie sie in den Märchen der Brüder Grimm festgeschrieben und reproduziert wurde. Ganz anders näherte sich vor 20 Jahren die emeritierte Professorin und Feministin Silvia Federici in ihrem Buch Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation dem Thema. Darin untersucht sie die Zusammenhänge zwischen der Entwicklung des Kapitalismus, der gesellschaftlichen Rolle der Frau und der Geschichte der Hexen. Federici gilt als eine der letzten feministischen Ikonen des vergangenen Jahrhunderts und als wichtige Stimme der f
Stimme der feministischen Geschichtsschreibung.der Freitag: Frau Federici, vor 20 Jahren erschien Ihr Buch „Caliban und die Hexe“. Sie stellten darin eine Alternativerzählung zur Entstehung des Kapitalismus vor. Während sich Marx auf den Arbeiter – als männliche Figur – konzentrierte, steht bei Ihnen die Frau im Zentrum. So wird sichtbar, wie die Arbeitsteilung in Produktions- und Reproduktionsarbeit als Grundvoraussetzung für den Erfolg des Kapitalismus funktioniert. Das geht gleichzeitig mit einer Stigmatisierung und Entmachtung der Frau, etwa durch den politischen Vorwurf der Hexerei, einher. Kurz: Sie stellten eine Gegenerzählung zur klassischen Linken auf. Wie kam es dazu?Silvia Federici: Die Inspiration für das Buch kam von der feministischen Bewegung, die sich anfangs als Körperpolitik definierte. Damit eröffnete sich ein neues politisches Schlachtfeld, das die traditionelle Linke lange Zeit ignoriert hatte, da sie sich auf die Ausbeutung und die Kämpfe in den Fabriken konzentrierte.Zum Beispiel?Die feministische Bewegung begann mit dem Kampf um die Kontrolle über unseren Körper, dem Kampf um die Abtreibung und dem Kampf gegen die männliche Dominanz. Eine der ersten Forderungen der Feministinnen war, dass der Staat seine Hände von unserem Körper lassen sollte. Damit rückte der Körper in den Mittelpunkt unserer politischen Theorie undPraxis. Ein zentrales Thema war auch die Frage der Reproduktionsarbeit.Wieso ist das zentral?In der kapitalistischen Gesellschaft wird sie nicht als echte Arbeit, sondern als persönliche Dienstleistung angesehen. Aber wir definierten sie neu und erkannten, dass diese Arbeit für den Kapitalismus höchst produktiv ist, da sie die Kraft ist, die die Arbeitskraft reproduziert.Sie gehen dafür zurück bis ins Mittelalter …Die Frage der Reproduktion war für die Entwicklung des Kapitalismus im 15. und 16. Jahrhundert von zentraler Bedeutung. Erstens, weil mit dem Aufkommen des Kapitalismus die Arbeitstätigkeiten, durch die unser Leben reproduziert wird, als „Frauenarbeit“ definiert und als Arbeit unsichtbar wurden. Außerdem beginnt der Kapitalismus mit der Trennung der Menschen von den für unsere Reproduktion wichtigsten Ressourcen, angefangen beim Ackerland. Mit dem Aufstieg des Kapitalismus kam es zur Privatisierung des Bodens und zur Kommerzialisierung der Landwirtschaft, die die Bauernschaft verdrängte und unsere Reproduktion mit der Zeit vom Markt abhängig machte.Weshalb fasziniert Sie das Bild der Hexe in Ihrer Arbeit ?Die Verfolgung von Frauen unter dem Vorwurf der Hexerei trug dazu bei, dass der Staat die Kontrolle über den Körper der Frauen und die Fortpflanzung übernahm. Frauen, die als Hexen angeklagt waren, wurden beschuldigt, Kinder zu töten, Männer impotent zu machen und mit dem Teufel zu kopulieren. Bei den Beschuldigten handelte es sich häufig um Frauen, die außereheliche sexuelle Beziehungen hatten oder sich prostituierten, oder die mehrere Partner und Kinder außerhalb der Ehe hatten. Dies stellte ein Problem für den aufkommenden modernen Kapitalismus dar, der in unkontrolliertem, unreguliertem Sex eine