In den USA vollzieht sich eine interessante Wendung: Die Republikaner treten als Sprachpolizei auf. Dabei kopieren die rechten Kulturkämpfer nur die woken Progressiven


Linksliberale mit ihren eigenen Waffen schlagen – die neue patriotische Weinerlichkeit

Foto: Oliver Contreras/AFP/Getty Images


Sie sind aufmerksame Schüler, die Neorechten, das muss man ihnen lassen. Der gekränkte alte weiße Mann will es jetzt allen heimzahlen, die es wagten, seine Macht – sprachlich – infrage zu stellen. US-Präsident Donald Trump verordnet neurechte Wokeness.

Das könnte auch hierzulande blühen. „Ich gendere nicht“, proklamiert stolz die AfD-Politikerin Alice Weidel, als sei dies ein Nachweis von Kompetenz. Tatsächlich ist die Rechte gewieft, die identitätspolitischen Überdrehungen umzudrehen und für sich zu nutzen, indem sie umgekehrt absurde Regeln installiert und nun ihrerseits fröhlich weiter spaltet.

Der Geist ist aus der Flasche. Am Korken zog eine Linke, die vergessen hat, wo sie herkommt und wo sie hinwill: aus de

nke, die vergessen hat, wo sie herkommt und wo sie hinwill: aus dem Kampf gegen Unterdrückung hin zur Gerechtigkeit auf Erden. Das ganze große immer noch richtige Wollen ging verloren in einem sich in Sprechzetteln verheddernden Kulturkampf, der vermeintlich unterdrückerische Begriffe mit der repressiven Wirklichkeit und „virtue signalling“, also das Zurschaustellen moralischer Ansichten, mit Klassenkampf verwechselt. Donald Trump ist der neue (Sprach-)Sheriff in der StadtDie Linke lernte Pronomen-Buchstabieren und verlernte Verteilungskämpfe, teilte und meldete nur noch Posts, schoss mit Kanonen auf Spatzen wie Wortwahl und sogar Grammatik. „Haltung“ statt Veränderung, die Welt in tunnelblickbehafteter Lehrer*innen*zimmer-Perspektive. In der Wissenschafts-, Kultur- und in weiten Teilen der Medienblase hat sich etwa – Ausweis moralischer Makellosigkeit – vielen eingebürger*innen*t, ein „Pronomen“ in die E-Mail-Signatur zu stellen, als „rassistisch“ zu ächten, wenn das Adjektiv „schwarz“ nicht großgeschrieben wird, und als sexistisch den, der nicht per *, :, Glottisschlag undsoweiter alle möglichen Geschlechter mitmeint. Doch die Gästin macht sich so lächerlich wie die Vorständin. Und unsympathisch außerdem.Als es die selbstverzwergten Progressiven geschafft haben, eine ganze Menge vom linken Projekt zu vergraulen – wer will schon ständig gemaßregelt und nur aufgrund eines „falschen“ Wortes verworfen werden? –, kam Donald Trump zum zweiten Mal an die Macht, und mit ihm die rechte Sprachpolizei. Jetzt sind sie dran! Mit ihren Sprachregeln, mit ihrer Intoleranz. Behaupten, es gehe um „Freiheit“, Befreiung gar vom linksliberalen Joch, doch natürlich ist das ein Vorwand, das ganze Oberflächengekräusel verschleiert wunderbar die wirklichen Interessen. Während manche Progressive ihre gekränkten Gesichter wenigstens im Namen unterdrückter Minderheiten aufsetzen, sind die Rechten schamlos in eigener Sache beleidigt, man sieht es ihren Mienen an, wie sie leiden, wie sehr sie kämpfen, vorgeblich „fürs Volk“, in Wahrheit natürlich – für sich.Eine der ersten Amtshandlungen des US-Präsidenten bestand in einem Erlass über die „Wiederherstellung der Redefreiheit und das Ende der Zensur“. Das Ende der Zensur? Die Regierungskommunikation wird durchkämmt, Worte wie „intersectional“, „hatespeech“, „multicultural“ oder „transgender“ von den Webseiten radiert. Was