Keine Sozialleistungen für arbeitsfähige Menschen ohne Job: So wünscht es sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Zusammen mit Kanzlerkandidat Friedrich Merz trimmt er die Union wieder auf Vor-Merkel-Härte. Geht diese Strategie auf?
Wenn es nach Carsten Linnemann geht, ist das Bürgergeld bald Geschichte
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Mit dem Auseinanderbrechen der Ampel-Regierung und den vorzeitigen Neuwahlen am 23. Februar 2025 stellt sich die Frage nach den Weichenstellungen einer neuen Regierung. CDU/CSU liegen in den Umfragen deutlich vorn. Würde heute gewählt, so könnte die Union wohl mit einem Wählerzuspruch von 32 bis 34 Prozent rechnen. Das wäre ein Plus von acht bis zehn Prozentpunkten, verglichen mit ihrem Wahlergebnis von 2021. Sowohl mit der SPD in einer „Großen Koalition“ als auch mit den Grünen könnte die Union dann regieren. In beiden Koalitionen würde sie sicherlich den Kanzler stellen.
Dabei wäre eine Bundesregierung unter der Führung von Friedrich Merz für das soziale Klima in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach: eine Katastr
In beiden Koalitionen würde sie sicherlich den Kanzler stellen.Dabei wäre eine Bundesregierung unter der Führung von Friedrich Merz für das soziale Klima in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach: eine Katastrophe.Das Gespenst der Deindustrialisierung geht durchs Land. Volkswagen, nach Umsatz immer noch der größte Autobauer der Welt, will drei Werke in Deutschland schließen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Deutschland gilt wieder als der „kranke Mann Europas“. Gerade jetzt wäre es gefährlich, den Leuten den Eindruck zu vermitteln: Wenn ihr euren Job verliert, könnt ihr auf den Staat nicht zählen. Doch genau das scheint die Strategie der Union zu sein.Natürlich weiß auch Merz, dass er 2002 die Kanzlerkandidatur verlor, weil er eher als gefühlloser denn als „mitfühlender Konservativer“ erschien. Danach münzte er seine transatlantischen Kontakte aus der Berufspolitikerzeit in Bares und Rares um; als Lobbyist wurde er Millionär und rühmt sich heute, dass er deswegen etwas von Wirtschaft verstehe. Aber die Erinnerung an 2002 ist noch präsent. Merz weiß, die taumelnde Regierung serviert ihm ohne sein eigenes Zutun die Macht auf dem Silbertablett. Wenn er zu neoliberal daherkommt, sich zu weit von der sozialeren Angela-Merkel-CDU verabschiedet, verliert er Wähler. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen in der Partei, die sich nichts sehnlicher als das wünschen: ein Zurück zu älterer Vor-Merkel-Kälte. Wie wird Merz auf diesem Drahtseil balancieren?Friedrich Merz segelt hart im Wind der KapitalseiteBislang galt der CDU-Chef als Bollwerk der Schuldenbremse. Während die Ampel nicht bereit war, sie für Soziales zu lockern, sondern zweckgebunden für die Finanzierung der Aufrüstung aufheben wollte, stellte sich Merz auch hiergegen. Wesentlich auf sein Wirken war es zurückzuführen, dass sich die Union die Zustimmung zum „Sondervermögen“ teuer bezahlen ließ und etwa Ausgaben für Munition in zweistelliger Milliardenhöhe noch vom laufenden Haushalt gedeckt werden mussten, ganz gleich, was die Kinderarmut dazu sagt.Mittlerweile zeigt sich Merz jedoch ebenfalls bereit, über eine Aufhebung, Aufweichung oder Umgehung der Schuldenbremse nachzudenken. Allerdings tut er dies mit einer klaren Ansage: Mehrausgaben kämen allenfalls in Bezug auf Industrieförderung und andere Investitionen infrage, nicht aber etwa in Bezug auf bezahlbare Mieten, armutsfeste Renten und Maßnahmen gegen die grassierende Kinderarmut. Wenn das Ergebnis sei, „dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik. Dann ist die Antwort nein“. Wenn es aber um Investitionen und Fortschritt gehe, könne „die Antwort eine andere sein.