Bedrohung für die Arbeitsdisziplin und die sozialen Hierarchien sah.Vieles in Ihrem Buch wirkt nach wie vor sehr aktuell. Gerade lässt sich beobachten, wie Abtreibungsgesetze weltweit, in den USA, aber auch in Europa, stetig verschärft werden. Da kommt schnell die Assoziation einer historischen Kontinuität auf. Ist das zu weit gegriffen?Fragen der Reproduktion sind immer auch Fragen der Arbeitskraft und der Produktion. Wie viele Kinder Frauen zeugen, ist für den Kapitalismus von entscheidender Bedeutung, denn davon hängt ab, wie viele Männer für die Fabriken und die Armeen zur Verfügung stehen. Die Körper der Frauen und ihre Gebärmütter werden als Fabriken für die Produktion von Arbeitskraft betrachtet. Die aktuellen Entwicklungen bestätigen diese Beobachtung. Alle reden von künstlicher Intelligenz und davon, dass Arbeit in Zukunft durch Maschinen ersetzt werden wird, und doch sehen wir eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze – nicht zuletzt das Abtreibungsverbot in den USA. Der weibliche Körper und die Fortpflanzung bleiben zentrale Themen, und das spiegelt sich in diesen Gesetzen wider. Die hier bekräftigte Disziplin hält die Rolle der Frau und der bürgerlichen Familie aufrecht.Andere Stimmen würden argumentieren, dass es sich bei der Abtreibung primär um ein kulturelles Problem handelt. Das sich nicht auf die vorherrschenden Produktionsverhältnisse, sondern auf kulturelle Normen zurückführen lässt. Gibt es Ihrer Ansicht nach eine Verbindung zwischen dem kulturellen und dem materialistischen Ansatz, oder stehen diese beiden Ansätze in Konflikt zueinander?Nur der Kapitalismus nimmt diese Trennung in kulturell und ökonomisch vor. Im echten Leben sind diese Bereiche unteilbar, weil die materiellen Lebensumstände immer eine kulturelle Bedeutung und auch einen ökonomischen Wert in sich tragen. Wenn wir leben, geben wir allem, was wir tun, einen Wert. In der gelebten Erfahrung der Menschen kommen all diese getrennten Sphären, das Kulturelle, Politische und Ökonomische, zusammen und werden eins.Das Thema Hexen verschwand nach „Caliban und die Hexe“ nicht aus Ihrer Arbeit. In Ihren neueren Büchern gehen Sie dafür mehr auf die Verfolgung in Teilen des Globalen Südens ein.Menschen, die in Afrika oder Lateinamerika aufgrund der europäischen und amerikanischen Politik sterben oder ihres Landes beraubt werden, werden im Globalen Norden ignoriert. Ein Beispiel dafür ist die – künstlich geschaffene – globale „Schuldenkrise“, die die Staaten, die Strukturanpassungsprogrammen unterworfen sind, gezwungen hat, sich für extraktivistische Politiken, etwa Bohrungen nach Öl oder Mineralien, zu öffnen. Diese Programme, die vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank durchgesetzt werden, haben ganze Gemeinschaften wirtschaftlich ruiniert und zu Vertreibung und Verarmung ganzer Bevölkerungen geführt. Dennoch wird die Schuld an dieser Misere häufig den als Hexen gebrandmarkten Frauen zugeschoben.Aus welchem Grund?Dahinter stehen christlich-fundamentalistische Organisationen, finanziert von der Rechten in den USA. Es formiert sich jedoch Widerstand zum Schutz der beschuldigten Frauen.Die Geschichte der Hexen zeigt auch, wie weibliche Gemeinschaften und Orte des Austausches stückweise dämonisiert, sanktioniert und aufgebrochen wurden und werden.Ja, viele Leute sind immer noch bereit, uns zu verbrennen.Placeholder image-1Silvia Federici, geboren 1942, ist eine italienisch-amerikanische emeritierte Hochschullehrerin, politische Philosophin und Aktivistin. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher und Essays zu marxistischer und feministischer Theorie.