Die AfD ist bei der Bundestagswahl auf dem zweiten Platz gelandet. Wer in ihr immer noch ein rein ostdeutsches Problem sieht, der irrt. Man muss dieser Partei mehr entgegensetzen als nur Ablehnung. Die Wahl hat gezeigt: Es gibt einen Weg


Demonstration in Dortmund gegen die AfD und eine mögliche Zusammenarbeit der CDU mit den Rechtsextremen

Foto: Hesham Elsherif/Getty Images


Auf den ersten Blick ist Deutschland zweigeteilt. Im Osten hat die AfD fast alle Direktmandate gewonnen. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen wurde sie überall stärkste Kraft. Aber auch im Westen hat die AfD in den allermeisten Wahlkreisen einen beängstigenden Wahlerfolg erzielt. Nur der Gewinn eines symbolträchtigen Direktmandats blieb dort aus. Das zeigt: Wer die existenzielle Demokratiekrise nach dieser Bundestagswahl weiterhin nur auf den Osten projiziert, verharmlost den gesamtdeutschen Vormarsch der Extremrechten.

Vor einigen Tagen hatte ich irgendwo im tiefsten Ostsachsen eine Lesung, um mit Teenagern eines Gymnasiums über Demokratie, die anstehenden Wahlen und die Gefahr durch Neonazis zu sprechen. Eine Schü

Schülerin zeigte mir einen „FCK NZS“-Patch auf ihrem Rucksack. Sie erzählte, sie sei damit neulich in den Bus gestiegen. Hinter ihr hätten Grundschüler begonnen zu tuscheln. Sie sei zu ihnen gegangen und habe gefragt: „Habt ihr ein Problem mit meinem Patch?“ Die Grundschüler antworteten: „Nee, wir haben doch gar nichts gesagt.“ Ein paar Haltestellen weiter stiegen die Jungs aus dem Bus, riefen „Wir lieben die AfD“ und machten Hitlergrüße.Das Neonazi-Problem ist ein gesamtdeutschesEinige Tage später lese ich in Hessen, als mir eine Schülerin erzählt, dass ein queerer Bekannter an einer Schule verprügelt worden sei. Da ist es wieder, das gesamtdeutsche Neonazi-Problem. Während die rechtsextremen Straftaten im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht haben, drehte sich im Wahlkampf alles um Migration, Wirtschaft und gegenseitige Schuldzuweisungen über eine verfehlte Politik. Nur eine Partei hat sich aus dieser Schlammschlacht rausgehalten: Die Linke – mit großem Erfolg.Die meisten jungen Leute in Ost- aber auch in Westdeutschland sind verunsichert: ein schlecht ausgebauter ÖPNV, kaum preiswerte WG-Zimmer; die Kids in meiner Heimatstadt Zwickau haben Angst davor, dass ihre Eltern bald keinen Job mehr haben, weil sie bei Volkswagen arbeiten. Hinzu kommen Debatten um die Wiedereinführung der Wehrpflicht, Klimakrise und mangelnde Möglichkeiten, demokratisch mitzubestimmen. Ein Demokratiefördergesetz, mehr Sozialarbeit in Krisenzeiten, ein Sondervermögen Bildung? Fehlanzeige.Wohin also mit all dem Frust? Im Regelfall erkenne ich zwei Optionen: Hängen Jugendliche einmal dem Irrglauben an, dass an ihren Problemen die von Rechten und Extremrechten auserkorenen Sündenböcke wie Geflüchtete oder Bürgergeldempfangende Schuld seien, landet das Kreuz bei der AfD. Checken Jugendliche, dass Rechtsruck, Ungleichheit und soziale Schieflagen ganz andere Ursachen haben, dann setzen sie ihr Kreuz bei der Linkspartei. Bei den U18-Wahlen in Sachsen gab es zwei klare Gewinner: die AfD mit 31,6 und die Linke mit 24,7 Prozent. Das gleiche Muster hat sich nun bei der Bundestagswahl wiederholt. Unter den jungen Wähler:innen sind Linkspartei und AfD am stärksten vertreten.Es lohnt sich, dem Sündenbock-Diskurs von Merz & Co etwas entgegenzusetzenEin Teil dieser Entwicklung macht mir Hoffnung: Die Linkspartei (an der ich auch viel zu kritisieren habe) ist der Beweis dafür, dass man mit Standhaftigkeit, eigenen Themen und der sozialen Frage Wählerstimmen gewinnen kann. Dagegen ging der Zehn-Punkte-Plan zur Migration des Grünen Spitzenkandidaten Robert Habeck eher nach hinten los. Es lohnt sich also ganz offensichtlich, dem von Springer-Presse, Friedrich Merz und AfD befeuertem Sündenbock-Diskurs etwas entgegenzusetzen und ihm so einen Strich durch die Rechnung zu machen.Das Wahlergebnis zeigt aber auch, dass nur die AfD davon profitiert, wenn die demokratischen Parteien migrations- und sozialpolitische Forderungen von Rechtsaußen übernehmen. Die Abschiebeforderungen, Bürgergeldkürzungspläne und eiserne Bekenntnisse zur Schuldenbremse haben nicht dafür gesorgt, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Gegenteil: Die Partei ist omnipräsent. Das zeigt, es gibt die ideologischen Überschneidungen zwischen AfD und CDU. Der Bruch der Brandmauer bei der Abstimmung über die Migrationspolitik Ende Januar im Bundestag hat das bestätigt. Nur der Protest gegen das Anbiedern an AfD-Positionen reicht nichtIn einem Land, in dem der zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz den extrem-rechten Mord an seinem Parteikollegen Walter Lübcke bereits vor Amtsantritt instrumentalisiert, um gegen Antifaschist*innen zu hetzen, müssen wir der Versuchung widerstehen, einzig und allein gegen die Totalausfälle von Steigbügelhaltern der AfD zu protestieren. Ob Sympathie mit der Linkspartei oder nicht – ihre erfolgreiche Wahlkampfstrategie zeigt, wie entscheidend Haustürgespräche, Social-Media-Stärke und örtliche Gesprächs- oder Hilfsangebote sind. Selbstschutz, Basis-Organisierung und eine Menge Umarmungen, in der Partei oder anderswo, sind das A und O. Die nächsten Jahre unter einem rechtskonservativen Bundeskanzler Friedrich Merz werden nicht einfacher. Ich jedenfalls glaube nach wie vor an ein Europa, in dem Teenager ihre „FCK NZS“-Patches tragen können, ohne dass ihnen Grundschüler als Antwort den Hitlergruß zeigen.



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Von Veritatis

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