“Placeholder image-1Merz‘ Äußerungen sind eine Anpassung an die Realität der auswärtigen Konkurrenz und der internationalen Abkehr vom schlanken Staat. Sie stehen zudem im Kontext einer anhaltenden Debatte in der Union selbst. Denn mehrere Ministerpräsidenten fordern ebenfalls eine Änderung der Schuldenbremse. Alles in allem segelt Merz hart im Wind der Kapitalseite.Der CDU-Wirtschaftsflügel hätte gerne die „Rente mit 70“Der CDU-Wirtschaftsflügel sorgte im Sommer für – auch innerparteilichen – Aufruhr mit der Forderung nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre (welche die SPD im Wahlkampf 2021 noch ausgeschlossen hatte) und einer Absenkung des Rentenniveaus auf unter 48 Prozent. Diese Ziele sollten nach Regierungsantritt schnell umgesetzt werden. Innerparteilich sorgte dies für Unmut, allerdings nicht unbedingt prinzipiell, sondern aus dem Gebot der situativen Vagheit. Dennis Radtke vom Arbeitnehmerflügel (CDA) nannte die Vorschläge „strategisch nicht durchdacht“, weil sie den sichergeglaubten Sieg im Bundestagswahlkampf verhindern könnten. Friedrich Merz dementierte indes die Pläne für die Rente mit 70, als auch die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion diese forderte. Zugleich lässt sich Merz eine Hintertür für bestimmte Berufsgruppen offen, indem er sagte: Man sei sich einig, „dass wir in der längeren Perspektive die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung koppeln müssen.“ Man sei aber „gegen ein starres, schematisches Renteneintrittsalter für alle Berufsgruppen, das geht einfach nicht.“ Mit anderen Worten: Auch Merz denkt über die Erhöhung des Renteneintrittsalters nach, bloß gestaffelt nach Erwerbsjahren, wodurch sich für studierte Arbeitnehmer der Renteneintritt auf 70 (oder später) verschieben ließe. Konkret wurde diesbezüglich schon jetzt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der in einem ersten „Sofortprogramm“ für eine zukünftige Merz-Regierung eine „Aktivrente“ forderte, die „Anreize zum Arbeiten“ schaffen solle, indem man auch nach dem Renteneintritt steuerfrei bis zu 2.000 Euro im Monat hinzuverdienen könne. Mit anderen Worten: Ein abgesenktes Rentenniveau soll Millionen Armutsrentner „freiwillig“ in Lohnarbeit auch über das Renteneintrittsalter von 67 Jahren zwingen.Wie Carsten Linnemann 10 Milliarden Euro einsparen willNach Bekanntgabe seiner Kanzlerkandidatur gab auch Friedrich Merz im Interview mit der Süddeutschen Zeitung an, man wolle „eine Agenda für die Fleißigen, das heißt diejenigen entlasten, die jeden Morgen aufstehen und ihren Job machen.“ Kündigt der Sauerländer damit höhere Mindestlöhne an? Sagt er damit, dass er sich als Kanzler für einen bundesweiten Mietendeckel einsetzen wird, der denjenigen Schaffern zugutekommt, die sich ihre Wohnung ohne zwei Jobs nicht mehr leisten können? Oder plant der Mann mit den Privatjets da etwa eine Vermögenssteuer zur Abschöpfung der Multimillionen- und Milliardärsvermögen der laut Statistischem Bundesamt mehr als 627.000 Deutschen, die keiner Lohnarbeit nachgehen, sondern ausschließlich von ihren leistungslosen Einkünften aus Aktiendividenden und Mieten, das heißt anderer Menschen Arbeit, leben? Geht es mit Merz womöglich dem obersten einen Prozent an den Kragen? Schließlich kennt er diese Klasse besonders gut. Denn über mehr als ein Jahrzehnt leitete er den größten Kapitalfonds der Welt, Blackrock aus den USA, die Europageschäfte und verdiente dafür etwa eine Million Euro im Jahr. Placeholder image-2Deutschland werde „buchstäblich ärmer“, bekannte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Frühjahr 2022. „Wir haben“, befand zur selben Zeit auch Merz, „wahrscheinlich den Höhepunkt unseres Wohlstands hinter uns“ – und meinte damit freilich weder seine eigene „gehobene Mittelschicht“ mehrfacher Millionäre mit Privatflugzeugen noch seine frühere Klientel vom Kapitalfonds Blackrock.Der entlassene Finanzminister Christian Lindner hatte mit seinem Plan, die Mietzuzahlungen von Bürgergeldempfängern unabhängig vom Bedarf zu deckeln, in drastischer Weise eine weitere Verarmung der Armen vorgeschlagen. Doch der CDU-Generalsekretär Linnemann setzt diesen Vorschlägen mittlerweile einen drauf: Durch die Abschaffung des „Bürgergelds“ als eine der allerersten Regierungsmaßnahmen zugunsten einer minimalen „Grundsicherung“ sollen mindestens zehn Milliarden Euro im Jahr eingespart werden. „Wer arbeiten“ könne, „aber nicht arbeiten geht“, der signalisiere „dem Staat, dass er nicht bedürftig ist. Dann bekommt er künftig keine Sozialleistungen mehr.“ Die CDU ist endgültig zurück.