Immer wieder definieren sich Menschen darüber, dass sie keine Kinder haben. Sie seien kinderfrei, nicht kinderlos. Dahinter steht ein neoliberaler Freiheitsbegriff und ein falsches Feindbild, findet unsere Autorin


Gerade auf Social Media kippt die Rede von der Kinderfreiheit rasch in Kinderfeindlichkeit

Foto: Jana Mänz/Westend61/Picture Alliance


Neulich hörte ich auf einer Party ein Gespräch mit, in dem es um Kinderlosigkeit ging. Pardon: „Es heißt kinderfrei“, wie eine der Gesprächsteilnehmerinnen ihr Gegenüber indigniert korrigierte. Heutzutage ist man kinderfrei, nicht mehr kinderlos. Nicht Mangel soll so sprachlich im Vordergrund stehen, sondern Freiheit, zumal eine doppelte: die Freiheit, sich gegen Kinder zu entscheiden, und die Freiheit, über das eigene Leben zu verfügen.

Der Diskurs um Kinderfreiheit interessiert mich sehr. Ich sehe zahlreiche Beiträge zum Thema, in denen Menschen, mal trotzig, mal betont gut gelaunt, ihre Lust am kinderfreien Leben beschreiben. So zahlreich sind diese Beiträge, dass ich nicht glauben mag, Kinderfreiheit sei tatsächlich ein Tabut

ein Tabuthema, das nunmehr erst mutig zur Sprache gebracht werde – was freilich fast durchweg behauptet wird. Die kinderfreie Autorin Sarah Diehl (Die Uhr, die nicht tickt) bietet gar Kurse an, in denen sie mit Frauen ergründet, ob diese Kinder haben wollen. Ich will nicht gehässig sein, aber ich würde keinen Schwimmkurs bei einem Nichtschwimmer buchen.Gerade auf Social Media kippt die Rede von der Kinderfreiheit rasch in Kinderfeindlichkeit. Kinder sind da keine kleinen Menschen, die noch sozialisiert werden müssen, sondern unangenehme, ständig plärrende Trolle, die man am liebsten aus der Öffentlichkeit verbannt sehen würde. Ob Kinder etwa Zugang zu Restaurants erhalten sollen, ist in Deutschland eine ernstlich diskutierte Frage – blöd halt, dass Kinder essen müssen. Wozu die öffentliche Abwertung, wenn man doch fröhlich kinderfrei ist?Überlastung und ÜberforderungWas mich am meisten interessiert am Thema Kinderfreiheit, ist die traurige, für mich eigentlich tragische Definition von Freiheit. Es handelt sich um einen seltsam neoliberalen Freiheitsbegriff, bei dem Freiheit vor allem eine „Freiheit von“ ist – von Verpflichtung, Fürsorge und Verantwortung. Gebunden zu sein, auch gegenseitig abhängig zu sein, wird dabei als der Horror schlechthin aufgefasst. Dabei sind wir Menschen, ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht, stets abhängig und im besten Fall eingebunden in eine Gemeinschaft, die sich uns hoffentlich verpflichtet fühlt. Es gibt auch eine Freiheit des Gebens und Schenkens, obwohl ich ahne, dass das nun sehr kitschig klingen mag.Nicht nur der Freiheitsbegriff ist problematisch, sondern auch die gesellschaftlichen Implikationen, die sich aus der Debatte um Kinderfreiheit ergeben: Als wesentliches Argument für die Kinderfreiheit nennen vor allem Frauen, dass sie nicht so sein wollen wie die Mütter in ihrem Umfeld, nämlich überlastet und überfordert. Während ich das Gefühl verstehe, erscheint mir die Botschaft fatal: Denn Überlastung und Überforderung werden als die Normalität der Mutterschaft aufgefasst und damit naturalisiert. Unsere Gesellschaftsform und unser Wirtschaftssystem produzieren jedoch die Überlastung, und es wäre sehr wohl möglich, Abhilfe zu schaffen, indem wir das Wirtschafts- und Arbeitsleben umgestalten.Dafür muss niemand Kinder haben, der keine will. Aber etwas Solidarität zwischen Kinderfreien und Kinderreichen wäre schon hilfreich. Ein toller Anfang wäre doch, Kinder nicht als Last darzustellen oder Elternschaft als selbst gewählte Hölle. Ganz so schlimm ist es, das kann ich versichern, nun wirklich nicht.



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Von Veritatis

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