Rechte der linken Identitätspolitik vorwarfen, vollziehen sie nun selbst. USAid kaltzustellen – aus „altright“-Sicht die institutionelle Verkörperung des woken Postkolonialismus –, ist nur ein Vorgeschmack.Sauberes Sprechen statt saubere LöhneGroße US-Unternehmen löschen Worte wie „Diversität“, „Gleichheit“ oder „Inklusion“. Google und Apple haben bereits den „Golf von Mexiko“ in „Golf von Amerika“ umbenannt. Journalisten, die weiterhin, wie seit Jahrhunderten üblich, „Golf von Mexiko“ sagen, gelten dem Weißen Haus als „Lügner“, fliegen raus aus der Pressekonferenz. „Stop deadnaming the Gulf of America“, fordert in rechtskultureller Aneignung der republikanische Kongressabgeordnete Mike Collins – derselbe, der die unfolgsame Bischöfin Mariann Edgar Budde „auf die Deportationsliste“ gesetzt sehen wollte, nachdem diese Donald Trump um Barmherzigkeit gebeten hatte. Barmherzigkeit müsste auch auf den Index, sie bedroht den Hochmut der alten weißen Männer.Die Bezeichnung „aliens“ (Ausländer) wird Pflicht. In Florida brachte Gouverneur Ron DeSantis schon 2022 sein „Stop WOKE“-Gesetz durch. Seitdem ist dort freie Meinungsäußerung an Arbeitsplätzen, Schulen und Universitäten krass eingeschränkt, Spitzelkultur inklusive.Die Linke hatte vorgemacht, wie herrlich der Kulturkampf ablenkt von den wichtigen Kampfplätzen. Nicht mehr der Kapitalismus und reale Ungleichheit stehen im Fokus, sondern die Produktion von Worten und der mit ihnen verbundenen moralischen Unter- oder Überlegenheit. Überbau statt Basis. Sauberes Sprechen statt saubere Löhne. Die Debatte um politisch korrekte Ausdrucksweisen, unendlich potenziert durch die sozialen Verdammungsmedien, saugt alle Aufmerksamkeit auf, als könne dadurch irgendjemand befreit werden.Die USA nähern sich russischen Verhältnissen anLängst bestimmt unter Progressiven das Sein nicht mehr das Bewusstsein, sondern die Zahl der Likes. Sie stellten Marx von den Füßen auf den Kopf, in den Strömen der Erregungs-Algorithmen strampeln die Beine. Die Folge: Unwirksamkeit. Analyse-Verweigerung. Bigotterie. Bitterste Ironie: Jene Geister der Scheinheiligkeit, die die Progressiven riefen, wenden sich nun gegen sie selbst. Mit ihnen unterdrückt rechtsalternative Identitätspolitik nun Minderheiten UND missliebige Meinungen. Das Wahrheitsministerium schlägt zurück.Trump hatte versprochen, die Amerikaner zu befreien von der Sorge, das Falsche zu sagen, und serviert das Gegenteil von Freiheit. Nur dass diesmal nicht mehr nur eine im Grunde kleine Gruppe aus dem akademisch-liberalen Milieu identitätspolitisch sanktioniert – die Regierung selbst macht Zensur zur Staatsräson und ruft zur Hatz auf Anderssprechende. Ausgerechnet in den Vereinigten Staaten von Amerika – die Freiheitsstatue reibt sich die Augen – wird Unterdrückung der Redefreiheit erste Bürgerpflicht.Die USA nähern sich russischen Verhältnissen an, und die hiesigen Rechten lachen sich ins Fäustchen. AfD und nicht wenige in FDP, BSW, CDU wollen auch. Endlich „wieder“ „frei“ sein, auf Kosten der Unfreiheit anderer. Mit IHREN Sprachregeln. Wenn sie sich da mal nicht täuschen. In den USA formiert sich Widerstand. Denn rechte Sprachmissionare machen sich mindestens so lächerlich wie linke. Der Spott wird – das wäre doch gelacht! – groß und gewaltig sein.



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Von Veritatis

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